Die Angst vor Baustellen hat überwogen

Das Basler Stimmvolk wünscht sich einen nachhaltigen Umbau der Stadt, aber nicht im Tempo der abgelehnten Stadtklima-Initiativen. Der Auftrag an die Regierung besteht trotz des deutlichen Neins weiterhin. Eine Analyse.

Esther Keller, Regierungsraetin des Kantons Basel-Stadt und Vorsteherin des Bau- und Verkehrsdepartements, in Basel, am Montag, 24. Januar 2022. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Die Basler Verkehrsdirektorin Esther Keller wertet das klare Nein als Vertrauensbeweis.

Wie versteinert sass die Linke im Grossratssaal, als an diesem Abstimmungssonntag um punkt 12 Uhr das Zwischenresultat der beiden Stadtklima-Initiativen verkündet wurde: Ein klares Nein zur Gute-Luft-Initiative (56,88 Prozent) und ein noch klareres Nein zur Zukunfts-Initiative (59.65 Prozent). Selbst die bürgerlichen Gegner*innen klatschten nur verhalten, so gross war die Überraschung ob der Deutlichkeit. 

Die Basler Stimmbevölkerung hat also Nein gesagt zu einem radikalen Umbau der Stadt. Dieser hätte innerhalb von 10 Jahren mehr Bäume, mehr Fussverkehr, Velo, Tram und Bus bedeutet. Und zwar auf 480'000 Quadratmetern, was knapp der Hälfte der Fläche des Gundeli-Quartiers entspricht. Die Umsetzung des Langsamverkehrs beurteilte das Stimmvolk als noch problematischer als die Begrünung der Stadt.

Äusserst präsente Kampagnen

Das doppelte Nein ist ziemlich spektakulär. Nicht nur weil die Ja-Kampagnen des Vereins Umverkehr äusserst präsent waren; sie gehörten abgesehen von der Kampagne zur Klimagerechtigkeitsinitiative 2030 in den letzten Jahren wohl zu den sichtbarsten Kampagnen in der Stadt. Der Gegenvorschlag zu Letzterer wurde vergangenen November angenommen: Netto-Null bis 2037. Basel hatte sich bereits damit das ambitionierteste Klimaziel der Schweiz gesetzt. Und dieses gilt weiterhin, auch mit dem Nein zur jüngsten Abstimmung.

«Wir haben den klaren Auftrag in der Verfassung», sagt Tonja Zürcher im Rathaus zu Bajour. Sie ist GAB-Grossrätin und Sprecherin des Vereins Umverkehr. Und weiter: Verkehrsdirektorin Esther Keller (GLP) müsse ihr Versprechen, vorwärts zu machen, nun trotzdem einhalten.

Grosser rat
Versteinerte Blicke im Grossratssaal nach Verkündigung der Zwischenresulate.

«Wir haben den klaren Auftrag in der Verfassung»

von Tonja Zürcher, GAB-Grossrätin und Sprecherin des Vereins Umverkehr

Das Resultat überrascht aber auch, weil Basel sonst links-grün tickt. Es ist ein Novum, dass eine Öko-Vorlage so deutlich bachab geschickt wird. Und das bedeutet in erster Linie: Die Initiativen waren wohl doch zu radikal formuliert. Und: Die Gegenargumente der Bürgerlichen haben mehr überzeugt. 

Diese mobilisierten in den vergangenen Wochen ebenso tatkräftig wie die Initiant*innen. Sie liessen kaum eine Gelegenheit aus, den Basler*innen zu erklären, dass eine Annahme zu mehr Baustellen, ja am Ende sogar zu einem Verkehrskollaps führen würde. Selbst um graue Energie haben sich bürgerliche Exponent*innen gesorgt: So sagte FDP-Grossrat Daniel Seiler im Pro-Contra-Video von Bajour: Würden Strassenflächen vor dem Ende ihrer Lebensdauer aufgerissen und umgestaltet, dann werde viel graue Energie vernichtet. Das klang aus dem Mund des ACS-Geschäftsführers (beider Basel) allerdings so glaubwürdig, wie wenn Rechtskonservative Patriarchen plötzlich beginnen, sich um Frauenrechte zu sorgen. Aber im harten Abstimmungskampf war jedes Argument recht.

Ebenfalls ins Feld geführt wurde das ziemlich starke Argument des verhinderten Fernwärmeausbaus von den GLP-Verteterinnen Katja Christ im Interview mit Bajour und von Esther Keller auf Primenews. Es lautete so: Der Fernwärmeausbau bis 2037 ist ohnehin schon sehr ambitioniert. Die Stadtklima-Initiativen würden nochmals zu fünf Mal mehr Baustellen führen, wodurch die gesetzten Fristen für die Fernwärme nicht mehr eingehalten werden könnten.

«Ich habe im Abstimmungskampf immer gesagt, die Weichen sind gestellt, wir wollen mehr Grün, mehr Velowege, mehr Fläche für Fussgänger*innen und den ÖV, aber einfach nicht in diesem Tempo.»

von Verkehrschefin Esther Keller, GLP

Für die Grünen hingegen war alles nur eine Frage des politischen Willens. Sie waren der Meinung, die Begrünung und Entsiegelung könne im Rahmen des Fernwärmeausbaus umgesetzt werden. Alles machbar, wenn man nur wolle. Und die Regierung, nicht mehr in links-grüner Hand, wolle einfach nicht. Ein Ja hätten die Grünen als klaren Paradigmenwechsel gelesen. Nun bleibt ein Scherbenhaufen und ein erster verstohlener Blick auf die Wahlen im kommenden Herbst, wollen die Grünen doch wieder in die Regierung.

Keller wertet das Ergebnis derweil als Vertrauensbeweis: «Ich habe im Abstimmungskampf immer gesagt, die Weichen sind gestellt, wir wollen mehr Grün, mehr Velowege, mehr Fläche für Fussgänger*innen und den ÖV, aber einfach nicht in diesem Tempo.»

Stimmvolk setzt auf Realpolitik

Sind wir also doch nicht parat, radikal umzudenken? Jein. Vielleicht muss man es anders sagen: Die Basler Stimmbevölkerung hat auf Realpolitik gesetzt. Das Parlament hatte es im Juni nicht geschafft, sich auf Gegenvorschläge zu einigen. Einem für eine Demokratie so wichtigen Kompromiss einen Strich durch die Rechnung gemacht haben die SVP auf der einen Seite (geht zu weit) und SP/GAB auf der anderen (zu wenig weit). Nun werden die Linken abgestraft. Sie haben es darauf angelegt, dass es um alles oder nichts ging. Rausgekommen ist: nichts.

«Es freut mich, dass man im Kanton aufzeigen konnte, dass die Stadt schon sehr gut unterwegs ist in der Thematik, die die Initiativen zum Inhalt hatten, und dass das mit einem klaren Resultat gewürdigt wurde.» 

von Hansjörg Wilde, Präsident des Gewerbeverbands

In der Stadt wird nun dennoch nicht nichts passieren. Das betont auch Hansjörg Wilde, Präsident des Gewerbeverbands, im Kurzinterview mit Bajour: «Es freut mich, dass man im Kanton aufzeigen konnte, dass die Stadt schon sehr gut unterwegs ist in der Thematik, die die Initiativen zum Inhalt hatten, und dass das mit einem klaren Resultat gewürdigt wurde.» 

Konkret: Erstens gilt Neto-Null 2037 weiterhin. Und zweitens werden nun die im Grossen Rat abgelehnten Gegenvorschläge (Mehrheit Umwelt- Verkehrs- und Energiekommission
) nochmals beraten – durch einen etwas speziellen Move der GLP. Die Motionär*innen sind trotz Ablehnung der Initiative der festen Überzeugung, dass die Gegenvorschläge im Sinne der Mehrheit der Stimmbevölkerung gewesen wären, weshalb sie die Zielvorgaben mittels Motion einführen (hier und hier). Die Geschäfte stehen im Dezember auf der Traktandenliste.

Am Ende war der grosse Streitpunkt im Parlament das Umsetzungs-Tempo, inhaltlich war man sich weitgehend einig, es gab einen breiten Konsens, dass es einen Umbau der Stadt braucht. Nun dürfte alles irgendwann trotzdem passieren, einfach eben langsamer. Dafür kommt es vielleicht zu weniger Polarisierung.

Diese Abstimmung sollte Signalwirkung für den Rest des Landes haben. Für die anderen Deutschweizer (Gross-)Städte, in denen derzeit Stadtklima-Initiativen anstehen, besteht indes kein Anlass zu grosser Trauer. Zu ihrem Glück ist Basel gar nicht so links, wie es selbst gerne meint; zumindest Zürich und Bern sind linker.

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