Macht der Bilder
Mit dem ESC gastierte eine der bildgewaltigsten Shows in Basel. Doch der Vatikan lief dem Musikwettbewerb den Rang ab, wenn es ums Thema Inszenierung geht, findet Bajour-Kolumnistin Cathérine Miville.
Was für Wochen liegen hinter uns. Selten war die Konkurrenz um die spannendste und emotionalste Grossveranstaltung weltweit so potent. Und ich nehme es vorweg: Mein Preis fürs beste Gesamtevent geht nicht an den ESC. Obwohl ich das Bild, das unsere Stadt von sich abgegeben hat, in hohem Masse schätze. Zum Glück funktionierte auch das kluge Sicherheitskonzept richtig gut. Es blieb friedlich und fröhlich.
Leider glitt aber die Macht der Bilder den Veranstalter*innen vor allem bei der ESC-Eröffnung etwas aus den Händen. Die Fernsehberichte zum geglückten Auftakt zeigten auch international das medienwirksame Fahnenmeer der Pro-Palästina-Demo auf dem Marktplatz – fast gleichwertig im Verhältnis zu den Bildern vom Umzug.
Vielleicht hätten Helfer*innen mit Fahnen aller Teilnehmerländer oder mit ESC-Flaggen die erwartbare wirkmächtige optische Dominanz der Israel-Gegner*innen brechen und deren Aktionen auch medial zu dem machen können, was sie waren: eine Nebenerscheinung.
Mein ganz subjektiver Oscar geht also – sorry Basel – eindeutig an die Katholische Kirche für ihre Gestaltung der Trauerfeierlichkeiten für Franziskus sowie die Wahl und Amtseinführung des neuen Papstes.
Cathérine Miville ist in Basel geboren und aufgewachsen. Sie unternahm ihre ersten Karriereschritte am Theater Basel, später lebte sie lange Zeit in Deutschland, führte an verschiedenen Häusern und bei Dieter Hildebrandts Sendung «Scheibenwischer» Regie und leitete zuletzt als Intendantin das Stadttheater Giessen. Als vor drei Jahren Mivilles Vater, der Basler SP alt Ständerat Carl Miville-Seiler, starb, beschloss sie, nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Intendantin, wieder in Basel zu leben. In ihrer neuen Kolumne «Ma ville» wirft die 70-Jährige regelmässig einen genauen Blick auf das kulturelle Leben in der Stadt und reflektiert, wie sich Basel entwickelt hat.
Zugegeben, das ist sicher ein extrem subjektives Aussenseiter*innenvotum. Und ich gestehe, Fan der Katholischen Kirche als Eventveranstalterin zu sein, obwohl ich gänzlich unreligiös bin und die Haltung der Katholischen Kirche zu zahllosen Themen ganz grundsätzlich ablehne. Aber ich bin durch katholische Bilderwelten frühkindlich geprägt und hätte sonst meine Begeisterung für Theater vielleicht nie oder erst sehr viel später entdeckt.
Wie es dazu kam? Aufgewachsen bin ich ja in einer Familie, in der Religion eine Wissens-, keine Glaubensfrage war. In unserer roten Schafherde gab es jedoch ein schwarzes Schaf: Tante Greti. Sie war ein sehr katholisches schwarzes Schaf – unsere «heilige Tante», wie wir sie manchmal liebevoll nannten.
Greti führte über viele Jahre ein katholisches Kinderheim auf der Rigi und ging natürlich regelmässig in die Messe und nahm mich oft mit. Während der Gottesdienste faszinierten mich die geheimnisvolle, melodiöse lateinische Sprache und die im Kerzenschein gespenstisch wirkenden Wandfresken. Und es wurde gesungen, von der Gemeinde und vom super kostümierten Vorsinger. Diese theatralen Momente nisteten sich nachhaltig bei mir ein.
Und im Langzeitgedächtnis der Menschen herrscht die Macht der Bilder.
«Nur wahre Meister können Spannung durch ein ganz einfaches retardierendes Moment so sehr steigern.»Cathérine Miville
Natürlich hat der ESC umwerfende Bilder produziert, von der lebendigen Schönheit der Stadt und vor allem auch in den Shows. Aber für mich gebührt der Preis fürs spannendste Drehbuch dennoch dem Vatikan: Nach der sehr öffentlichen Trauerphase folgten eine Denk-Pause fürs Strippen-Ziehen hinter geschlossenen Türen sowie danach die perfekt choreographierte Konklave-Parade zum Einzug in die Sixtinische Kapelle.
Ab dann dominierten Bilder von einem Kamin die Nachrichten. Fernsehsender blendeten diese sogar durchgängig ein, damit wir ja die Möwen auf dem Dach nicht aus den Augen verlieren, während über Kriege, Zerstörung und das Leid in der Welt berichtet wurde. Auch als Nichtgläubige, schaute ich immer wieder gebannt auf diesen Kamin.
Und als dann weisser Raum aufstieg, dauerte es noch eine sehr lange Stunde, bis endlich Vorboten der Verkündigung den Balkon betraten. Mein absoluter Lieblingsmoment bei jeder Papstwahl: Bevor Kardinäle in roten Robe zur Vervollkommnung des Bühnenbildes auf den beiden Seitenbalkonen erschienen, bewegte sich ganz sanft der weisse Voile-Vorhang, der die Sicht ins Innere des Raumes verbirgt, in dem der neue Papst auf seinen ersten Auftritt wartet. Nur wahre Meister können Spannung durch ein ganz einfaches retardierendes Moment so sehr steigern.
«In der Kategorie beste politische Hintergrund-Diplomatie gab der Vatikan in den letzten Wochen ein sehr gutes Bild ab.»Cathérine Miville
Franziskus war ja auch immer gut für Überraschungen und so mischte er selbst in seinen letzten Stunden den Vatikan noch einmal ganz gehörig auf. Niemand konnte am Ostersonntag erwarten, dass schon ab dem nächsten Tag bildgewaltige Grossveranstaltungen für Millionen Menschen anstanden und gleichzeitig für die zur Trauerfeier anreisenden VIPs eine Art Generalversammlung weltweit meist gefährdeter Menschen geplant werden musste.
Und trotz höchster Sicherheitslage schaffen die katholischen Zeremonienmeister es, im Petersdom ein vermeintlich spontanes Aufeinandertreffen zweier Staatsmänner zu inszenieren, deren letzte Begegnung im Oval-Office kurz vor einer tätlichen Auseinandersetzung stand. Der Vatikan hatte sein Jahrhundertfoto.
Und in der Kategorie beste politische Hintergrund-Diplomatie gab der Vatikan in den letzten Wochen ein sehr gutes Bild ab: Eine recht divers zusammengestellte Gruppe höchster Führungspersönlichkeiten treffen in kurzer Zeit eine kluge Entscheidung und wählen einen Menschenfreund und Brückenbauer zu ihrem neuen Chef. Dieser nennt sich Leo XIV und setzt gleich schon mit dem ersten Satz, den er an die Welt richtete, ein klar aktuelles Zeichen: «La Pace sia con tutti voi.» Chapeau!