«Ich habe mir für die Einbürgerung keinen Timer gestellt»
Deutsche sind die grösste ausländische Diaspora in Basel, sie machen neun Prozent der Basler Bevölkerung aus. Zwei von ihnen: Christophe Schneider, der sich seit sechs Jahren nicht einbürgern lässt, und David Rutschmann, der noch acht Jahre warten muss. Ein Gespräch über das Ausländer*innenstimmrecht, Bürokratie und Zugehörigkeit.
David Rutschmann: Christophe, du wohnst jetzt seit 16 Jahren in Basel. Nach zehn Jahren im selben Kanton darf man sich einbürgern lassen. War das kein Thema für dich?
Christophe Schneider: Als ich hierher gezogen bin, war die Frist noch zwölf Jahre, dann hat sich die Gesetzeslage geändert. Am Anfang kam mir das wie eine lange Zeit vor: So lange muss ich warten, bis ich wählen darf. Und ich wusste, dass ich also erstmal in Basel bleiben muss, wenn ich mich einbürgern lassen will.
Das kenne ich: Ich weiss, dass mein Einbürgerungs-Timer zurückgesetzt werden könnte, wenn ich in einen anderen Kanton ziehen würde. Das prägt in diesem Sinne meine Lebensplanung: Will ich dafür bestraft werden, wenn ich woanders hinziehen würde? Wie ist es dir in der Zeit als «Ausländer» ergangen?
Ich schätze es sehr, mich zivilgesellschaftlich einbringen zu können, auch ohne Stimmrecht. Ich fühle mich involviert in das Geschehen der Stadt. Und man kann ja auch schon mit Petitionen und Initiativen viel erreichen, wenn man sich daran beteiligt.
Nervt es dich nicht, dass du etwas für die Gesellschaft machst, aber dann nicht mal abstimmen darfst?
Nein, das tut es nicht. Das nehme ich entspannt.
Christophe Schneider (40) ist im Kulturbereich tätig, unter anderem in der Eventorganisation und in Museen. Geboren in Poitiers, Frankreich, aufgewachsen in Nienburg an der Weser zwischen Hannover und Bremen. Mit 21 lief seine französische Staatsbürgerschaft aus, seitdem hat er nur noch die deutsche. Für sein Masterstudium in Ethnologie und Kulturanthropologie kam er 2008 nach Basel. 2020 und 2021 war er bei Bajour als Community Manager tätig. Er hat den C-Ausweis.
David Rutschmann (26) ist Redaktor bei Bajour. Aufgewachsen in Waldshut-Tiengen auf der deutschen Rheinseite. Hat als Ausländer im Journalismus-Bachelor in Winterthur pro Semester 500 Franken mehr Semestergebühren gezahlt als Schweizer*innen. Seit September 2022 ist er bei Bajour, zuerst als Trainee und Pendler, dann ab Januar 2023 als Fulltime-Basler und Redaktor. Er hat den B-Ausweis.
Du lebst seit 2008 in Basel. Das heisst, du hast damals 2010 die Abstimmung über das Ausländer*innenstimmrecht mitgekriegt.
Ja. Ich kann mich aber nicht an viel erinnern – nur, dass es nicht gut kam. Ich habe erst nach einer Weile wirklich das Interesse an der Lokalpolitik gewonnen.
Auch damals schon waren Regierungsrat und Grosser Rat grundsätzlich für das Ausländer*innenstimmrecht, entschärften dieses mit einem Gegenvorschlag aber ein bisschen. Vom Volk wurde beides klar abgelehnt. Jetzt kommt das Thema am 24. November wieder zur Abstimmung. Was wird passieren?
Ich finde das schwierig zu beurteilen. Es wäre jedenfalls ein grosses Glück. Die Ja-Kampagne tritt frisch und positiv auf und ich finde es toll, wie viele Menschen sich stark dafür engagieren. Aber es wäre schon eine grosse Veränderung und progressive Ideen brauchen immer ein bisschen Zeit, um Mehrheiten zu bekommen. Ob es jetzt schon so weit ist?
Du könntest selbst ja schon längst abstimmen, wenn du wolltest. Du hast ja die zehn Jahre verstreichen lassen und dich nicht einbürgern lassen.
Ich hatte mir keinen Timer gestellt, wie lange ich jetzt schon in der Schweiz bin. Dann flatterte ein Brief rein: «Herr Schneider, Sie wohnen jetzt seit zehn Jahren in Basel, wir laden Sie zu einem Informationsanlass ein, um sich eventuell einbürgern zu lassen.» Unterschrieben von Baschi Dürr. Das habe ich eine tolle Form von Willkommenskultur gefunden.
Und dann?
Bin ich an diesen Anlass im Rathaus gegangen. Dort sind deutsche Kolleg*innen von mir gewesen, das war ganz witzig, weil wir alle nicht wussten, dass wir schon so lange in der Schweiz sind. Die waren dann teils richtig gierig auf die Einbürgerung, schien mir. Ich war da etwas geduldiger. Ich habe mir die Unterlagen auch besorgt, aber es dann wieder liegen lassen. Der bürokratische Aufwand ist dann doch recht hoch.
«Eine Einbürgerung kostet mich anderthalb Jahre administrativen Aufwand. Das würde ich machen, wenn ich konkret weiss, was sich alles für mich verbessern würde.»Christophe Schneider
Ein Einbürgerungsgesuch ist ein anderes Niveau als wenn man einfach ein Abstimmungscouvert zugeschickt bekommt und ein Kreuzchen machen muss. Klar, die Kosten für die Einbürgerung wurden in den vergangenen Jahren gesenkt. Aber ich denke auch, dass ein Einbürgerungstest nochmal eine Hürde ist. Wieso muss jemand, der Schweizer*in sein will, über den Stadtbrand von 1417 Bescheid wissen? Das wissen ja viele Basler*innen mit Schweizer Pass auch nicht.
Beim Einbürgerungstest mache ich mir keine allzu grossen Sorgen. Meine Schweizer Kolleg*innen und andere sagen mir, dass man sich halt ein bisschen informieren muss, aber dass es dann kein Thema ist. Für deutsche Muttersprachler*innen ist es sicher auch nochmal einfacher.
Wenn das Ausländer*innenstimmrecht nun wieder abgelehnt wird: Würdest du dich dann einbürgern lassen?
Im Gegenteil: Für mich wäre das Ausländer*innenstimmrecht ein zusätzlicher Anreiz, mich einzubürgern.
Interessant. Wie meinst du das?
Ich würde mich dann noch mehr als heute am politischen Prozess beteiligen: Ich würde abstimmen und meine Repräsentant*innen im Kantonsparlament wählen. Der Schritt hin zur Einbürgerung wäre dann quasi nur noch pro forma, aber konsequent: Wenn ich dieses demokratische Recht einnehme, dann kann ich mich auch einbürgern lassen.
Für mich wäre das Ausländer*innenstimmrecht tatsächlich eher ein Argument gegen die Einbürgerung. Der Anreiz zur Einbürgerung ist doch fort, wenn man schon das Stimmrecht hat. Warum soll ich mich noch einbürgern lassen, wenn ich schon abstimmen kann – zumindest kantonal?
Es gibt ja noch andere Vorteile einer Einbürgerung. Es geht immer nur um uneingeschränkte Aufenthaltsdauer und Stimmrecht. Aber in der Debatte fehlt mir, dass Altersarmut Nicht-Schweizer*innen viel mehr betrifft als Schweizer*innen. Bei Prekarität, Rente und Sozialhilfe schaut der Schweizer Staat – logischerweise, wie ich finde – zuerst auf Schweizer Bürger*innen.
ProSenectute erklärt sich das mit AHV-Beitragslücken, weil viele Ausländer*innen erst später in ihrer Erwerbsbiografie in die Schweiz kommen und in Berufen mit niedrigem Lohnniveau gearbeitet haben. Aber: Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und der Lohn sind als Schweizer*in deutlich besser, wie eine ETH-Studie zeigt. Hast du als Ausländer je arbeitsrechtliche Probleme gehabt?
Nach dem Studium habe ich als Freelancer gearbeitet und dann wurde meine B-Bewilligung kurzzeitig auf ein L für Kurzaufenthalter*innen zurückgestuft. Das hat mich dann doch erschrocken, denn die Jahre mit L-Bewilligung zählen nicht dazu, wenn man sich einbürgern lassen will. Das liess sich zum Glück schnell klären. Den C-Ausweis muss ich jetzt alle fünf Jahre erneuern lassen. Das kostet Geld – also ein Vorteil der Einbürgerung, dass man sich darum nicht mehr kümmern muss.
«Für mich gehört zum ‹Schweizer sein› mehr als ein Dokument und das Stimmrecht, sondern auch ein Zugehörigkeitsgefühl.»David Rutschmann
Die Einbürgerung ermöglicht dir auch das passive Wahlrecht, also dass du dich selbst zur Wahl stellen könntest. Das steht ja jetzt beim Ausländerr*innenstimmrecht nicht zur Debatte.
Daran habe ich aber auch nicht wirklich Interesse. Wie gesagt: Für mich braucht es eine stärkere Betonung meiner Vorteile mit Schweizer Staatsbürger*innenschaft. Eine Einbürgerung kostet mich in der Regel anderthalb Jahre administrativen Aufwand. Das würde ich machen, wenn ich konkret weiss, was sich alles für mich verbessern würde.
Wir Deutsche sind da vielleicht auch in einer privilegierten Position, da uns in der Regel keine Abschiebung droht. Der Familiennachzug ist auch einfacher, wenn man eine Schweizer Staatsbürger*innenschaft hat. Denkst du, das Stimmrecht für Ausländer*innen würde verhindern, dass die noch bestehenden Hürden für eine erleichterte Einbürgerung weiter abgebaut werden?
Das kann ich nicht abschätzen.
Auf der Contra-Seite wird auch argumentiert, dass es unfair wäre, wenn Ausländer*innen das Stimmrecht hätten, aber keinen Militärdienst für die Schweiz leisten müssten.
In meinem individuellen Fall wäre es unfair, weil ich schon in Deutschland meinen Zivildienst gemacht habe und dann in der Schweiz zum zweiten Mal Militärdienst machen müsste.
2011 wurde der Militärdienst in Deutschland abgeschafft, für mich wurde das deswegen gar nie zum Thema. Aber für mich ist die Aussicht auf Militärpflicht tatsächlich eher ein Hemmnis, mir über die Einbürgerung Gedanken zu machen. Was mich noch interessiert: Fühlst du dich als Schweizer?
Schon irgendwie. Mir gefällt das auch, wenn mir Leute das sagen: Du bist eigentlich Schweizer. Aber ich sehe mich als Hybrid, was Nationalitäten anbelangt. Es gibt einen kulturellen Rucksack, den kann man nicht ablegen. Ich würde gerne Dialekt sprechen, aber es reicht nicht für mehr als einzelne Formulierungen und kurze Sätze. Aber ich liebe Baseldytsch, freue mich über die Briefing-Kategorie «Baseldytsch mit Ina» und vermisse die Sprache, wenn ich woanders bin.
An dieses heisse Eisen traue ich mich noch nicht ran. Ich habe zu viel Angst, dass es «gstabig» klingen würde. Ich weiss nicht, ob ich mich als Schweizer fühle, auch wenn ich deutsche Friends habe, die mich schon so abgespeichert haben. Aber deshalb finde ich die Vorstellung der Einbürgerung auch seltsam: Ich wäre dann Schweizer – dazu gehört für mich aber mehr als ein Dokument und das Stimmrecht, sondern auch ein Zugehörigkeitsgefühl.
Ich fühle mich auf jeden Fall hier zugehörig und würde deshalb viel eher abstimmen wollen als in Deutschland, wo ich als Auslandsdeutscher das Stimmrecht habe. Aber ich habe zuletzt nicht mehr an den Wahlen in Deutschland teilgenommen. Einerseits, weil auch das ein administrativer Aufwand ist. Andererseits, weil ich dort wenig involviert bin und eher selten zu Besuch bin.
Vielleicht kannst du dich ja bald hier mit einbringen, je nachdem was das Basler Stimmvolk am 24. November entscheidet. Ich danke dir für das Gespräch.