Tag und Nacht
Bajour-Kolumnistin Cathérine Miville hat Mühe. Eben erst war noch Morgestraich, Piccoloklänge überall und plötzlich pfeifen die Vögel den Frühling ein und die Uhren werden vorgestellt. Wer kann da den Rhythmus behalten?
Irgendwann, zwischen Nacht und Tag wach geworden, nehme ich ferne Piccolo-Klänge wahr. Pfeift sich da jemand durch die Gassen, der auch nach dem wunderbaren letzten Bummel-Sonntag immer noch nicht genug hat? Es dauert ein bisschen, bis mir klar wird, die Vögel in den hohen Bäumen hinter dem Haus haben mich geweckt. Diese extremen Frühaufsteher*innen trällern schon, haben wohl ihre Uhren nicht umgestellt – und ich hab mich auch Tage nach der Zeitumstellung innerlich noch nicht neu orientiert.
Cathérine Miville ist in Basel geboren und aufgewachsen. Sie unternahm ihre ersten Karriereschritte am Theater Basel, später lebte sie lange Zeit in Deutschland, führte an verschiedenen Häusern und bei Dieter Hildebrandts Sendung «Scheibenwischer» Regie und leitete zuletzt als Intendantin das Stadttheater Giessen. Als vor drei Jahren Mivilles Vater, der Basler SP alt Ständerat Carl Miville-Seiler, starb, beschloss sie, nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Intendantin, wieder in Basel zu leben. In ihrer neuen Kolumne «Ma ville» wirft die 70-Jährige regelmässig einen genauen Blick auf das kulturelle Leben in der Stadt und reflektiert, wie sich Basel entwickelt hat.
Gefühlt ist es erst wenige Tage her, da habe ich noch überlegt, wie ich mich am Morgestraich vor der angesagten Kälte, die dann doch nicht kam, schützen kann. Und schon begrüssen die Vögel kunstvoll die Tage. Und wie auf Knopfdruck nutzen auch schon wieder Tausende die Kleinbasler Rheinriviera zum Licht- und Wärmetanken. In Vorgärten riechen frühe Sträucher und Blumen betörend nach Frühling.
Dieser süsse Duft aktiviert eine Kindheits-Erinnerung: In den Osterferien musste ich ein bisschen bei der Frieligsbutzede mithelfen. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen, die Belohnung nach vollbrachtem Werk ist jedoch bis heute unvergessen: der Duft in meinem frisch geputzten Zimmer.
«Haben wir früher für die Zeitumstellung noch aktiv unterschiedlichste Uhren umstellen müssen, wird die Zeit heute fremdbestimmt umgestellt.»Cathérine Miville
Ein Zusammenhang zwischen Frühlingsmüdigkeit und -putzete wurde bisher nicht ergründet. Aber mit dem Beginn der helleren Zeit wechseln wir – begleitet von den jährlich gleichbleibenden Diskussionen über Nutzen und Schaden – von der sogenannten Winter- in die Sommerzeit. Haben wir dafür früher noch aktiv unterschiedlichste Uhren umstellen müssen, wird die Zeit heute fremdbestimmt umgestellt. Ohne unser Zutun ändern sich heimlich die Anzeigen (fast) aller unserer Geräte. So kriegen wir den Einschnitt am Sonntagmorgen faktisch kaum mit. Oder?
Natürlich kriegen wir ihn mit. Haben wir doch eine durchaus verlässliche innere Uhr, die sich nicht via Satelliten-Impuls umstellen lässt. Zumindest noch nicht, und hoffentlich auch noch sehr, sehr lange nicht.
Was haben Fledermäuse, Pflanzen, Insekten oder Menschen gemeinsam? Richtig, sie haben den 24-stündigen Tag-Nacht-Rhythmus verinnerlicht, über den sie ihr Verhalten und ihre Körperfunktionen optimal anpassen. Allen, die sich intensiver für die eigene biologische Uhr interessieren, kann ich wärmstens die Ausstellung «Lighten Up! – Im Rhythmus von Tag und Nacht» im Gewerbemuseum in Winterthur empfehlen.
Die wissenschaftlichen Ausstellungsmacher*innen «erkunden mit Design- und Kunstschaffenden sowie Architekt*innen die Verbindung zwischen lebenden Organismen und dem zirkadianen (circa diem = ungefähr ein Tag) Rhythmus. Die Schau feiert gleichzeitig die Kraft und die Schönheit des Tageslichts, führt in die Mysterien der biologischen Uhren ein und ergründet die Geheimnisse von Schlaf und Träumen. «Lighten Up!» erinnert dabei nicht nur an den Lauf der Sonne am Himmel, sondern auch an die Notwendigkeit von natürlichem Licht für ein gesundes Leben.»
In der Schau werden die Geschichte und die Entdeckungen der Chronobiologie, also der Wissenschaft, die den Zusammenhang zwischen lebenden Organismen und dem Hell-Dunkel-Zyklus zentral durch das Werk The Clocks Around and Within Us erforscht, das von der Trägerin des Basler Wissenschaftspreises Frau Prof. Anna Wirz Justice federführend gestaltet wurde. Dank ihrer weltweit anerkannten Forschungen zu den Schlaf-Wachrhythmen ist Basel zu einem führenden Zentrum in der Chronobiologie geworden.
Auch den Auswirkungen der Erhellung des Nachthimmels durch künstliches Licht wird nachgegangen. Und künstliches Licht ist ein Themenbereich, der mich als Theaterschaffende besonders fasziniert, hat doch light design den prägendsten Einfluss auf theatrale Räume und die Beziehungsgeflechte, die darin erschaffen werden.
«Wenn wir wahrnehmen können, was sich an Rändern in Büschen oder in Hauseingängen tut, dann kann die restliche Fläche angenehm zurückhaltend und damit energieschonend beleuchtet sein.»Cathérine Miville
In der realen Welt nimmt die künstliche Aufhellung des Nachthimmels durch Aussenbeleuchtungen rasant zu. Daher ist z.B. auf dem Bruderholz oder auf der Chrischona heute nur noch ein Abklatsch des früher sichtbaren Sternenhimmels zu bestaunen.
Nachts auf dem Heimweg bin ich inzwischen deutlich sensibler für die Beleuchtung von Gässchen und Plätzen: So freue ich mich beispielsweise jetzt immer sehr, aus dem grell illuminierten Trillergässli in die angenehm wohltemperierte Atmosphäre am Heuberg einzutauchen. Und ich verstehe nun auch, warum ich mich nicht unwohl fühle, wenn ich spät nachts quer über den Petersplatz spaziere, obwohl er nicht durchgehend gleich hell ausgeleuchtet ist: Wichtig ist nicht die Fläche, wichtig sind die Ränder.
Wenn wir wahrnehmen können, was sich an Rändern in Büschen oder in Hauseingängen tut, dann kann die restliche Fläche angenehm zurückhaltend und damit energieschonend beleuchtet sein. Es lohnt sich, mal darauf zu achten. Ich schliesse mich jedenfalls sehr gerne der Empfehlung der Ausstellung in Winterthur an: Lasst uns die Nacht zurückgewinnen und den Tag erhellen.