Kämpferisch ja, Konfrontation nein

Die unbewilligte Demonstration am 8. März zog laut und friedlich durch die Stadt. Die Polizei riegelte die Innenstadt ab – und die Demonstrant*innen suchten sich einen anderen Weg.

Internationaler Frauentag, Feministischer Kampftag, unbewilligte Demonstration
Die Demo am Internationalen Frauentag 2024 verlief friedlich.

Als im De Wette-Park kurz nach halb 7 Uhr die ersten Transparente mit feministischen Schriftzügen ausgebreitet werden, dröhnt es aus einem Lautsprecher: «Das ist eine wichtige Durchsage der Polizei an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom Frauenkampftag. Diese Kundgebung ist nicht bewilligt. Ein Marsch durch die Innenstadt wird nicht geduldet. Aber ein Marsch via Elisabethenstrasse über die Wettsteinbrücke wird geduldet.»

Der Polizist wiederholt die Durchsage und die Demonstrant*innen antworten mit Pfiffen und «Ganz Basel hasst die Polizei»-Rufen. Werden sie sich diesen Vorgaben fügen? Vorerst lautet die Antwort: Nein. Denn statt zur Elisabethenstrasse läuft die Menge nach einer Rede zur Bedeutung des 8. März, «dem Internationalen Tag gegen das Patriarchat», zur Heuwaage los. 

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«Mein Körper, Meine Entscheidung. Gegen den binären Genderwahn», steht da.

Drei grosse Transpis bilden die Spitze des Zugs, dahinter werden erste Fackeln gezündet, begleitet von lauten Parolen. «Wämm sini Stroosse?» – «Unseri Stroosse!». Die Menge wirkt kämpferisch und bewegt sich in schnellem Schritt – während das 2er-Tram stillsteht, bis die schätzungsweise 300–400 Demonstrant*innen über die Gleise auf die Strasse gelangt sind.

Via Heuwaage und Steinentorstrasse geht es weiter Richtung Innenstadt, ein Polizist fährt auf einem Töff voraus, die Polizist*innen zu Fuss regeln den Verkehr und winken potenzielle Gaffer*innen energisch weiter. An der Kreuzung Theaterstrasse/Steinenberg kommt die Demo zum Stehen – der Weg Richtung Innenstadt ist mit gelbem Polizeiband abgesperrt, dahinter eine ganze Reihe Polizist*innen in Vollmontur. «Nicht auf den Kopf zielen gäll», sagt jemand durchs Megafon die Richtung eines Polizisten, der ein Gewehr für Gummischrot im Anschlag hat, und die Menge stimmt eine der vielen Parolen an, die noch im Park auf einem kleinen Zettel verteilt wurden.

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Am Steinenberg sagt jemand durchs Megafon: «Nicht auf den Kopf zielen gäll.»

Dann eine Rede, die zum Ausdruck bringt, dass «Our bodies, our choices» (unsere Körper, unsere Entscheidungen) in einem umfassenden Kontext verstanden wird: «Nieder mit Apartheid, nieder mit Kolonialismus, nieder mit Kapitalismus, nieder mit weisser Vorherrschaft und NIEDER MIT DEM PATRIARCHAT.» Diese letzten laut geschrienen Worte werden von der Menge mit lautem Jubel und Klatschen beantwortet, bevor sie zu «Free, free Palestine»-Rufen ansetzt.

Man merkt es an der Wortwahl der Reden und an den diversen Transpis und Schildern: Diese Demo hat ihre Triebfeder in der linksautonomen Szene. Und diese will den Kampf gegen das Patriarchat intersektional führen und bringt diverse Positionen zusammen: Gegen den «binären Genderwahn», Femizide, Sexismus, für Rojava und Palästina, für die Freiheit.

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«Femizide sind politische Verbrechen»

Nadia Brügger ist Mitiniatorin des ersten Rechercheprojekts zu Femiziden in der Schweiz und setzt sich dafür ein, dass der Begriff auch offiziell benutzt wird. Im Interview erklärt sie, warum Gewalt gegen Frauen alle etwas angeht.


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Und spätestens hier kommt die zweite Antwort auf die Frage, ob sich die Demonstrant*innen an die Vorgaben halten, denn sie entscheiden sich, den freien Weg Richtung Bankverein einzuschlagen und nähern sich der Polizeilinie nicht. 

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Nicht nur Flaggen, sondern auch ein grosses Transpi bekundet Solidarität mit Palästina.

Ein Moment der potenziellen Spannung scheint gelöst. Die Demonstrierenden schreiten fort. Mittendrin schallt Musik aus den mobilen Boxen. In der hinteren Hälfte des Zuges wird auf Trommeln gespielt und dazu getanzt. Zu Pfeifkonzerten kommt es beim Passieren des Bankvereins und beim Halt vor dem Kunstmuseum. Der Grund: Sowohl die Freie Strasse als auch die Rittergasse werden von der Polizei abgeriegelt und der Demozug reagiert: «Tout le monde déteste la police.» Das war’s dann aber auch.

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Richtung Münsterplatz darf die Demo nicht.

Nach einer weiteren Rede bewegt sich der Zug friedlich über die Wettsteinbrücke ins Kleinbasel. Von einer Absicht, in die Innenstadt vorzudringen, ist kaum etwas übrig. Zu Auseinandersetzungen kommt es nur mit genervten Passant*innen. «Ich bin auch eine Frau, aber das ist kontraproduktiv», sagt eine ältere Frau aufgebracht und zeigt auf die Menge.

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Ab über die Wettsteinbrücke.

Auf der anderen Seite des Rheins angekommen, geht es ohne grosses Zögern Richtung Claragraben. Kurz vor dem Claraplatz rennen plötzlich alle. Die Demo nimmt sich den Platz, bevor die Polizei reagieren könnte. Es folgt eine weitere Rede.

Schnell zeichnet sich ab, dass es auf der Mittleren Brücke kein Durchkommen gibt. Die Demonstrierenden quetschen sich an der Baustelle vorbei durch die Klybeckstrasse vor dem letzten Abzweiger Richtung Claramatte. Dort setzen sie, umringt von grünen Lichtern, zu letzten Reden an. Das blaue Licht bleibt fern. Dialogteams halten sich am Rand des Platzes. Snacks werden ausgepackt, die Musik aufgedreht, ein Prosecco-Korken knallt. «Es war so schön, ermutigend, empowernd», sagen Demonstrant*innen zu Bajour – auch wenn einige ihr Unverständnis äussern, weshalb man «ums Verrecken» nicht durch die Innenstadt ziehen durfte. Viele seien nach den letzten Demo-Erfahrungen im vergangenen Jahr am 1. Mai oder am 8. März verunsichert gewesen, die Erfahrung heute habe gut getan. 

«Die Demo verlief friedlich. Trotz schwieriger Ausgangslage sind wir mit dem Einsatz zufrieden», sagt Polizeisprecher Rooven Brucker. «Der Kompromiss, den wir angeboten haben, hat funktioniert. Natürlich, ganz ideal wäre es gewesen, wenn die Demo noch bewilligt gewesen wäre, das hätte es planbarer gemacht, auch für den Verkehr.» 

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Nach getaner Arbeit zieht das Dialogteam in Kolonne ab.

Eine Bewilligung hätten sich indes auch potenzielle Demo-Teilnehmer*innen gewünscht, die im Vorfeld beim organisierenden Bündnis «Rabia» auf Instagram ihr Unverständnis äusserten: Ohne Bewilligung würden sie Personen von der Demo ausschliessen (genannt werden u. a. Menschen mit Behinderungen, ohne sicheren Aufenthaltsstatus oder mit Angst vor unbewilligten Demos und Auseinandersetzungen mit der Polizei). 

Die Kommentierenden warfen dem Bündnis vor, «die armen anderen» befreien zu wollen, statt mit ihnen zu kämpfen. Dieser Ausschluss sei unsolidarisch und unfeministisch. Gegenüber Bajour äusserte sich das Bündnis nicht zu diesen Vorwürfen, auf Instagram antworteten sie aber, die Inklusivität lasse sich nicht nur anhand der Bewilligungsfrage messen. «Am 8. März für Frauen und genderqueere Personen auf die Strasse zu gehen ist legitim und muss nicht erbittet werden. Die Gewalt in dieser Gesellschaft geht von der Polizei aus, so auch am letztjährigen 8. März.

«Am 8. März für Frauen und genderqueere Personen auf die Strasse zu gehen ist legitim und muss nicht erbittet werden.»

von Rabia – Revolutionäres Antipatriarchales Bündnis Basel

Wir erinnern uns: Letztes Jahr duldete die Polizei die 8. März-Demo nicht und kesselte die Demonstrant*innen bei der Unibibliothek ein. Den damaligen Gummischroteinsatz beurteilte die Polizei im Nachhinein als verhältnismässig.

Warum konnte diese unbewilligte Demonstration im Vergleich zum Vorjahr friedlich stattfinden? Brucker sagt dazu, die Ausgangslage sei heute eine ganz andere gewesen: «Die Eskalation der Klima-Demo im Februar 2023 hat letztes Jahr zu mehr Spannungen geführt. Das war dieses Mal sicher anders.» Grundsätzlich könne man zwei Demos aber aufgrund der «komplexen Lagebeurteilung fast nie vergleichen». Sachbeschädigungen seien der Polizei keine bekannt.

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