«Die Demonstration wird weiter Hass auf Jüdinnen und Juden schüren»
Die angekündigten Demonstrationen von Samstag führen bereits im Vorfeld zu Diskussionen. Auch weil sowohl die rechtsextreme Kundgebung von «Mass-Voll» als auch die Gegendemo von «Baselnazifrei» ein Sicherheitsrisiko für die jüdische Gemeinschaft darstellen dürften.
Der Nahostkonflikt hat auch Auswirkungen auf die Schweiz: So haben die Israelitische Gemeinde Basel sowie das Zentrum für Jüdische Studien diese Woche verschiedene Anlässe am Rheinknie aufgrund von Sicherheitsbedenken abgesagt. Auch den bereits bewilligten Kundgebungen zur Solidarität mit Israel und Palästina wurden vergangene Woche die Bewilligungen kurzfristig wieder entzogen – aus Sicherheitsgründen.
Am Samstag nun – ein Tag vor den nationalen Wahlen – ist eine trinationale Demonstration in Basel geplant. Organisationen wie «Freunde der Verfassung», «Mass-Voll» und die Freiheitstrychler rufen zu einer Manifestation «für Frieden, Freiheit und Souveränität» auf. Neben Corona-Massnahmengegner*innen werden auch Mass-Voll-Nationalratskandidat Nicolas Rimoldi, der aufgrund seiner Kontakte in die rechtsextreme Gruppierung «Junge Tat» in der Kritik stand, sowie deutsche Politiker*innen aus der AfD erwartet.
Die Demonstration wurde letzte Woche bewilligt, doch nun löst die bevorstehende Veranstaltung Besorgnis aus. So haben SP Basel-Stadt, Grüne Basel-Stadt, BastA!, Juso, jgb und die jungen Alternativen am Montag eine Stellungnahme auf Social Media verbreitet, in der es heisst: «Die zu dieser Kundgebung aufrufenden Organisationen stehen für menschenverachtende und demokratiefeindliche Inhalte und es besteht die Gefahr, dass angekündigte Redner*innen sich antisemitisch äussern werden.»
«Die Sicherheit der jüdischen Bevölkerung ist derzeit zweifelsohne gefährdet.»Dirk Baier, Professor am Institut für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Nachfrage bei der Kantonspolizei. Gibt es Hinweise darauf, dass die Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft im Zuge der Demonstrationen gefährdet sein könnte? Stefan Schmitt, Mediensprecher der Kantonspolizei Basel-Stadt, sagt: «Die Kantonspolizei beobachtet die Entwicklungen genau, wie sie dies bei allen Kundgebungen tut, um ein angemessenes Sicherheitsdispositiv aufzustellen und möglichst gut vorbereitet zu sein. Jede Kundgebung hat eine eigene Dynamik, deshalb lässt sich nicht vorhersagen, wie sich die Lage entwickeln wird.»
Während die Polizei mit ihrer Einschätzung zurückhaltend ist, äussert Dirk Baier, Professor am Institut für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, gegenüber Bajour durchaus Bedenken: «Die Sicherheit der jüdischen Bevölkerung ist derzeit zweifelsohne gefährdet. Bislang hat es zwar in der Schweiz noch keine tätlichen Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung aufgrund der jüngsten Entwicklungen in Nahost gegeben; dennoch ist eine Bedrohung vorhanden.» Diese ginge in erster Linie von radikalen Islamist*innen aus.
Wenn sich jetzt am 21. Oktober in Basel noch zusätzlich Personen versammelten, die aufgrund ihres rechten Gedankenguts oder anderer verschwörungstheoretisch inspirierter Überzeugungen antisemitisch eingestellt seien, erhöhe dies die Gefahrensituation vor Ort zusätzlich, so Baier. «Fakt ist, dass rechtsextreme Gruppierungen wie die Junge Tat antisemitisch sind; Fakt ist auch, dass einige Verschwörungstheorien antisemitisch sind, weil sie meist das Bild von mächtigen, im Hintergrund agierenden jüdischen Personen ins Zentrum ihrer absurden Erzählungen stellen.»
Und weiter: «Jüdinnen und Juden sind also von verschiedener Seite ein Hassbild; und diese Hassbilder motivieren auch zum Handeln». Der Professor macht klar: «Eine zusätzliche Gefahrenlage wäre daher am Samstag aus meiner Sicht gegeben, wenngleich ich nicht damit rechne, dass in direktem Zusammenhang mit der Demonstration Übergriffe ausgeführt werden. Die Demonstration wird aber weiter Hass auf Jüdinnen und Juden schüren, beispielsweise auch in den Sozialen Medien.»
«Ich würde es also keinen erkennbaren Jüd*innen oder Israelfreund*innen anraten, sich unter die Demonstrant*innen oder Gegendemonstrant*innen zu mischen.»Rolf Stürm, ehemaliger Basler FDP-Grossrat
Auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft sorgen die geplanten Demonstrationen für Verunsicherung - und zwar sowohl die trinationale Manifestation als auch die geplante Gegendemonstration der linken Organisation «Baselnazifrei».
So sagt der ehemalige (und jüdische) Basler FDP-Grossrat Rolf Stürm: «Mehrere Veranstaltungen diese Woche sind aus Sicherheitsgründen seitens der Israelitischen Gemeinde Basel abgesagt worden. Zudem ist mir ‹Baselnazifrei› als potenziell gewalttätige links-extreme Organisation bekannt. Gewalttätige Israelgegner*innen könnten sich unter die Gegendemonstrationen mischen. Ich würde es also keinen erkennbaren Jüd*innen oder Israelfreund*innen anraten, sich unter die Demonstrant*innen oder Gegendemonstrant*innen zu mischen.» Und er fügt an, dass es Aufgabe des Kantons sei, das Sicherheitsrisiko abzuschätzen.
Grenzen setzen
Dieser Ansicht ist auch Thomas Kessler, Experte für Rassismus. Er hält es für unabdingbar, dass der Kanton Basel-Stadt klare Spielregeln für Samstag vorgibt. «Es müssen im Vorfeld ganz klar Grenzen kommuniziert werden. Jegliche Form von Gewaltverherrlichung, Rassismus und Antisemitismus müssen strikt verboten werden.» Wenn garantiert werden könne, dass wir nicht übersteuert würden, wie dies in anderen Städten Europas aktuell der Fall sei, könne die Demonstration stattfinden.
«Man darf aber nicht vergessen, dass sich radikale Islamist*innen Demonstrationen wie diese bewusst als einen Teil der Kriegspropaganda nutzen und sich auch unter die Demonstrant*innen auf beiden Seiten mischen könnten. «Indirekt kann die Gemengelage antisemitischen Trends, Gruppierungen und via Videos auch der judenfeindlichen Propaganda weiteren Auftrieb geben.» Auch daher sei es wichtig, dass der Staat die Kontrolle behält.
«Rechtsextreme Inhalte führen konsequent zu Verzeigungen.»Toprak Yerguz, Leiter Kommunikation, Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt
Der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, Jonathan Kreutner, sagt auf Anfrage: «Die aktuelle Situation ist sehr angespannt und daher muss man sehr wachsam sein. Die Demo am Samstag ist schon länger geplant und steht in einem anderen Kontext. Aufgrund der jüngsten Entwicklungen befindet sich die jüdische Gemeinschaft aber grundsätzlich in Sorge um ihre Sicherheit. Dies auch im Hinblick auf die anstehenden Kundgebungen, auch wenn uns keine konkreten Hinweise vorliegen».
Wie aber kann verhindert werden, dass es an der Demonstration zu rechtsextremen Äusserungen kommt? Toprak Yerguz, Leiter Kommunikation, Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt, sagt: «Die Kantonspolizei wird den Teilnehmenden der bewilligten Demonstration unmissverständlich zu verstehen geben, dass rechtsextreme Inhalte konsequent zu Verzeigungen und, wenn möglich, zum Abbruch der Demonstration führen.»
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