«Der Landrat hat übertrieben reagiert»

Der Entscheid des Baselbieter Landrats, Swisspeace keine Fördergelder mehr zu zahlen, weil deren Präsident sich kontrovers zum Krieg im Gazastreifen geäussert hat, stösst weiter auf Kritik. Der Historiker Caspar Hirschi erklärt, warum eine Grenze überschritten wurde, und verweist auf die Rollentrennung von Politik und Wissenschaft.

Caspar Hirschi
Caspar Hirschi forscht zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik in Geschichte und Gegenwart. (Bild: Universität St. Gallen)

Der Landrat unterstützt die Schweizerische Friedensstiftung Swisspeace nicht, weil ihm Aussagen vom Direktor der Friedensstiftung, Laurent Goetschel, zum Krieg im Gazastreifen missfielen. Ist der Entscheid ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit, wie nun zum Teil kritisiert wird?

Der Entscheid ist problematisch, aber ich vermute, die Landräte waren sich seiner Tragweite nicht ganz bewusst. Mit ihm wird zwar keine direkte Zensur ausgeübt, aber ein Hebel bei der Finanzierung angesetzt. Es wird eine politische Positionierung, die man kritisieren darf, zum Anlass genommen, eine Institution finanziell nicht mehr zu unterstützen. Alfred Bodenheimer von der Universität Basel hat das Vorgehen bereits kritisiert. Ich teile seine Position. 

Caspar Hirschi

Caspar Hirschi ist Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität St. Gallen. Er forscht zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik in Geschichte und Gegenwart mit einem besonderen Fokus auf den Rollen von wissenschaftlichen Experten in der Politikberatung und in den Medien. In den vergangenen Jahren hat er die Politik in der Schweiz und in Deutschland beraten, um die Rolle der Wissenschaft in Krisen klarer zu definieren.

Wird die Wissenschaftsfreiheit von der Politik bedroht, wenn abweichende Positionen finanziell sanktioniert werden?

Ja. Die Politik muss die Wissenschaftsfreiheit respektieren. Es gibt hier immer einen Graubereich, weil die Politik bestimmen kann, welche Fachbereiche an Hochschulen finanziert werden. Diese Thematik ist nicht neu. So wurde im Kalten Krieg die Nuklearforschung stark gefördert – natürlich aus politischen Motiven! Die heutigen Summen für die Friedensforschung sind im Vergleich dazu ein Pappenstiel. Ebenso kann die Förderung von gewissen Fachbereichen aus politischen Gründen wieder entzogen werden. Es kommt aber darauf an, unter welchen Umständen Forschungsfinanzierung gesprochen bzw. entzogen wird. Wenn auch nur der Eindruck entsteht, dass es wegen unliebsamer Äusserungen von Forschenden geschieht, wird es problematisch.

Warum? Erläutern Sie bitte.

Die erste Aufgabe der Wissenschaft sollte immer sein: untersuchen, analysieren, verstehen. Wenn sie sich dabei politische Scheuklappen anziehen muss, entsteht schlechte Wissenschaft. Demokratische Gesellschaften müssen sich mit unbequemen Befunden konfrontieren lassen. Sonst sind sie nicht korrekturfähig. Allerdings kommt es an Universitäten auch vor, dass sich Forschende ohne Druck von aussen Scheuklappen anziehen, indem sie ihre Forschung von der eigenen politischen Gesinnung diktieren lassen. Da darf man sich nicht wundern, wenn man von aussen auch politisch angegriffen wird, wie es jüngst dem Fachbereich Urban Studies an der Universität Basel widerfuhr. 

Wissenschaftsfreiheit

Die Wissenschaftsfreiheit ist in der Schweiz ein eigenes Grundrecht. In der Bundesverfassung steht unter Artikel 20: «Die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und Forschung ist gewährleistet.» Laut Caspar Hirschi ist darunter zu verstehen, dass Professor*innen frei sind, im Rahmen ihrer Professur das zu unterrichten, was sie für richtig erachten. Zudem dürfen akademisch Lehrende in ihren öffentlichen Äusserungen  keinen Sanktionen unterliegen, sofern diese nicht justiziabel sind.  

Die Debatten um den Fachbereich Urban Studies und Swisspeace betreffen beide die Universität Basel. Hängen die Fälle zusammen?

Es sind zwei unterschiedliche Fälle mit dem gemeinsamen Thema Nahost als Zankapfel. Bei Swisspeace handelt es sich um eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit durch politische Intervention in die Forschungsfinanzierung. Der Fall im Fachbereich Urban Studies ist eine öffentliche Kritik an politischem Aktivismus innerhalb von Universitäten. Hier möchte ich differenzieren. 

Was halten Sie von der Kritik am Fachbereich Urban Studies?

Zunächst einmal finde ich es falsch, dass der Fall als Ausdruck eines spezifischen Problems der Geisteswissenschaften abgehandelt wird. Politischen Aktivismus von Forschenden gibt es in allen Disziplinen, von den Wirtschaftswissenschaften bis zur Biodiversitäts- und Klimaforschung. 

Universität Basel Kollegienhaus
Die Universität Basel sollte sich hinter die betroffenen Forscher*innen stellen, mein Hirschi. (Bild: www.markniedermann.com)

Aber es gibt ihn bei den Urban Studies?

Zweifellos an der Uni Basel, und in diesem Fall habe ich auch ein gewisses Verständnis für die Kritik. Man muss sich schon fragen, was für ein Fachbereich wie die Urban Studies gewonnen ist, wenn die politische Gesinnung derart dominiert, dass die Forschung und Lehre insgesamt eine aktivistische Schlagseite in eine bestimmte Richtung erhält. Ist es wirklich die Aufgabe eines Fachbereichs wie der Städteforschung, eine bestimmte politische Sichtweise zu vermitteln?

Warum ist das problematisch?

Ein wissenschaftliches Fach schadet sich selbst, wenn es nur noch Gläubige einer bestimmten politischen Doktrin anzieht. Es kann seine eigene Position schlecht hinterfragen und verarmt geistig. Noch gefährlicher ist aber, dass die Universität in politische Schlachten hineingezogen wird, die anderswo, in den Parlamenten und Medien, ausgetragen werden sollten. Wohin das führt, sehen wir aktuell an amerikanischen Hochschulen, wo die offene wissenschaftliche Debatte durch politischen Gesinnungsterror von innen und aussen bedroht wird. 

Wissenschaft dreht sich aber zum Teil auch um Politik.

Selbstverständlich. Wissenschaft hat stets eine politische Dimension, aber wir können an den Universitäten massgeblich mitbestimmen, wie dominant diese sein soll. Ich bin überzeugt: Sie soll so klein wie möglich sein. Sonst wird die Universität zu dem, wovor schon der deutsche Soziologe Max Weber im Ersten Weltkrieg gewarnt hat: ein Ort, der nicht mehr zum ergebnisoffenen Nachdenken und Diskutieren einlädt, sondern zum Predigen und Ausgrenzen. Das war in den Reaktionen auf die jüngste Eskalation im Nahostkonflikt leider allzu oft der Fall, und es hat der intellektuellen Orientierungsleistung von Universitäten geschadet. 

Rathaus Basel
In Basel muss der Regierungsrat eine Interpellation zur Wissenschaftsfreiheit beantworten. (Bild: Adobe Stock)

Wie gross ist die Gefahr, dass Forscher*innen sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, weil sie Angst vor Sanktionen haben?

In den USA und in Deutschland ist diese Gefahr grösser als in der Schweiz. Sobald hierzulande die Politik einmal den Bogen überspannt, gibt es schnell öffentliche Gegenkritik, und in der Regel krebst die Politik dann wieder zurück. Es geht hier oft mehr ums Luft Ablassen als um eine systematische Hochschulzensur. Es gab ja bereits während der Pandemie die Forderung, man müsse der Swiss National COVID-19 Science Taskforce einen Maulkorb verpassen, damit sie sich nicht mehr politisch äussern könne. Auch damals kam schnell viel Gegenwind. Und die Politik hat ihn ernst genommen. Wenn in der Schweizer Politik eine Grenzüberschreitung stattfindet – und ich glaube, dies ist in Bezug auf Swisspeace der Fall – dann wird nachher versucht, die Wogen wieder zu glätten. 

Wie kann das aussehen?

Im konkreten Fall werden wohl die beiden Basler Halbkantone einen mehr oder weniger eleganten Ausweg finden, bei dem der Landrat sein Gesicht wahren und Swisspeace sein Budget behalten kann. Allgemein gibt es in der Schweiz zurzeit durchaus Bemühungen von politischer und wissenschaftlicher Seite, um die gegenseitigen Rollen besser zu klären und unnötige Konflikte zu vermeiden. Auf Bundesebene ist man da schon ein bisschen weiter als in einzelnen Kantonen. 

Interpellation von BastA-Grossrätin Tonja Zürcher

Die BastA-Grossrätin Tonja Zürcher hat eine «Interpellation betreffend Wissenschaftsfreiheit in Gefahr» beim Basler Grossrat eingereicht. Darin schreibt sie, der Entscheid, Swisspeace und deren Friedensforschung nicht zu unterstützen, werde zu Recht als Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit kritisiert. Sie möchte vom Regierungsrat unter anderem wissen, welche Bedeutung hat die Wissenschaftsfreiheit für den Regierungsrat hat und wie sich dieser sich dazu stellt, wenn versucht wird, politisch und medial Einfluss auf Forschungsinhalte und Schwerpunkte von Forschung und Lehre an der Universität Basel zu nehmen. Tonja Zürcher möchte auch wissen, was die Universität Basel zum Schutz der Forschenden und Studierenden unternimmt, wenn sie aufgrund ihrer Forschung medialem und politischem Druck ausgesetzt werden, und wie der Regierungsrat die Universität dabei unterstützt. Die Interpellation wird vom Grossen Rat im Februar schriftlich beantwortet.

Wird der Fall keine bedeutenden Konsequenzen nach sich ziehen? 

Ich denke nicht. Der Entscheid kam vom Baselbieter Landrat und nicht von einem Gremium, das eine Stossrichtung vorgibt, an der sich die gesamte Schweizer Hochschulpolitik orientieren wird. Der Landrat hat übertrieben reagiert, und im besten Fall wird der Entscheid wieder rückgängig gemacht. Die Diskussion darüber hat auch ihr Gutes, weil das Thema der Wissenschaftsfreiheit anhand eines anschaulichen Einzelfalles im öffentlichen Bewusstsein wieder geschärft worden ist.

Wie können Forscher*innen unterstützt werden, wenn sie öffentlich angegriffen werden?

Wenn Forschende von ihrer Wissenschaftsfreiheit öffentlichen Gebrauch machen und Kritik äussern, dann dürfen sie auch kritisiert und argumentativ angegriffen werden. Das ist Teil der öffentlichen Debatte in einer Demokratie. Solange in dieser Kritik kein Zensuranspruch geäussert wird oder man mit der Finanzierungskeule kommt, ist es legitim. Wenn es aber Massnahmen gibt, die auf eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit hindeuten, dann muss sich die Universität hinter die Betroffenen stellen. Ich erachte es für wichtig, dass dann eine institutionelle Antwort kommt. Hinsichtlich Swisspeace müsste die Debatte also zwischen den beiden Kantonen und der Universität Basel ausgetragen werden.

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