Die Basler Bürgerlichen greifen die Steuern an
Luca Urgese von der FDP möchte die Steuern senken und könnte damit durchkommen. Auch wenn die Linke tiefere Staatseinnahmen etwa so gern hat wie Bürgerliche die Internationale.
Es war klar, dass das kommt: Die Bürgerlichen wollen die Steuern senken. Das ist, was Bürgerliche tun. Luca Urgeses Spielzug war vorhersehbar: Als Leiter Finanzen und Steuern der Handelskammer hat der Freisinnige seine Motion sorgfältig vorbereitet.
Im Juni präsentierte der Wirtschaftsverband eine neue Studie, die sie bei Kurt Schmidheiny, Professor für Ökonomie an der Uni Basel, in Auftrag gegeben hatte. Fazit: Basler Familien, die weniger als 90’000 Franken Einkommen haben, zahlen deutlich weniger Steuern als der Schweizer Durchschnitt. Dafür berappen Einkommen zwischen 100’000 und 500’000 Franken überdurschnittlich viel. (Im Oktober interviewte Urgese denselben Kurt Schmidheiny zum Thema).
Es war also nur eine Frage der Zeit, bis Urgese noch eine Motion nachschob. Der Freisinnige argumentiert einerseits mit den vollen Staatskassen. «Basel-Stadt kann sich tiefere Steuern leisten», sagt er und verweist auf die strukturellen Überschüsse, die Basel-Stadt Jahr für Jahr verbucht. Gemäss Finanzplan sind es zwischen 2023 und 2025 50 bis 80 Millionen Franken.
Anders als etwa der Kanton Zürich. Dort haben die Bürgerlichen Politiker*innen soeben 70 Millionen Franken aus dem Budget gestrichen, um Steuererleichterungen zu finanzieren. Urgese dagegen stellt keine Kürzungsanträge.
Auch Familien sollen profitieren
Der zweite Grund für tiefere Steuern ist aus Urgeses Sicht die Standortattraktivität: «Wir müssen für Fachkräfte attraktiv bleiben. Gerade angesichts der OECD-Reform, die in zwei Jahren umgesetzt wird.»
Die OECD will die Unternehmenssteuern umkrempeln, die Basler Wirtschaft und Politik erwarten Steuerausfälle für Basel-Stadt, etwa von der hiesigen Pharma. Urgese befürchtet einen Nachteil für die Wettbewerbsfähigkeit der Basler Unternehmen: «Deshalb müssen wir bei den Einkommenssteuern attraktiver werden, damit weiterhin gut gebildete Fachkräfte zu uns kommen und hier bleiben.»
Aber auch Familien will Urgese entlasten: «Der Handlungsbedarf ist bei Einkommen über 100'000 Franken am grössten. Dort würde ich persönlich ansetzen.» Den Betrag hat er allerdings nicht in die Motion geschrieben: «Ich bin offen für eine breite Debatte.» Er könne sich auch vorstellen, diejenigen Familien zu entlasten, bei denen das Budget knapp sei, weswegen sie durch höhere Abzüge entlastet werden sollen.
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Politisch ist der Zeitpunkt für Steuersenkungen günstig: Urgeses eigene Partei hat an den letzten Wahlen zwar den Regierungsrat und Parlamentssitze verloren, ebenso die SVP. Dafür spielt die in Finanzpolitik bürgerlich tickende GLP jetzt sowohl in Regierung als auch im Parlament das berühmte
Zünglein an der Waage.
Diese Ausgangslage ist wohl auch Finanzdirektorin Tanja Soland (SP) bewusst. Sie hat ein Massnahmenpaket angekündigt, noch bevor Urgeses Motion publik war. Unter anderem, weil sie bereits zwei weitere Steuerbegehren auf dem Tisch hat: Die Mitte fordert einmal mehr, dass man die Krankenkassenprämien von den Steuern abziehen kann und die Riehener Gemeindeinitiative «Familien entlasten» will den Sozialabzug für jedes Kind von ursprünglich 7'800 Franken auf 9'300 Franken erhöhen.
Stellt sich die Frage: Kommt Urgeses Motion auch ökonomisch zu einem guten Zeitpunkt?
Die Regierung hat erst grad mitgeteilt, dass sie die nächsten geplante Steuersenkung im Rahmen der Unternehmenssteuerreform um ein Jahr verschieben muss. Der Grund: Infolge der Pandemie lag zwischenzeitlich eine Rezession vor.
Ist es da vernünftig, schon die nächste Steuererleichterung anzuteigen?
Kommt drauf an, wen man fragt. «Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um die Steuern zu senken», findet Lisa Mathys wenig überraschend. Als Co-Präsidentin der SP gehört sie einer Partei an, die Steuersenkungen etwa so sehr liebt wie Bürgerliche die Internationale. Jetzt sei es besonders schlecht, findet Mathys: «Aktuell ist Basel-Stadt mit mehreren Unsicherheiten konfrontiert.»
Der untere Mittelstand soll auch profitieren
Auch die Sozialdemokratin verweist auf die drohende OECD-Steuerreform: «Wir wissen ja nicht, wie sich die auf die Finanzen auswirkt. Vielleicht schrübeln wir jetzt an den Steuern, und nachher können wir uns – überspitzt gesagt – die öffentlichen Schulen nicht mehr leisten.» Das sei selbstverständlich ein übertriebenes Szenario, aber es sei doch nicht vorausschauend, den Spielraum einzuschränken ohne die Konsequenzen abwägen zu können. Insbesondere, weil mehrere Investitionen anstünden, etwa die Corona-Unterstützungen oder die Klimamassnahmen.
Sollte die Motion überwiesen werden, wäre die SP trotzdem bereit, über einen Kompromiss zu diskutieren – sofern der untere Mittelstand mindestens gleich viel davon hat wie die Sehrgutverdienenden. Unterer Mittelstand für die SP heisst: Menschen, die knapp durchkommen, aber vielleicht Prämienverbilligungen oder Mietzinszuschüsse erhalten. «Uns ist wichtig, dass nicht nur Bestverdiener*innen mit Einkommen ab 250’000 Franken profitieren», sagt Mathys. Und ist «vorsichtig optimistisch», dass es möglich ist, einen für die Linke tragbaren Kompromiss auszuarbeiten, «wenn auch die Bürgerlichen sich bewegen».
Lisa Mathys glaubt, die Stimmbevölkerung hinter sich zu haben. Diese hat sowohl den Steuerkompromiss bei der Unternehmenssteuerreform als auch die Topverdienersteuer angenommen. Für Mathys zeigt das: «Bei den oberen Einkommen will die Bevölkerung nicht Geschenke machen.»
Luca Urgese ist ebenfalls optimistisch, auch hinsichtlich der Pandemie. Bis seine Motion behandelt und allenfalls umgesetzt ist, vergehen mindestens zwei Jahre. Urgese ist überzeugt: «Bis dahin hat sich die Schweizer Wirtschaft von Corona erholt».
P.S. Auch im Telebasel-Talk war die Steuermotion gestern Thema. Hier nachschauen.