«Ich habe Angst, wenn meine Kinder morgens aus dem Haus gehen»

Der Krieg in Israel erreicht die Schulhöfe in Basel. Jüdische Eltern sorgen sich um die Sicherheit ihrer Kinder, die Israelitische Gemeinde berichtet von Drohungen.

Schule Schweiz
Jüdische Kinder und Jugendliche werden auf dem Pausenhof beleidigt.

«Dich kriegen wir noch!» Sätze wie diesen hören jüdische Schüler*innen in Basel vermehrt, seitdem Krieg in Israel herrscht. Mädchen wie Jungs werden verbal und in Chats angegriffen, manchmal von Einzelpersonen, aber auch von Gruppen. Nazi-Symbole oder Palästina-Fahnen werden den jüdischen Kindern direkt aufs Natel geschickt.

Mirjam Rosenberg ist nah dran, sie hört die Geschichten der Betroffenen. Sie ist selbst Mutter zweier Kinder und im Vorstand der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB). Innerhalb der IGB leitet sie eine Task Force, die aus aktuellem Anlass ins Leben gerufen wurde. «Die Situation ist sehr akut», sagt sie zu Bajour: «Jüdische Kinder und Jugendliche werden auf dem Pausenhof, aber auch auf der Strasse bedroht und beleidigt.» Immer wieder werde jüdischen Kindern die «Free Palestine»-Fahne gezeigt. «Das ist heikel, da die Fahne nicht für Freiheit und Unabhängigkeit steht, wie viele meinen. Im aktuellen Kontext wird damit die Terrororganisation Hamas unterstützt.»

«Unser Ziel ist es, zeitnah Weiterbildungsangebote zu starten.»

von Mirjam Rosenberg, Vorstand der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB)

Aktuell weiss Rosenberg von fünf Fällen in Basel, die an die verantwortlichen Stellen weitergeleitet werden. Sie bietet betroffenen Eltern und Schüler*innen Unterstützung und sucht auch Kontakt zu den öffentlichen Schulen. «Unser Ziel ist es, zeitnah Weiterbildungsangebote zu starten, die Schulleitungen, Klassenlehrer und Sozialdienste der Schulen erreichen, um zu sensibilisieren.» Ihre Kinder besuchen eine öffentliche Primarschule und Rosenberg ist es wichtig zu sagen, dass sie von dort nur positive Rückmeldungen auf ihre Sorgen erhalten habe. «Ich habe mich super abgeholt gefühlt und bin auf offene Ohren gestossen». Andererseits sei die Bedrohungslage bei den jüngeren Kindern auch noch nicht so ausgeprägt wie in der Sekundarschule oder an Gymnasien. 

Kippa
Jüdischen Kindern wird empfohlen, ihre Kippa nicht mehr öffentlich zu tragen.

Dennoch sind auch Eltern jüdischer Primarschüler*innen besorgt: «Ich habe Angst, wenn meine Kinder morgens aus dem Haus gehen», sagt Dina*. Sie heisst eigentlich anders, möchte aber gerne anonym bleiben. Ihre Tochter geht in die Jüdische Primarschule Leo Adler in Basel. Seit den Terroranschlägen der Hamas gegen Israel wurde die Sicherheit an der Schule erhöht. «Wir haben das Glück, dass die Schule auf dem Gelände der Israelitischen Gemeinde Basel angesiedelt ist und wir daher von den dort vorhandenen Sicherheitsmasssnahmen profitieren», sagt der Präsident der Schule Peter Bollag.

«Kinder, die eine Kippa tragen, ziehen eine Kappe darüber.»

von Dina*, betroffene Mutter

Der Mediensprecher der Kantonspolizei Basel-Stadt, Rooven Brucker, bestätigt dies: «Aufgrund der Eskalationen in Israel ist die Kantonspolizei Basel-Stadt sensibilisiert. Die bereits etablierten Massnahmen bleiben weiterhin bestehen und es werden, sofern notwendig, zusätzliche Massnahmen getroffen.» Im Jahr 2018 wurde das Polizeikorps um acht bewaffnete Sicherheitsassistenten aufgestockt, um jüdische Institutionen zu sichern.

Dina sagt: «Sicherer fühle ich mich trotzdem nicht, wenn ich tagsüber an mein Kind denke». Sie erzählt, dass die Kinder der Schule seit drei Wochen «alles verstecken sollen, was jüdisch aussieht». Kinder, die eine Kippa tragen, würden eine Kappe darüber ziehen, um unerkannt zu bleiben. Ähnlich geht es Naomi* – auch sie möchte ihren Namen lieber nicht öffentlich machen: «Ich habe Sorge, meine Kinder aus dem Haus zu schicken, sie gehen samstags auch gar nicht mehr in die Synagoge. Ich bleibe lieber mit ihnen daheim, das ist sicherer.» Auch wenn sie es angesichts der aktuellen Situation vernünftig findet, tut es ihr für die Kinder leid, dass aus Sicherheitsgründen alle Ausflüge seitens der Jüdischen Primarschule abgesagt worden seien. «Zur externen Turnhalle gehen die Kinder nun andere Wege als sonst. Das macht etwas mit den Kindern, sie merken ja, dass wir uns um sie sorgen», so Naomi. 

Handy
Nazi-Symbole oder Palästina-Fahnen werden den jüdischen Kindern direkt aufs Natel geschickt.

Ein Vater, der ebenfalls anonym bleiben möchte und dessen Schützlinge eine staatliche Volksschule in Basel besuchen, macht sich hingegen keine Sorgen, weil seine Kinder auch nicht äusserlich als Jüd*innen erkennbar seien. Er berichtet aber von der marxistischen Strömung «Der Funke», die vor dem Schulhaus Holbein Präsenz zeigte und wenige Tage nach dem Terroranschlag seitens der Hamas eine Palästinaflagge vor der Schule platzierte. Das Erziehungsdepartement habe auf den Vorfall reagiert, nachdem die Schulleitung sich erst verhaltener gezeigt habe, sagt der Vater.

«Wir dulden an unseren Schulen keine Diskriminierung.»

von Charlotte Staehelin, Kommunikation Erziehungsdepartement Kanton Basel-Stadt

Charlotte Staehelin aus der Abteilung Kommunikation des Erziehungsdepartements des Kantons Basel-Stadt bestätigt den Vorfall. Sie sagt, in der Nähe einer Schule wurde «auf der Allmend eine Verteilaktion einer Gruppierung mit einer Palästina-Flagge beobachtet.» Die Schulleitung würde sich mit dem Fall befassen, auch die Polizei sei informiert. Auf die Frage, ob an Basler Volksschulen schon Vorfälle über Mobbing jüdischer Schüler*innen gemeldet worden sei, sagt Staehelin zu Bajour: «Wir haben bislang Kenntnis von einer Provokation gegenüber einem jüdischen Schüler an einer Sekundarschule. Der Vorfall wird wie oben skizziert durch die Schulleitung aufgearbeitet.»

Die Schulleitungen seien auf die Problematik sensibilisiert und die Haltung des Erziehungsdepartements sei klar: «Wir dulden an unseren Schulen keine Diskriminierung.» Die Volksschulleitung habe alle Schulleitungen bei Schulbeginn nach den Herbstferien mit einem Schreiben noch einmal daran erinnert. Kommt es zu diskriminierenden Vorfällen, würden die Schulleitenden diese vor Ort und situativ mit den Involvierten behandeln. Bei Bedarf erhalten die Schulleitungen Unterstützung von den Stufenleiter*innen, den Mitarbeiter*innen der Schulsozialarbeit und anderen Fachpersonen, so Staehelin.

Synagoge Basel
Erhöhter Schutz für jüdische Einrichtungen

Seit den Terroranschlägen der Hamas in Israel fühlen sich auch Jüd*innen in der Schweiz zunehmend bedroht. Nun erhöht der Kanton Basel-Stadt die Sicherheit von jüdischen Einrichtungen. Neu werden neben der Synagoge an der Leimenstrasse (Foto) auch an der Synagoge der orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft an der Ahornstrasse Poller und Schutzgeländer errichtet. Auch vor weiteren Gebäuden jüdischer Einrichtungen wird die Sicherheit mit baulichen Massnahmen erhöht. Basel-Stadt hat im Jahr 2018 schweizweit eine Vorreiterrolle eingenommen, in dem er Gelder für die Sicherheit jüdischer Institutionen bewilligte.

Besorgt zeigt sich auch die Israelitische Gemeinde Basel, die sich in einem Spezial-Newsletter an ihre Mitglieder wendet. Darin heisst es: «Leider ist es zu einer akuten Häufung von antisemitischen und antizionistischen Vorfällen gekommen. Wir konnten einige Mitglieder bei solchen Vorfällen in den Schulen unterstützen.» Eltern von betroffenen Kindern werden darum gebeten, die Vorfälle zu dokumentieren und sich an die Gemeinde zu wenden – die Taskforce unter Mirjam Rosenberg hilft dann je nach Fall konkret. Um Jugendliche direkt zu unterstützen, wurde bereits ein Zoom-Meeting organisiert, in dem Schüler*innen und Eltern über das Sicherheitsdispositiv der Gemeinde informiert wurden. Ausserdem bot die Gemeinde einen Workshop für Jugendliche sowie eine interaktive Diskussion zum Thema «Wie über den Angriff auf Israel sprechen?» mit den Historikern Simon Erlanger und Erik Petry zur Einordnung der Geschehnisse seit dem 7.Oktober an. Weitere Angebote werden aktuell geplant, aufgrund der starken Verunsicherung auch weitere Zoom-Konferenzen für jüdische Familien in Basel.

Bedrohung betrifft nicht nur jüdische Schüler*innen

Die Situation ist angespannt – die Unsicherheit und Bedrohung betrifft aber nicht nur jüdische Schüler*innen in der Schweiz. So ist in der Chronologie der rassistischen und fremdenfeindlichen Vorfälle der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus GRA folgender Eintrag vom 18. Oktober aus Chur zu lesen: «Ein 16-jähriger Junge telefoniert mit seinem Vater auf Arabisch und wird von einem älteren Passanten mit den Worten beschimpft: ‹Ihr Araber seid doch alle Terroristen›.»  Die aktuellen Ereignisse im Nahostkonflikt sind also auch hierzulande in verschiedenen Communitys zu spüren.

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*Klarnamen der Redaktion bekannt.

Herz Stern
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