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Klimagerechtigkeitsinitiative

Die Geduldsprobe

Der Grosse Rat spricht sich für einen klimaneutralen Kanton bis 2037 aus. Aus Sicht des früheren Klimajugendlichen Laurin Hoppler ist das zu langsam.

09/14/22, 05:23 PM

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Laurin Hoppler im Saal des Grossen Rats.  «Als ich dann zum ersten Mal hier sass, war mir das eine Lehre».

Laurin Hoppler im Saal des Grossen Rats. «Als ich dann zum ersten Mal hier sass, war mir das eine Lehre». (Foto: Daniel Faulhaber)

Laurin Hoppler, blaues T-Shirt, violette Socken, weisse Sneaker, sagt, er sei keiner, der sich von einem Gefühl der Angst treiben lässt. 

Climate Anxiety, die panische Angst vor dem Weltuntergang. In der Soundbox der globalen Klimadebatte ist das zu einem stehenden Begriff geworden. Eine Spielart dieser Debatte war an der ersten Sitzung des Grossen Rates nach der Sommerpause in lokaler Vertonung zu hören, das klang dann zum Beispiel so: 

«Statt dass wir unsere Jugendlichen verängstigen und zu den Psychiatrischen treiben, erweckten wir ihnen lieber die Freude am Lernen, Forschen und Entwickeln.» Beat Schaller, SVP. 

Laurin Hoppler, Jungpolitiker des Grün-Alternativen Bündnisses sagt, Angst sei eine schlechte Beratung. Aber wie an diesem Mittwoch im Grossen Rat über junge Menschen geredet wurde, die sich für das Klima einsetzten, «das hat mich geärgert.» 

Anlass zu Hopplers Ärger: Das Tempo der Debatte über die Klimagerechtigkeitsinitiative, und damit die Frage: Bis wann soll der Kanton seine Treibhausgasemissionen in allen Sektoren auf Netto-Null senken? Bis 2030 fordern die Initiant*innen. Eine Mehrheit der Verkehrs- und Umweltkommission (UVEK) sah 2037 als ambitioniert, aber machbar. 

Am Ende einer langen Debatte entschied der Grosse Rat, Initiative und Gegenvorschlag dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. In der Stichfrage empfiehlt das Parlament den Gegenvorschlag. Abgestimmt wird voraussichtlich im November. Basel-Stadt würde mit einem Ja zum ehrgeizigsten Klima-Kanton der Schweiz.

Auf die Welt gekommen

Blick über die Schulter von Laurin Hoppler. Der sitzt auf seinem Platz ziemlich genau in der Mitte des Ratssaals und hört sich mit konzentriertem Blick auf seinen Laptop an, wie die ersten Programmpunkte des Tages wegtraktandiert werden. 

Personalwahlen. Formalia. Kaspar Sutter hat Geburtstag. Jemand ist Papa geworden. Applaus, Gratis-Kaffi für alle. Es dauert ein bisschen, der Betrieb läuft sich warm. 

Er hat sich gut auf diese Art Aktivismus vorbereitet, sagt der 21-Jährige. Vor vier Jahren stand er noch inmitten demonstrierender Menschenmassen draussen auf der Strasse, war ein Gesicht der lokalen Klimajugend. Wilde Zeiten, Megafon und Pappschildermalen. Dann hat er sich überlegt, für den Grossen Rat zu kandidieren und die Klimaschutzpower in das hohe Haus zu tragen. Er hat sich gut überlegt, was das bedeutet, sagt er. «Aber als ich dann zum ersten Mal hier sass, war mir das schon nochmal eine Lehre». 

So eine Grossratsdebatte ist durchaus eine Ganzkörpererfahrung. Vorausgesetzt, man fühlt etwas. Von den Wänden und der Decke arbeiten edle Stukkaturen und alte Malereien an einer feierlichen Ernsthaftigkeit, der Sound der Debatte trägt Anzug, Krawatte, Perlenkette. Es werden lange Sätze formuliert und bis auf wenige Ausnahmen kommen die Voten vom Blatt.

Mit dem Sound der Klimabewegung hat das wenig zu tun. Dort sind die Dinge so, wie der  Erwartungshorizont ihrer Vertreter*innen: kurz. 

Hopp Hopp Hopp, Kohle stopp. 

What do we want – Climate Justice. When do we want it? Now! 

Wald statt Asphalt! 

Hoppler sagt, er hat nach seiner Wahl als jüngster Grossrat des aktuellen Parlaments rasch seine realistische Brille angezogen. Das habe ganz konkret mit der Geschwindigkeit dieses Polit-Betriebs zu tun, sagt er. «Gewisse Überzeugungen sehe ich heute aus einer anderen Perspektive». Grün ist er trotzdem geblieben, hat sich fleissig in die Abläufe eingefuchst und erste Vorstösse geschrieben. Aber eine gewisse Resignation, eine kleine Ratsmüdigkeit kann der Mann nach anderthalb Jahren im Amt nicht verneinen. 

Auf die Reise gehen

«In den Ferien komme ich immer an einen Punkt, wo ich einen Realitätsabgleich mache», sagt er. Er schaut dann: Was hat er politisch geleistet? Und was passiert da draussen? «Dann merke ich schon, dass da die Verhältnisse auseinanderklaffen.» 

Er habe gelernt, sich mit ganz kleinen Schritten anzufreunden, sagt Hoppler. «Mal eine Politikerin der Mitte zu überzeugen, mal wen von der SVP. An dem halte ich mich fest.»

Dann schildert Hoppler, was aus dem Act-Now!-Klimaaktivisten geworden ist. Als jüngster Volksvertreter des Grossen Rats, der er 2020 mit 19 Jahren wurde, erreichten ihn plötzlich viele Mails aus dem Volk. Im Betreff stand oft was mit Kompost. Hoppler schrieb den Entwurf eines Vorstosses, geht damit zur Verwaltung, um zu klären, dass man überhaupt von derselben Sache redet. «Bioabfall sind organische Reste aus Küche und Garten, 32 Prozent davon landen im Bebbisagg, statt zu kompostieren.» 

Hopplers Idee: Den Abfall sammeln und durch eine Biogasanlage in Energie umwandeln. Cleverer, sehr politischer Satz im Vorstoss: «Die Nutzung und eigene Produktion von Biogas, ist gerade in dieser Zeit notwendig, um vom Gasimport aus anderen Ländern wegzukommen.» Mit seinem Papier in der Hand geht Hoppler «auf die Reise», wie er sagt. Das heisst, er sucht Verbündete im Grossen Rat aus allen Lagern, die seinen Vorstoss unterzeichnen. Er muss ein paar Details abschwächen und ändern, Stichwort «Kompromisse schmieden», kriegt dann aber ein hübsches Backup aus allen Parteien zusammen. 

Die Motion ist noch diesen Monat traktandiert. Vier Monate hat er dran gearbeitet. 

Die breite Abstützung des Geschäfts macht eine Überweisung wahrscheinlich. Wäre das sein grösster politischer Erfolg? «Ja», sagt Hoppler, der auch schon autofreie Tage in den Quartieren durchboxen wollte. Damals hat er «die Reise» nicht gemacht und sein Vorstoss ist als unverbindlicher Anzug in einer Schublade der Verwaltung verschwunden. 

«Manchmal denke ich schon: Fuck it, warum tue ich mir das hier an?»

Laurin Hoppler

Drinnen im Ratssaal läuft jetzt die Debatte über die Klimagerechtigkeitsinitiative und Netto-Null bis 2030. Die Regierung begrüsst die Initiative, sieht aber 2040 als realistisches Ziel. UVEK-Präsident Raphael Fuhrer betont, einen Massnahmenplan in Etappen sei sinnvoll: «Das ist auch psychologisch wichtig: 2040 klingt ewig weit weg. 2037 sind drei Fünfjahrespakete. Das klingt machbarer!»

In der Debatte dreht sich viel um Fragen von Machbarkeit und Zumutung für Wirtschaft und Bevölkerung. Regierungspräsident Beat Jans begrüsst die Initiative, sagt aber, das Ziel sei aus Sicht der Regierung, nur über den Kauf von Klimazertifikaten, also Kompensationsmassnahmen in anderen Weltgegenden, zu erreichen. «Es wäre falsch, die Verantwortung zu delegieren.»

Hoppler am Redner*innenpult im Grossen Rat: «Viele sind einfach frustriert über die Politik, die wir hier drin machen.»

Hoppler am Redner*innenpult im Grossen Rat: «Viele sind einfach frustriert über die Politik, die wir hier drin machen.» (Foto: Daniel Faulhaber)

Hoppler hört sich das alles an und weil er merkt, dass zwar die Initiative gelobt wird, aber der Gegenvorschlag der UVEK mehr Aufmerksamkeit kriegt, rennt er in der Mittagspause aus dem Saal und schreibt irgendwo an einem kurzen Votum. Er hat nicht viel Zeit, arbeitet mit Emotionen. «Ja, das Ziel 2030 ist ambitioniert. Aber wir brauchen ambitionierte Ziele, damit wir überhaupt vom Fleck kommen!»

Dann, kurzer Ausbruch des Aktivisten von früher, dem von der Strasse: «Mir ist bewusst, dass es manchmal so scheinen mag, als hätte die Klimajugend das Interesse am Thema verloren. Das stimmt nicht. Viele sind einfach frustriert über die Politik, die wir hier drin machen.»

Die SP unterstützt die Initiative, spricht sich im Sinne der Machbarkeit für den Gegenvorschlag der UVEK aus. Ebenso die GLP. Die Mitte gibt Stimmfreigabe. Die LDP unterstützt den Regierungsvorschlag, 2040. Die SVP ist dagegen. Am Ende wird abgestimmt: 

@BaselStadt auf Twitter

@BaselStadt auf Twitter

Agnes Jezler, Mediensprecherin des Initiativkomitees sagt, der Grosse Rat habe in ihren Augen immerhin die Dringlichkeit des Themas begriffen. Sie hoffe, die Stimmbevölkerung wird sich für eine Begrenzung der Emissionen 2030 aussprechen. 

Mit Blick auf die sogenannte Klimabewegung und insbesondere die Klimajugend lässt sich in den vergangenen Monaten eine Diskursverschiebung feststellen: Wurde zu Beginn vor allem positiv über die «Politisierung der Jugend» geschrieben, rücken nun kritische Standpunkte in den Fokus: Wie weit werden sie gehen? Fragte die Republik. CH Media zeichnet das Bild einer Bewegung am Kipppunkt, die droht, aus Resignation ins Radikale zu driften. 

Hoppler sieht das auch. Er hält die Beobachtung von der Radikalisierung für teilweise richtig. «Das Wort radikal find ich allerdings falsch, weil das klingt, als drohten Terroranschläge. Dabei gibt es heute einfach ein bisschen mehr Leute, die auch mal eine Strasse blockieren», sagt er. 

Hoppler blockiert keine Strassen, zumindest nicht an diesem Mittwoch. Da sitzt er auf seinem Platz in der Mitte des Ratsaals und hört zu. Am Ende hat die Debatte über die Klimagerechtigkeitsinitiative vier Stunden gedauert. Hoppler sagt: «Manchmal denke ich schon: Fuck it, warum tue ich mir das hier an?» Weitermachen wird er trotzdem.  

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Bajour hat Laurin Hoppler und vier andere Jungpolitiker*innen nach ihrer Wahl 2020 zu Antrittsinterviews gebeten. Hier kannst du die Antworten nachschauen:  

Der Politik über die Schulter schauen

Dabei sein und Bajour-Member werden

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