«Wir werfen keine Rettungsanker aus»

Mitte Juli gab das Musikbüro bekannt, welche Clubs und Veranstaltungsreihen in Basel von der Programmförderung profitieren werden. Kurz darauf hagelte es Kritik von denjenigen, die keine Gelder bekommen haben. Im Gespräch mit Bajour nehmen der Fachleiter Kommunikation Sebastian Schlegel und der Geschäftsleiter Alain Schnetz Stellung zu den Vorwürfen.

Alain Schnetz und Sebastian Schlegel vom Musikbüro
Sebastian Schlegel und Alain Schnetz vom Musikbüro verstehen sich als Vermittler zwischen Politik und Musikszene. (Bild: zVg)

Das Musikbüro ist gerade erst aus den Ferien zurück. Kurz bevor Sie in die Sommerpause gegangen sind, haben Sie den Entscheid über die Clubförderung veröffentlicht. 14 Veranstaltungsreihen und Clubs haben Gelder bekommen, 16 nicht. Das hat für Aufregung in der Szene gesorgt und vor allem für viel Unmut bei denjenigen, die nicht berücksichtigt wurden. Wie geht es Ihnen damit?

Alain Schnetz: Wir sind grundsätzlich davon ausgegangen, dass der Entscheid der Jury Aufmerksamkeit generieren wird. Enttäuschungen und Freude kommen oft sehr ungefiltert zu uns. Die Arbeit im Musikbüro ist für uns alle mehr als ein Job, deshalb nimmt es uns natürlich mit, aber nicht in einem Übermass.  

Wie schlau war es, direkt nach der Veröffentlichung der Förderbeiträge in die Betriebsferien zu gehen?

Sebastian Schlegel: Die Entscheidung haben wir andersrum gefällt. Der Zeitraum für die Betriebsferien stand schon fest, wir haben uns entschieden vor den Ferien zu kommunizieren und nicht nochmals drei Wochen zu warten. Unter anderem weil die Förderphase im Juli startet. Es wurden also Gelder für Projekte gesprochen, die schon im Juli stattfanden.  

Am Tag, als Sie das Büro wieder geöffnet haben, wäre es beinahe zu einer Demonstration gekommen, organisiert aus dem Umfeld der Heimat. Haben Sie mit so viel Wut gerechnet?

Schnetz: Ich finde es grundsätzlich super, wenn das junge Publikum der Heimat für seine Bedürfnisse einsteht. Es werden allerdings Dinge vermischt: Wir machen nicht Jugendkulturförderung sondern Programmförderung. Es wäre sicher gut gewesen, mit uns Kontakt aufzunehmen, damit wir den jungen Erwachsenen aufzeigen, welche Wirkung sie erzielen können. Da denke ich zum Beispiel an die Schliessung des Sommercasinos und die Finanzhilfe des Erziehungsdepartements, die jetzt im luftleeren Raum steht. Jede Form der Kritik hilft uns, die Förderstruktur zu justieren.

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Während die Alternativkultur von den gerade gesprochenen Clubfördergeldern profitiert, gehen kommerziellere Betriebe leer aus. Der Unmut ist gross, die Vermittlung der Förderpraxis verbesserungswürdig.

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Die Reaktionen zeigen: Mit der Vergabe der Fördergelder geht eine grosse Verantwortung einher. Sind Sie parat für so viel Macht?

Schnetz: Ja, sonst hätten wir uns damals nicht zur Verfügung gestellt. Wir sind überzeugt, dass wir der richtige Ort sind, weil wir die Erfahrungswerte als Verein und die Nähe zur Musikszene durch unsere Mitgliederbasis haben. Was aber nicht heisst, dass es nicht auch für uns Neuland ist. Es gibt in der Schweiz kein vergleichbares Modell. 

Den Clubs, die keine Förderung erhalten haben, haben Sie Absagen mit einer kurzen Begründung geschickt. Beim Nordstern hiess es beispielsweise, der Betrieb wäre zu kommerziell. Wo verläuft hier die Trennlinie zwischen zu kommerziell und zu unwirtschaftlich?

Schlegel: Die Begründungen sind ein Versuch aufzuzeigen, wo Potential besteht für die nächsten Eingabe für Programmförderung. Die Trennlinie, die die Jury hier gezogen hat, wird nun Teil der Diskussion, wenn es darum geht, Learnings für den weiteren Verlauf des Pilotprojekts zu erarbeiten. 

Schnetz: Wir wären nicht verpflichtet, eine Begründung mitzuliefern. Das ist auch ein Frust bei mir persönlich. Das war eigentlich als Service gedacht, in der Annahme, dass wenn ein Betrieb auf die Punkte eingeht, er bei einem nächsten Gesuch vielleicht Förderung bekommt. 

Die Heimat sagt, sie müsse nun schliessen, weil sie keine Fördergelder bekommt. Was antworten Sie da?

Schlegel: Die Förderung muss nachhaltig sein. Es ist keine Betriebsförderung. Die Arbeitsbedingungen der Mitarbeitenden müssen verbessert werden. Wenn der Betrieb an sich nicht funktioniert, dann wäre die Förderung am falschen Ort. Das Kriterium der Nachhaltigkeit ist ein politischer Entscheid. Es geht nicht darum, einen Rettungsanker auszuwerfen. Wenn die Heimat sagt, wir müssen zu machen, weil wir keine Fördergelder bekommen, müssen wir sagen, ja das tut weh. Aber die Fördergelder sind nicht dafür da, so etwas zu verhindern, sondern dafür, dort, wo es finanziell unter gewissen Umständen funktioniert, zur Entspannung bei zu tragen. 

Der Hilferuf ist also ein K.O.-Kriterium?

Schnetz: Ja, es ist vor allem auch ein politisches K.O.-Kriterium. Stellt euch vor, das Musikbüro verteilt eine Viertel Million Fördergelder und die Hälfte der geförderten Clubs macht dann nach ein paar Monaten dicht.

Schlegel: Wir müssen immer mit Kritik rechnen. Wenn das Nordstern kein Geld bekommt heisst es, das sei ungerecht, weil sie auch Anrecht haben. Würden sie Geld bekommen, würde es in der Öffentlichkeit heissen, wie kann es sein, dass so ein erfolgreicher Club Steuergelder bekommt.

Inwiefern hat die Jury denn Einblick in die Budgetplanung der Betriebe, zum Beispiel beim Nordstern?

Schlegel: Wir haben keine Jahresabschlüsse oder ähnliches eingefordert. Aber in den Dossiers sind andere Informationen enthalten, die Aufschluss geben; zum Beispiel Organigramme. Uns war bewusst, dass das immer einer der heikelsten Punkte sein wird. In Bezug aufs Nordstern ist uns wichtig zu sagen, dass das nicht ein Entscheid für die nächsten 25 Jahre ist. 

Schnetz: Auch nicht fürs nächste halbe Jahr. 

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«Stellt euch vor, das Musikbüro verteilt eine Viertel Million Fördergelder und die Hälfte der geförderten Clubs macht dann nach ein paar Monaten dicht.»
Alain Schnetz, Geschäftsleiter Musikbüro

Wird bei der nächsten Runde wieder die gleiche Jury entscheiden?

Schnetz: Ja. Die Jury stellen wir nicht in Frage. Wir handhaben es beim Musikbüro in der Regel so, dass die Jurymitglieder alle zwei Jahre rotieren. Dann kommen zwei neue hinzu und zwei bisherige bleiben bestehen. 

Schlegel: Die Jurymitglieder wurden im Vorfeld durch die Fachleitung gebrieft, wie das Fördergefäss aussieht, was die Ziele sind und so weiter. Und es gibt hier auch eine Evaluation und Learnings, die wir ihnen mitgeben werden für eine nächste Ausgabe.

Wie wurden die Jurymitglieder ausgewählt?

Schnetz: Grundsätzlich schlägt die Geschäftsstelle zuhanden des Vorstands Jurymitglieder vor. In diesem Fall wurde die Jury zudem zusammen mit der Abteilung Kultur Basel-Stadt und dem Verein Kultur & Gastronomie (K&G) bestimmt.* Dabei versuchen wir ein möglichst breites Spektrum abzudecken. In der jetzigen Jury gibt es bewusst zwei Menschen, die die lokale Clublandschaft insofern kennen, dass sie wissen, wie dort gearbeitet wird, und zwei komplett externe Expert*innen. Dann kommt meistens die Kritik, dass die externen keine Ahnung haben, weil sie nicht wissen, wie wir in Basel arbeiten und bei denen aus dem Umfeld heisst es: Aber die kennen ja den und die; die sind zu nah dran. Deshalb machen wir immer einen Mix. 

Wie ist der Ablauf bis zur Entscheidung?

Schnetz: Wir machen die formale Prüfung, wenn das Gesuch den formalen Anforderungen entspricht, legen wir es der Jury vor. Die entscheidet dann anhand des eingereichten Dossiers. 

Sind Sie vom Musikbüro an der Jurysitzung anwesend? 

Schlegel: Ja, in der Regel die zuständige Fachleitung, aber diese protokolliert nur und hat selber kein Stimmrecht.  

Schnetz: Wir wollen die Nähe zur Szene behalten und den Gesuchstellenden möglichst gut beim Gesuchschreiben helfen, wir führen auch viele Beratungsgespräche im Vorfeld. Deshalb müssen wir uns aber distanzieren im Juryprozess und deshalb hat Claudia Jogschies als Verantwortliche für die Programmförderung auch kein Stimmrecht.

«Die Jury stellen wir nicht in Frage.»
Alain Schnetz, Geschäftsleiter Musikbüro

Aus der Szene gibt es Stimmen, die sagen, ihnen wurde in persönlichen Gesprächen viel Hoffnung gemacht, dass sie Gelder erhalten werden. Nun kam es aber nicht dazu. Ist diese Nähe auch eine Gefahr für Enttäuschungen?

Schlegel: Versprechen können wir eh nichts. Wir können ja nichts entscheiden. Wir feiern und trauern mit den Antragstellenden. Unsere Nähe zu den Clubs hat sicher immer Vor- und Nachteile. 

Schnetz: Zusammen kennen Sebastian Schlegel und ich wahrscheinlich 90 Prozent der Gesuchstellenden persönlich. Man kennt sich eben. Diese Realität muss man auch nicht wegdiskutieren. Wir ermutigen die Menschen immer einzugeben. Aber nur weil man die Kriterien formal erfüllt, hat man nicht automatisch Anspruch auf Fördergelder. Das ist vielleicht etwas, das wir noch stärker betonen müssen. 

Wieso ist das so?

Schnetz: Es besteht kein grundsätzliches Recht auf Kulturförderung. Diese ist immer selektiv und somit ein Wettbewerb. 

Schlegel: Es ist meistens so, dass die Förderanträge zwei- bis dreimal so hoch sind, wie das Fördergeld, das zur Verfügung steht. 

Das Geld ist also im Endeffekt der entscheidende Faktor.

Schlegel: Ja, absolut. Aber das ist ein politischer Entscheid. 

Wieso sind die Beiträge mit 40000 Franken limitiert?

Schnetz: Der politische Prozess, bis wir überhaupt mit der Clubförderung anfangen konnten, hat sehr lange gedauert. Ursprünglich waren 75’000 für ein ganzes Jahr angedacht. Und da wir nur ab Juli für ein halbes Jahr Gelder sprechen konnten, musste das angepasst werden. Dazu kommt, dass alles, was wir vom Musikbüro aus an Fördergeldern über 50’000 Franken sprechen, muss über den Regierungsrat gehen. Wenn die Jury also höhere Beiträge gesprochen hätte, hätte es wieder über den Regierungsrat laufen müssen, der in der Sommerpause ist und die Clubs hätten erst im Herbst gewusst, woran sie sind.  

Wann ist die nächste Ausschreibung? 

Schlegel: Das wird sich nach der Evaluation zeigen. 

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«Wir feiern und trauern mit den Antragstellenden.»
Sebastian Schlegel, Fachleiter Kommunikation Musikbüro

Es wurden einige Rekurse gegen den Entscheid eingereicht. Wissen Sie wie viele?

Schnetz: Nein.

Wie gehen Sie damit um?

Schlegel: Wir warten ab. Es ist ganz wichtig, dass es diese Rekursstelle gibt. Das sind zwei Juristen, die von den Mitgliedern gewählt wurden. Die Rekursstelle gibt es schon lange, aber zumindest in den letzten fünf Jahren wurde sie nicht gebraucht.

Schnetz: Ich finde es auch sehr entlastend, dass da nochmal jemand drüber schaut. Wenn sie Fehler finden, zeigt es, dass das System funktioniert.

Schlegel: Dass wir Fehler machen, können wir nicht ausschliessen. Es war die Priorität des Vorstands, die ersten Gelder möglichst bald nach dem politischen Entscheid zu vergeben, natürlich mit der nötigen Sorgfältigkeit, aber es ist immer ein Abwägen. 

Wann ist ein Entscheid der Rekursstelle zu erwarten?

Schlegel: Das ist noch nicht absehbar. 

Die Jury und die Geschäftsstelle sind formell also strikt getrennt. Trotzdem gibt es offenbar Anweisungen und Feinjustierungen von Ihrer Seite an die Jurymitglieder. Gibt es also nicht doch eine Einflussnahme?

Schnetz: Einen signifikanten Einfluss haben wir, wenn wir vorschlagen, wer in die Jury soll. Und wir haben einen signifikanten Einfluss, wenn wir die Richtung, wie die Jury entscheidet, justieren, das geschieht im Fall der Programmförderung mit dem Kanton gemeinsam. Im Vertrag mit dem Kanton ist ganz genau definiert, was die Förderung soll und was sie nicht soll. Das müssen wir den Jurymitgliedern vermitteln. 

Gehen Sie nach dieser ganzen Aufregung noch unbeschwert in den Ausgang in Basel?

Schlegel: Ich bin letzte Woche ins Soca gegangen und habe im Vorfeld gesagt, wahrscheinlich wird es ein Thema sein und es war erstaunlicherweise kein Thema. Das liegt vielleicht auch an den Leuten, die dort waren. Wegen dem jetzt nur noch beschwert in den Ausgang zu gehen, wäre glaub falsch. Ich liebe es auch, mit den Leuten über diese Themen zu sprechen. 

Schnetz: Ich glaube, ich gehe achtsamer hin als auch schon. Wenn ich in einen Club gehe, der Kritik geäussert hat, gehe ich davon aus, dass es angesprochen wird. Ich werde mich dann je nach Situation abgrenzen, weil mein privates Umfeld auch nicht immer Lust hat, dass die Arbeit in der Freizeit ständig Thema ist. Aber, wenn es passt, werde ich die Chance ergreifen und kurz in die Arbeits-Rolle schlüpfen. 

*Die Information, dass die Jury zusammen mit der Abteilung Kultur Basel-Stadt und dem Verein Kultur & Gastronomie (K&G) bestimmt wird, wurde auf Bitte des Musikbüros nachträglich hinzugefügt.

Anmerkung: Im Musikbüro Basel Claudia Jogschies für die Programmförderung der Club- und Nachtkultur zuständig. Sie ist gemeinsam mit Sandro Bernasconi (Abteilung Kultur ) und Roy Bula (Verein «Kultur & Gastronomie») Teil des Trios für die Basler Clubförderung. Da Jogschies in der Woche des Interviews mit Betreuungsaufgaben betraut ist, schlug das Musikbüro Schlegel und Schnetz für das Interview vor.

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