Basler «Klimaloki» auf dem Weg in die Zukunft

Die Basler Stimmbevölkerung hat Ja gesagt zum Netto-Null-Ziel 2037. Und damit zu einem wirklich ambitionierten Klimaschutz. Yes, we can! Wenn wir nur wollen. Ein Kommentar.

Anhaenger der Klimagerechtigkeitsbewegung protestieren Bannern vor dem Rathaus, wo zur Zeit ueber die Klimagerechtigkeitsinitiative debattiert wird, in Basel, am Mittwoch, 14. September 2022. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Wer kauft schon gerne die Katze im Sack? Selbst die SP empfahl, bei der Stichfrage dem Gegenvorschlag den Vorzug zu geben. (Bild: © KEYSTONE / GEORGIOS KEFALAS)

So, jetzt wird sie Realität, die viel beschworene «Klimaloki» Basel-Stadt. Die Basler Stimmbevölkerung will, dass der Kanton bis 2037 auf Nettonull geht, also nur noch so viel CO2 ausstösst, wie er aufnehmen kann. So lautet das Resultat der heutigen Abstimmung: 61,85 Prozent der Stimmbevölkerung sagt in der Stichfrage Ja zum Gegenvorschlag.

Die Klimagerechtigkeitsinitiative selbst wollte weiter gehen, forderte Nettonull bis 2030. Auch sie erhielt 56,72 Prozent Ja-Stimmen.

Aber bereits die Annahme des Gegenvorschlags ist ein grosser Erfolg für die Klimabewegung, der in dieser Form wohl nur in einem urbanen Umfeld möglich ist - und auch hier mithilfe der FDP. Die LDP war dagegen.

Mit der Annahme übernimmt der Stadtkanton im Kampf gegen die Klimaerhitzung die Führungsrolle in der Schweiz, was erfreulich ist. Noch erfreulicher wäre gewesen, Basel stünde auch europaweit an der Spitze.

Die Katze im Sack 

Doch für ein Mehr in Sachen Klimagerechtigkeit war die Initiative nicht nur (über-)ambitioniert, sondern auch zu schwammig formuliert. Die Massnahmen zu definieren, sei Sache der Politik, hiess es vonseiten der Initiant*innen. So konnten diese dem Gegenvorschlag tatsächlich wenig Konkretes entgegenhalten. Ausser: dass es eilt! 

Für den Gegenvorschlag indes hatte die Umwelt-, Verkehrs- und Energiekommission des Grossen Rats (Uvek) neben den bereits bestehenden, strengen Auflagen des Kantons wie dem fossilen Heizungsersatz zusätzliche mögliche Massnahmen aufgezeigt. In der BaZ schlägt das GAB-Kommissionsmitglied Raphael Fuhrer beispielsweise grosszügigere Zustüpfe für Hauseigentümer*innen vor, die eine energetische Sanierung machen, auch Roadpricing wird genannt. Und verbindliche Zwischenziele wurden festgeschrieben.  

«Machbar oder nicht machbar, das sind keine harten Kategorien.»
Marcel Hänggi, Mit-Initiant der Gletscher-Initiative, Buchautor und Journalist

Die Konkretisierung wurde offenbar geschätzt. Denn: Wer kauft schon gerne die Katze im Sack? Selbst die SP empfahl, bei der Stichfrage dem Gegenvorschlag den Vorzug zu geben, sitzt sie doch mit drei Leuten in der Regierung und wäre damit für die Umsetzung der Initiative verantwortlich, die aufgrund der Infras-Studie bis 2030 als nicht machbar eingeschätzt wurde. Bedingungslos unterstützt wurde die Klimagerechtigkeitsinitiative hingegen von den Grünen, der linksalternativen BastA!, dem Mieter*innenverband sowie dem VCS. 

Nun heisst es: Ein bisschen weniger, dafür konkreter. Das Positive daran: Die Gefahr, dass die Forderungen versanden und die Initiative nie wirklich umgesetzt wird - wie es auf nationaler Ebene zum Beispiel bei der Alpen-Initiative der Fall war, besteht weniger. Beim Gegenvorschlag zur Städteinitiative, die eine Reduktion des Verkehrs forderte, zweifelten am Anfang auch viele an der Umsetzbarkeit, heute ist sie Realität – wenn auch später, als in der Initiative vorgegeben.

All eyes on Basel

Nicht nur für Basel ist der heutige Sonntag ein grosser Tag. Die kantonale Abstimmung wurde auch national genau beobachtet. Etwa von Balthasar Glättli, Präsident der Grünen und Nationalrat. Er sagt zum Basler Abstimmungsergebnis auf Anfrage erfreut: «Wir können einen fortschrittlichen kantonalen Klimaschutz auch auf nationaler Ebene immer gut gebrauchen.» Denn: Dieser entkräfte das heute gerne hervorgebrachte Argument, die Stimmberechtigten hätten zu einem stärkeren Klimaschutz bereits Nein gesagt (als Anspielung an die Ablehnung des CO2-Gesetzes). Das Abstimmungsergebnis in Basel zeige nämlich: «Ambitionierte Klimapolitik findet Mehrheiten.» 

Auf nationaler Ebene stehen gleich mehrere Entscheide an. Da wäre die Gletscher-Initiative, welche die Ära der fossilen Energien auf Bundesebene bis spätestens 2050 beenden und somit die Ziele des Pariser Klimaabkommens in der Verfassung verankern möchte. Der Kompromiss wird breit unterstützt, einzig die SVP hat das Referendum gegen den indirekten Gegenvorschlag des Parlaments ergriffen. Darüber abgestimmt wird voraussichtlich am 26. Juni 2023 -  in naher Zukunft der klimapolitisch wohl wichtigste Moment hierzulande.

«Je höher das Ziel, desto mehr streckt man sich.»
Balthasar Glättli, Präsident der Grünen und Nationalrat, Kanton Zürich

Relevant ist das heutige Verdikt aber auch im Hinblick auf das erwähnte zu revidierende CO2-Gesetz, welches das Stimmvolk im Juni 2021 zurück an den Absender geschickt hatte. Der Bundesrat, welcher die Treibhausgasemissionen der Schweiz bis 2030 halbieren möchte (indem er sich hypothetische Emissionssenkungen, die irgendwo im Ausland mit Schweizer Hilfe erzielt wurden, anrechnen lässt), verabschiedete vergangenen September seine überarbeitete Botschaft, die nun von den Kommissionen beraten wird. Die Botschaft trägt den Ergebnissen der Vernehmlassung sowie dem Volks-Nein Rechnung, indem sie auf neue Abgaben verzichtet und stattdessen auf wirkungsvolle Anreize setzt, die durch Investitionen ergänzt werden. Ausserdem muss das Parlament das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien noch fertig beraten.

«Wir dürfen ambitioniert sein»  

Glättli erhofft sich aber auch ein positives Basler Signal an die anderen Kantone, einen positiven Wettbewerb zwischen den Kantonen. Dafür hätte Glättli freilich 2030 als Zielvorgabe bevorzugt, ist er doch der Meinung: «Je höher das Ziel, desto mehr streckt man sich.» Er findet, ein ehrgeizigerer Fahrplan hätte erlaubt, teurere Massnahmen noch früher in Angriff zu nehmen. Gleichzeitig verweist er auf den Budgetansatz. Viel wichtiger als zwei drei Jahre Unterschied sei, wie rasch die Umsetzung starte, und wie viele klimarelevante Gase noch in die Atmosphäre ausgestossen werden. Und hier gilt: «Wir müssen die Kurve so rasch wie möglich flacher bekommen. Unser CO2 Budget ist praktisch ausgeschöpft.»

«Das wird Basel nicht schaffen»
Ruedi Noser, FDP-Ständerat, Kanton Zürich

Auch Marcel Hänggi, Mit-Initiant der Gletscher-Initiative, Buchautor und Journalist, verspricht sich vom Basler Verdikt «Signalwirkung». Und ist überzeugt: «Machbar oder nicht machbar, das sind keine harten Kategorien.» Das einzige, was nicht machbar sei: die Emissionen nicht zu senken, ohne die Lebensgrundlagen zu zerstören. 

Diese Argumentation schüre Angst und Angst sei ein schlechter Ratgeber, findet dagegen der Zürcher Ständerat Ruedi Noser. Der Freisinnige unterstützte zwar die Gletscherinitiative, aber Nettonull bis 2037  sei «Lug und Trug». «Das wird Basel nicht schaffen», sagt er. Denn: Alleine an die Erreichung der CO2-Neutralität zu glauben, reiche nicht. Es brauche keine Zielvorgaben, sondern Massnahmen, die funktionieren. So sieht Noser den Willen zur Veränderung vor allem an der Urne - und weniger in der Praxis. Ganz nach dem Motto: «Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach.»

Die FDP beurteilt er in ihrer Klimapolitik auch national weniger gespalten als noch vor 5 Jahren; für die künftigen klimapolitischen Debatten dürfte die Partei zusammen mit der Mitte eine wichtige Rolle spielen. 

Realistisch oder unrealistisch: Basel-Stadt wird es spätestens 2037 wissen. Bleibt nur noch die Frage, wie der städtische Erfolg auch auf die ländliche Schweiz übertragen werden kann. Der Solothurner Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt meint, dies dürfte «schwierig bis unmöglich» werden. Die Signale aus kantonalen Abstimmungen seien leider eher schwach. Wichtig für die ländliche Bevölkerung werde sein, dass sie sich nicht benachteiligt fühle. «Man muss also Rücksicht nehmen auf ältere Gebäude, die höhere Notwendigkeit des Individualverkehrs und vor allem auch die geringeren finanziellen Möglichkeiten.» Das spreche für Förderung statt Lenkung und Verbote.

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Valerie Zaslawski

Das ist Valerie (sie/ihr):

Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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