Das Wunder von Bajour

Die fünfköpfige Kern-Redaktion hatte einen Plan: Innerhalb von drei Jahren zu einer 20-köpfigen Redaktion anwachsen. Dann kam Corona und dann kamen 15’000 Gärngschee-Freund*innen, wirbelten alles durcheinander und brachten Bajour auf Kurs.

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Ja, das IST eine Fotomontage! Mit der Bajour-Kernredaktion. Und den Neuen.

Bei Bajour war die Krise vor Corona. An einem Montag Ende Februar sass Redaktorin Andrea Fopp vor der Markthalle auf einem Palett und rief Projektleiter Hansi Voigt in Zürich an: «Hansi, du musst kommen», sagte sie. «Unser aller Selbstbewusstsein ist am Arsch, wir wissen nicht, wie weiter. Du musst jetzt den Laden ziehen. Wenn du vorausrennst, rennen wir dir nach.»

Nur: Hansis Selbstbewusstsein war auch am Boden. Ihm war mit Bajour passiert, was schon vielen Mediengründer*innen am Anfang passiert ist: Die Redaktion wusste nicht, wohin. Sie überlud sich mit Ansprüchen und sie haderte, wenn sie sie nicht erfüllen konnte.

Die kleine, fünfköpfige Bajour-Redaktion und die zwei Mitglieder der Geschäftsleitung hatten sechs Monaten davor bei null angefangen. Erst machten wir ein paar thematische Veranstaltungen – eine Webseite hatten wir zu dem Zeitpunkt noch gar nicht. 

Selbstanspruch bis zum Stillstand

Viel Mühe steckten wir als Nächstes in unser Basel Briefing. Wir wollen, dass unser täglicher Newsletter bei möglichst vielen Basler*innen zur festen Gewohnheit wird und freuen uns seit Beginn über den stetigen Zuwachs. Bei der 1000sten Abonennt*in kam schon sowas wie ein «Massenmedium-Feeling» auf. 

Am 1. März kam eine weitere Redaktionskollegin dazu. Das Budget ist trotz Stiftungsbasis eng bemessen. Trotzdem wurde es Zeit zu zeigen, dass wir jetzt auch klassischen Journalismus liefern können. Wie es von Bajour auf lange Sicht erwartet wird. Und hier blieben wir stecken.

«Das Ziel? Zu einer verlässlichen journalistischen Basler Medien-Stimme werden.»

Immerhin hatten wir eins klar vor Augen: unsere Zielgruppe. Der konstruktive, vernetzt denkende Teil der Basler Bevölkerung, der sich auf dialogische und neue Journalismusformen einlässt – aber auf alte Medienpflichten, wie regionale Vielfalt, Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit besteht. Mit diesen Nutzer*innen wollten wir in den nächsten drei Jahren Schritt für Schritt wachsen. 

Spätestens nach drei Jahren sollte eine knapp 20-köpfige Redaktion, finanziert von einer oder mehreren Stiftungen, zusätzlich befeuert von ein paar Crowdfundings und vor allem getragen von mehreren Tausend Unterstützer*innen zu einer verlässlichen journalistischen Basler Medien-Stimme werden.

«Aber wie dorthin kommen? Mit sechs Redaktor*innen?»

Zwei der Redaktor*innen mit einem Flair für Technik waren mit der sich störrisch verhaltenden Homepage beschäftigt. Zwei mit dem Basel Briefing. Blieben noch zwei übrig. Und die sollten jetzt also Journalismus mit Tiefgang machen – personelle Überforderung pur.

«Plötzlich überstrahlte eine Frage alle anderen.»

Andrea rief also Hansi an und bat ihn, die Chefredaktion zu übernehmen. Doch der zauderte. Vorerst: «Ich als alter weisser Mann und Zürcher in Basel, das geht doch nicht», sagt er. Andrea wartete bis zur nächsten Teamsitzung, dann sagte sie nochmals: «Wir wollen, dass du kommst. Und wenn du kommst, geben wir alles.»

Erst kam Corona, dann kamen 15'000 Basler*innen und dann war alles klar

Hansi kam. Und dann kam Corona und machte erstmal alle schönen Themenpläne zunichte, die wir uns zurechtgelegt hatten. Dichtestress am Rheinufer? Vielleicht nächstes Jahr. Plötzlich überstrahlte nämlich eine Frage alle anderen: Welchen journalistischen Austausch braucht es, wenn der physische Austausch auf ein Minimum heruntergefahren wird?

Natürlich, zuerst stellten wir uns journalistische Grundsatzfragen. Ein Medium soll in erster Linie vermitteln, dachten wir uns. Aber angesichts der vielen älteren Mitbürger*innen in Hausarrest lag es für uns auf der Hand, konkrete Unterstützung zu vermitteln. Digitales Angebot trifft auf analoge Nachfrage, oder so ähnlich. 

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Zwei von 15'000 Menschen: Auch Helferin Susan und Frau Loosli fanden sich via unsere Nachbarschafshilfe-Gruppe Gärngschee.

Also machten wir an einem Donnerstag Abend spontan die Facebook-Gruppe Gärngschee auf. Der Rest ist eine Explosion an Nachbarschaftshilfe. Die Vernetzung erfolgte in Windeseile und über Bajour. Nach ein paar Tagen waren 15’000 Basler*innen in der Gärngschee-Gruppe.

Die Redaktion von Bajour nahm die Fragen der Community auf, beantwortete sie journalistisch und führte die Antworten zurück. Journalismus auf Augenhöhe halt – auch so ein Schlagwort, das wir aber plötzlich von der Theorie in die Praxis überführen konnten.

Item: Bajour konnte noch gar nicht richtig laufen, als wir plötzlich einer grossen Leser*innenschaft zeigen durften, was wir können. Also gingen wir eine Wette ein: Während die grossen Zeitungsverleger auf Kurzarbeit umstellten, den Aktionär*innen gleichzeitig Dividenden auszahlten und anschliessend beim Bundesrat um Unterstützung bettelten, holten wir zehn neue Mitarbeiter*innen mit vorerst befristeten Arbeitsverträgen an Bord und fuhren die Bajour-Website in Windeseile hoch.

Briefing, Podcast, Kulturprogramm: Check

Jeden Tag veröffentlichen wir rund drei selbst recherchierte Artikel. Unser Newsletter, das Basel Briefing, wird inzwischen jeden Morgen von über 2’000 Leser*innen angeschaut. Wir haben den Podcast “Nach dem Piepston” ins Leben gerufen und mit dem Live-Stream «Gärngschee Kultur» eine Konzert-Plattform und Ertragsmöglichkeit für Kulturschaffende aus dem Boden gestampft.

«Eins ist klar: Dass es unabhängigen Journalismus nie so sehr braucht, wie in Krisenzeiten.»

Und wir machen guten alten Journalismus. Wir schicken Reporter*innen als Spargelstecher aufs Feld, wir trauen uns zu fragen, was Tamedia mit der BaZ vorhat, wir feiern die Held*innen aus der Community, wir vernetzen Basler Gewerbler*innen mit der digitalen Kundschaft und wir moderieren die Kommentare von inzwischen fast 20’000 Follower*innen auf den Bajour-Kanälen in den sozialen Medien. Kurz: Wir tun all das, was man von einem etablierten, regionalen Basler Medium erwarten kann. Corona hat Bajour wachgeküsst.

Klar, wir haben immer noch Selbstzweifel, wir haben immer noch zu hohe Ansprüche. Aber wir sind in kürzester Zeit zu einem Team zusammengewachsen, das Hand in Hand arbeitet und weiss, wofür es hier ist. Denn eins ist klar: Dass es unabhängigen Journalismus nie so sehr braucht, wie in Krisenzeiten. 

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Wir trauten unseren Augen kaum: Unbekannte Basler*innen hängen solche Plakate in der Stadt auf.

Wir merken das jeden Tag. Leute schreiben uns Mails, rufen uns an, verteilen Flyer. Unbekannte Basler*innen hängen sogar Plakate für die Gärngschee Community mit dem Hinweis “Bajour hilft” auf. Das muss man sich mal vorstellen. Manchmal haben wir das Gefühl, wir leben in einem Märchen, das wir selber schreiben. Wir würden es «das Wunder von Bajour» nennen.

Wir haben gewettet: Auf euch

Allerdings bleibt ein sehr ernsthaftes Problem: Wir leben derzeit völlig über unsere Verhältnisse. Dass wir unsere Redaktion innerhalb von sechs Wochen auf zehn Leute hochfahren, war eigentlich nicht geplant.

Zum Glück haben wir euch, unsere vibrierende Community. Ihr macht zwar viel Arbeit, aber auch viel Freude. Und vor allem habt ihr der ganzen Bajour-Sache so viel Leben und Hoffnung eingehaucht, dass wir uns inzwischen fast alles getrauen.

Aber, und das ist ein grosses Aber: Wir brauchen dich.

Und hier kommt die Wette: Wir haben gewettet, dass wir, wenn wir euch sechs Wochen lang richtig zeigen, was wir alles vorhaben und zum Teil schon können, genug Unterstützer*innen finden, um den weiteren Betrieb von Bajour, Gärngschee, Gärngschee Kultur mit allem Drum und Dran fortzusetzen. Weit über Corona hinaus. Aber, und das ist ein grosses Aber: Wir brauchen dich und die anderen langfristig geplanten 3’000 bis 4’000 Unterstützer*innen von Bajour nicht in drei Jahren... Wir brauchen dich jetzt. Sofort. Subito.

Das Versprechen

Nun, was bekommst du denn für deine Unterstützung? Es gibt vor allem ein paar Versprechen. Wir versprechen, dass wir jeden Franken, den wir bekommen, in den Journalismus stecken. In Reportagen, in Veranstaltungen, in die Moderation der Community und in den gepflegten, journalistisch begleiteten Dialog. 

Wir versprechen, dass wir alles daran setzen, dass Basel wieder ein breit verankertes Medium bekommt, das in Basel für Basel gemacht und gedacht ist. Wir versprechen, uns weiterhin uneitel in den Dienst der journalistischen Debatte zu stellen – und die riesige Basler Gärngschee-Community bei Bajour weiterhin als konstruktives Netzwerk den Ton angeben zu lassen.

Und was ist, wenn Bajour nicht die schnelle Unterstützung bekommt? Dann geht’s zurück zum ursprünglichen Plan, dem langen Weg und den stetigen kleinen Schritten. Das wäre natürlich eine grosse Enttäuschung. Aber dann braucht Bajour wie ursprünglich gedacht halt doch drei Jahre statt drei Wochen. Am Versprechen, bis dahin eine gehörte journalistische Basler Stimme zu werden, halten wir aber fest.

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