Das Basler Münster im Blick
Was sind die Geschichten und Botschaften hinter den Figuren und Bildern im Basler Münster? In einem neuen Buch über Basels Hauptkirche geht Historiker Oswald Inglin der Bilderwelt der Kathedrale auf die Spur. Eine Rezension.
Oswald Inglin, Historiker, ehemaliger Gymnasial-Konrektor und Grossrat, schreibt es gleich im ersten Satz seiner soeben erschienenen Publikation über Erzählbares zum Basler Münster: Hier wird wirklich nicht das erste Buch über Basels Hauptkirche vorgelegt. Aber es ermuntert und ermöglicht in der Tat, die reiche Bilderwelt dieser Kathedrale gebührend zur Kenntnis zu nehmen. In 25 Stationen werden einzelne Blickpunkte mit ansprechenden Abbildungen und mit kenntnisreich und elegant komponierten Texten präsentiert.
Die Schrift nimmt bekannte und weniger bekannte Figuren in den Blick. Zu den bekannten gehören die beiden Hauptfiguren: die Heiligen Georg und Martin am Fuss der gleichnamigen Türme. Es ergibt Sinn, dass Inglin die Legenden zu diesen Figuren nacherzählt und in anderen Fällen auch auf die biblischen Bezüge verweist, weil deren Kenntnisse heute nicht mehr vorausgesetzt werden können.
Während in früheren Zeiten bekannte Bekenntnisse und Geschichte über Visualisierungen veranschaulicht worden sind, brauchen die Abbildungen heute eine Rückführung auf nicht mehr geläufige Inhalte. Neben der Funktion, verehrten Inhalten konkrete Gestalt zu geben, hatten diese Veranschaulichungen in früheren Zeiten auch die Funktion, den wenig lesetüchtigen Menschen zentrale Botschaften des Glaubens zu vermitteln. Eindrücklich ist das Bildprogramm der gegen Ende des 12. Jahrhunderts geschaffenen Galluspforte: Es hält fest, worin die wichtigsten Wohltätigkeiten bestehen: Labung eines Durstigen, Pflege eines Kranken, Beherbergung eines Fremden, Besuch eines Gefangenen, Bekleidung eines Nackten und Speisung eines Hungrigen.
Manche mögen wenigstens im Fall des edlen Martin wissen, dass er eine Hälfte seines Mantels an einen frierenden Armen abgibt und darum für die Tugend der Barmherzigkeit steht. Der Empfänger des Mantels war zunächst ebenfalls Teil der Repräsentation, er wurde aber nach der Reformation (1597) eliminiert und durch einen Baumstrunk ersetzt. Warum? Inglin gibt die geläufige Interpretation weiter, dass die reformierte Kirche den Heiligen Martin entsakralisieren, also säkularisieren und aus ihm einfach einen König machen wollte. Darum musste die Figur des armen Mannes von der Münsterfassade verschwinden. Es gibt aber auch eine andere Erklärung: Die prominente Darstellung eines «Bettlers» stand im Widerspruch zu dem vom Reformationsregime erlassenen Bettelverbot, das uns übrigens an jüngste Versuche erinnern kann, das Betteln in Basels Strassen zu regeln.
Zu den oft weniger beachteten Figuren, obwohl am Hauptportal angebracht, gehört das Paar, das aus dem elegant auftretenden Verführer und seiner törichten Verehrerin. Heute steht es auf einer schlecht einsehbaren Höhe, früher war es tiefer angebracht, so dass man das Ungeziefer auf der Rückseite des Verführers erkennen konnte und sah, dass die Verführte, was auch Inglin hervorhebt, einladend auf ihre halb entblösste Brust verweist.
Selbstverständlich darf ein Kapitelchen über die beiden an der äusseren Chormauer seit 1180 entgegenblickenden Elefanten nicht fehlen. Ihre mögliche Bedeutung: Spekulativ kann man annehmen, dass dieses Tier für den Sündenfall steht. Weitere Erläuterungen dazu würden hier zu weit führen, können in Inglins Werk aber nachgelesen werden. Den an der Kanzel angebrachten Hund mit Knochen im Maul würde man ohne kundigen Hinweis nicht entdecken. Seine mögliche Bedeutung? Inglin kann das Geheimnis nicht lüften, immerhin erinnert er daran, dass der Hund für Treue und Wachsamkeit steht.
Ein weiteres Kapitel schildert die wechselvolle Geschichte der grossen Chorfenster. Versuche, die «opulente» Ausstattung aus dem 19. Jahrhundert zu ersetzen, scheiterten mehrfach, so dass man wieder zu den alten Scheiben zurückkehrte. Der gross abgebildete Entwurf des 1984 erkorenen, 1987 aber ebenfalls verworfenen Vorschlags von Brice Marden könnte heute ein Bedauern darüber auslösen, dass diese Lösung nicht verwirklicht wurde.
Einen besonderen Blickpunkt bilden die eisernen Klammern an der Wand über der Galluspforte. Es sind keine Kunstwerke, es sind Zeugnisse des grossen Erdbebens von 1356. Inglin nutzt sie, um daran zu erinnern, dass Basel zu den Städten mit dem grössten Erdbebenrisiko weltweit gehört und in den weiteren 2000-2500 Jahren mit einer grösseren Erschütterung zu rechnen sei. Diese grosse Dimension passt zum Blick auf dieses Gotteshaus.
Georg Kreis ist Historiker und emeritierter Professor für Neuere Allgemeine Geschichte und Geschichte der Schweiz an der Universität Basel. Bis Mitte 2011 leitete er das Europainstitut Basel und bis Ende 2011 präsidierte er die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR).
Ein zwiespältiges Lob könnte darin bestehen, dass die Betrachtungen einzelner Sehenswürdigkeiten derart gut in Wort und Bild vorgeführt werden, dass sich eine Besichtigung vor Ort fast erübrigt. Besucher*innen stehen aber mit einem ganz anderen Gefühl vor den Ausstattungen des Münsters, wenn sie dies mit dem Wissen tun, das Inglin vermittelt. So werden sie sozusagen zu den eigenen Stadtführern oder Stadtführerinnen.
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Oswald Inglin, «Das Basler Münster und seine Geschichten. Ein Rundgang». Basel Christoph Merian Verlag 2023. 120 S. 129 Abb., 25.- CHF. Die Vernissage zum Buch findet am 25. Mai 2023, um 18.30 Uhr im Münstersaal statt.
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