Sieber, Arslan und Herter – oder doch nicht?

«Habs queer Basel» hat für die nationalen Wahlen ihre Empfehlungen abgegeben. Die GLP steht dabei besonders gut da, und die Mitte überrascht. Der Konflikt mit der SP wird dadurch weiter angeheizt.

Queer
Sibel Arslan (Grüne), Balz Herter (Mitte) und Johannes Sieber (GLP): Alle drei Kandidat*innen werden von der habs queer Basel für die nationalen Wahlen empfohlen.

Die habs queer Basel (habs) hat am Montag ihr Politbarometer für die nationalen Wahlen veröffentlicht – eine wichtige, wenn auch nicht die einzige Orientierungshilfe für Menschen aus der «queeren Community» (die es als geschlossene Gruppe natürlich gar nicht gibt, aber das soll jetzt hier mal vernachlässigt werden). Alle Nationalratskandidat*innen des Kantons Basel-Stadt sowie die fünf Ständeratskandidat*innen aus den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft wurden angefragt, einen Fragebogen zu beantworten (Details zu den Kriterien findest du hier). Die Teilnahme war freiwillig, berücksichtigt wurden nur jene Kandidierende, die geantwortet hatten. 

So hat den grössten Einsatz für die queere Community gemäss Auswertung Grossrat und habs-Mitglied Johannes Sieber geleistet – und mit ihm auch seine Partei, die GLP. Platz zwei macht Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan, hier geht das Lob an die BastA!. Am meisten überrascht hat laut der habs der Basler Mitte Präsident und National- sowie Ständeratskandidat Balz Herter. Er überzeuge mit «seinem Engagement für queere Anliegen», beispielsweise, indem er sich schon früh für das Partnerschaftsgesetz stark gemacht habe. Vor allem aber war Herter der einzige Ständeratskandidat, der sich überhaupt auf die Anfrage der habs gemeldet hatte, auch das scheint ihn auszuzeichnen.

«Eine konkrete öffentliche Forderung zur Gleichbehandlung queerer Menschen haben wir von ihr nirgendwo gefunden.» 

habs zu Lisa Mathys, Basler Parteipräsidentin und Nationalratskandidatin der SP

Wahlempfehlungsmässig auf der Abschussliste stehen hingegen Mitglieder der als Gleichstellungspartei bekannten SP. Einzig die Basler Parteipräsidentin und Nationalratskandidatin Lisa Mathys reagierte auf das Schreiben. Damit dürfte sich die Partei gegenüber der habs-Community die Glaubwürdigkeit (weiter) verspielt haben. Im Politbarometer heisst es: Offenbar sei die queere Community für viele Politiker*innen nicht wirklich relevant. Dem widersprechen Nationalrätin Sarah Wyss und Ständerätin Eva Herzog auf Anfrage von Bajour. Ihre Erklärung: Der Fragebogen der habs sei wohl in der Flut an E-Mails untergegangen. Wyss sagt zudem, sie setze sich im Parlament aktiv für die Community ein, zum Beispiel mit ihrem Vorstoss des Konversionsmassnahmenverbotes. Bezüglich des Engagements von Mathys findet die habs keine lobenden Worte: «Eine konkrete öffentliche Forderung zur Gleichbehandlung queerer Menschen haben wir von ihr nirgendwo gefunden.» 

Mathys sagt dazu: «Diese Wertung überrascht mich. Ich sehe mich als Vertreterin von queerfeministischen Positionen und habe mich immer kompromisslos und auch öffentlich hinter die Anliegen der queeren Community gestellt. Gerade angesichts des aktuellen politischen Diskurs erscheint mir dies wichtiger denn je und wir müssen uns aktiv gegen Hass und Diskriminierung einsetzen.»

(Kein) Graben in der Community

Das Politbarometer verstärkt die ohnehin gängige Kritik der habs an der SP Basel-Stadt, die durch das kantonale Gleichstellungsgesetz ausgelöst wurde. Ihr wird von Mitgliedern der habs-Community vorgeworfen, sie priorisiere die Gleichstellung der Frauen.

Die pauschale Kritik an der SP als Partei ist jedoch nicht gerechtfertigt, die SP ist alles andere als queerunfreundlich. In der Debatte um das Gleichstellungsgesetz stehen sich denn auch lediglich zwei Splittergruppen gegenüber, die einen Kompromiss derzeit verunmöglichen: Einerseits sind das konservative Feminist*innen aus der linksgrünen Ecke, die sich um die erzielten Erfolge im bis dato binären Geschlechterkampf um die Gleichstellung der Frauen fürchten. Hier klingt die Argumentation so: Männer sollten akzeptieren, dass Frauen – und lesbische Frauen erst recht – immer noch grössere Schwierigkeiten haben in Sachen Gleichstellung.

Anna Rosenwasser
Anna Rosenwasser im Gespräch

Anna Rosenwasser setzt sich privat wie auch beruflich für die LGBTQI-Community ein - sie kandidiert für den Nationalrat und hat ihr «Rosa Buch» mit «queeren Texten von Herzen» publiziert. Meine Kollegin Valerie Wendenburg hat sie zum Interview getroffen.

Interview lesen

Auf der anderen Seite finden sich queere Exponent*innen (Grüne/GLP/SP), welche den Geschlechterbegriff weiter fassen und Frauen sowie Männer am liebsten ganz aus dem Gesetzestext streichen wollen. Zu letzterer Gruppe gehören auch manche habs-Mitglieder, wie beispielsweise Malcolm A. Elmiger (politisiert bei den Grünen). 

So berechtigt diese Bedenken sein mögen, das Gleichstellungsgesetz, um welches sich Schweizer Dachverbände wie PinkCross (für schwule und bisexuelle Männer) oder LOS (für lesbische Frauen) seit Jahren bemühen, wird dadurch in Basel, wo endlich Hoffnung auf Besserung besteht, torpediert und verhindert. Zu Lasten aller Frauen und der queeren Community sowie zur Freude konservativer Männer mit einem Weltbild wie zu Gotthelfs Zeiten.

Habs rutscht in die Mitte

Durch die Reibung mit der SP scheint die habs unter dem neuen Vorstand in der Person von Marc Fehlmann langsam – von links kommend – in die Mitte zu rutschen. Auch wenn der Vorstand dies selbst anders sieht. Auf Anfrage schreibt er: «Die habs queer basel ist ein parteipolitisch neutraler Verein und betreibt Sachpolitik für die queere Community, also für alle.» 

Eine andere Sicht auf die Vertreter*innen für queere Sachpolitik haben PinkCross und LOS sowie das Transgender Network Switzerland TGNS. Sie scheinen derweil Linksgrün treu zu bleiben. Gemäss deren Wahlhilfe votepink.ch, die ebenfalls am Montag verschickt wurde, sind es die Grünen und die SP, die 100 Prozent queerfreundlich sind, gefolgt von der GLP mit 99,32 Prozent. Dort steht auch, dass Balz Herter zwar keine schlechte Wahl sei, die SP aber konsequent queere Politik mache. Für Pink Cross hat die SP-Ständerätin Eva Herzog den Fragebogen ausgefüllt.

Die habs-Wahlempfehlung für Balz Herter hat in Teilen der Community denn auch zu Kritik geführt. So schreibt ein Leser zur nicht ganz ernst gemeinten Glosse von Kollegin Andrea Fopp: «Bajour, bitte, macht nicht Wahlwerbung für die Falschen, indem Balz Herter als Kandidat für queere Menschen dargestellt wird.» Denn: Die Mitte ist keine queere Partei.»

Wer die meisten Stimmen aus der queeren Community abholt, ist also umstritten. Positiv ist, wie sehr man sich inzwischen um diese Stimmen bemüht. 

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hiess es, dass queere Exponent*innen eher aus dem grün/grünliberalen Lager den Geschlechterbegriff weiter fassen und Frauen sowie Männer am liebsten ganz aus dem Gesetzestext streichen wollen. Das ist insofern falsch, als dass auch Mitglieder der SP das Positionspapier unterzeichnet haben.

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Bajour: Beste Wahl.

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