Die roten Linien der Wissenschaftsfreiheit
Im Theater Basel veranstaltete Bajour eine Podiumsdiskussion rund um das Thema Wissenschaftsfreiheit. Unterschiedliche wissenschaftliche Standpunkte sollten diskutiert, nicht gecancelt werden – darin waren sich die Gäst*innen einig. Aber wie?
Das Ziel des Abends soll sein, herauszufinden, ob die Wissenschaftsfreiheit aktuell in Gefahr ist. Mit dieser Ankündigung eröffnete Bajour-Redaktorin und Podiums-Moderatorin Valerie Wendenburg die Veranstaltung und öffnete die Runde mit der Frage danach, wie die Podiumsteilnehmer*innen bisher selbst mit den Grenzen der Wissenschaftsfreiheit in Berührung gekommen sind.
Zu Gast waren auf dem Podium
Astrid Epiney, Rechtswissenschaftlerin der Uni Fribourg
Margit Osterloh, Wirtschaftswissenschaftlerin und Crema-Forschungsdirektorin
Laurent Goetschel, Direktor Swisspeace und Politikwissenschaftler an der Uni Basel
Pascal Ryf, Landratspräsident BL, Die Mitte
und im Publikum rund 120 interessierte Zuhörer*innen.
Margit Osterloh geriet im Mai des vergangenen Jahres in die Schlagzeilen der Schweizer Presse, als die Sonntagszeitung ihre sogenannte «Studentinnen-Studie» aufgriff. Das Resultat: unzählige Artikel mit Schlagzeilen wie «Lieber einen reichen Mann als selber Karriere machen», «Frauen wollen kaum Karriere machen – ist die Gleichstellung gescheitert?» In der Studie ging es darum, die «Leaky Pipeline» zu erforschen, also herauszufinden, warum der Frauenanteil in den verschiedenen Karrierestufen stetig sinkt.
Vom feministischen und linken Lager wurde die Studie stark kritisiert, da sie Geschlechtsstereotypen reproduziere und der Frage der Kausalität nicht nachgehe. Auf dem Podium berichtet Osterloh, dass es für sie und ihre Kollegin Katja Rost zwar sehr unangenehm gewesen sei, in diesen Shitstorm zu geraten, aber sie dennoch gut aus der Sache raus gekommen seien.
Als Grund dafür nennt sie die Reaktion der Universitätsleitung in Zürich, die einerseits ihre Mitarbeiterinnen geschützt habe und andererseits den Raum für eine offene Debatte in Form einer Podiumsdiskussion geöffnet hat. «Das war zwar sehr unangenehm. Wir sassen in diesem Raum vielen Gegnerinnen gegenüber, aber es hat auch viel Luft rausgenommen. Danach wurde viel sachlicher diskutiert.»
Welche Wellen einzelne Aussagen schlagen können, hat erst kürzlich Astrid Epiney zu spüren bekommen. Für den EU-Vertrag brauche es – rechtlich gesehen – keine Mehrheit der Kantone, sondern nur die Zustimmung des Volks, sagte die Europarechtlerin in der NZZ. Anschliessend entdeckte sie Ihren Namen auf SVP-Flyern, wo sie als Verräterin bezeichnet wurde.
«Vergnügungssteuerpflichtig» sei diese Zeit nicht gerade gewesen, sagt Epiney auf dem Podium und erntet damit einen ersten Publikums-Lacher an diesem Abend.
Die Debatte rund um den Direktor von Swisspeace, Laurent Goetschel, war in Basel wohl die präsenteste dieser drei Gratwanderungen in Sachen Wissenschaftsfreiheit.
Überraschende Kehrtwende
Sehr überraschend kam es im vergangenen Herbst im Baselbieter Landrat zu einer Kehrtwende in Bezug auf die finanzielle Unterstützung von Swisspeace. Statt wie kurz zuvor gefordert, doppelt so viel Geld wie geplant zu sprechen, wollte der Motionär Marc Schinzel (FDP) nun die Gelder komplett streichen. Diese Entscheidung traf er, nachdem Goetschel sich in der Sendung SRF-Club skeptisch gegenüber den Auswirkungen eines Hamas-Verbots in der Schweiz geäussert hatte, und seine Meinung, ein «Ein-Staaten-Modell» könnte eine Lösung im Nahostkonflikt und ein Ausweg aus der heutigen Situation sein, kundgetan hatte.
Er habe nicht den Eindruck gehabt, in dieser Sendung etwas besonders Gefährliches gesagt zu haben, sagt Goetschel am Mittwochabend, deshalb sei er überrascht vom Meinungsumschwung im Landrat gewesen. Aber auch er lobt den Umgang seiner Universität, in seinem Fall der Universität Basel, in diesem Zusammenhang.
Pascal Ryf (Die Mitte), Landratspräsident in Baselland, stimmte im Parlament damals gegen die Auszahlung der Gelder. Auf Nachfrage von Wendenburg begründete er dies mit der Kommunikation von Bund und EU, das aufgrund der Eskalation im Nahen Osten die Gelder zu sistieren seien, bei denen nicht ganz klar wäre wohin sie fliessen. Hinzu sei die finanzielle Schieflage des Kantons gekommen. Auf Goetschels Aussage im SRF-Club und deren Einfluss auf sein Abstimmen geht er an dieser Stelle offenbar bewusst nicht ein.
Wo verlaufen nun also die Grenzen der Wissenschaftsfreiheit? Was steht zur Diskussion und was ist unverhandelbar?
Umstrittene Aussagen
Osterloh und Epiney sind sich einig, dass man mit redlichen Methoden arbeiten und diese auch verteidigen können muss. Goetschel ergänzt, dass Wissenschaftler*innen Kritik aushalten müssen, aber nicht zum Spielball der Politik gemacht werden sollten. Dem stimmt auch Politiker Ryf zu.
Ist mit den Ereignissen am Institut für Urban Studies in Basel eine rote Linie überschritten worden, will Moderatorin Wendenburg von Epiney wissen.
Für Wirbel gesorgt hatte ein Statement auf der Homepage der Fakultät, in dem die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten als «Ergebnis einer langjährigen Politik, die auf Siedlerkolonialismus und Apartheid beruht» bezeichnet wurde und eine Doktorabeit mit umstrittenem Inhalt. Epiney antwortet, das Statement der Student*innen vom Institut für Urban Studies sei nicht in einem wissenschaftlichen Rahmen erschienen und klar als politisch und aktivistisch zu bezeichnen. Die Frage sei daher, wie man in solchen Fällen als Unileitung einschreitet.
Soll sich die Universität, denn bedingungslos hinter die Profesor*innen stellen, trägt Wendenburg die Frage an Goetschel weiter. Auch Professor*innen sollen Fehler machen können, findet er. Aber ebenso wichtig sei zu betonen, dass die Zeiten, in denen sich ein Ordinarius alles erlauben kann, vorbei seien.
Uneinigkeit herrscht bei der Frage, wie klug die Entscheidung der Uni-Leitung in Bern war, das Nahost-Institut zu schliessen. Ausschlag gegeben hatte ein Hamas-Tweet und die darauffolgende Untersuchung. Osterloh findet es nicht in Ordnung, dass so eine Entscheidung aufgrund eines Tweets getätigt wird. Als Epiney einwirft, das sei die Freiheit der Universität, es habe ein Verfahren gegeben, wendet Osterloh ein, es sei wohl rechtens gewesen, aber im Sinne der Wissenschaftsfreiheit nicht besonders klug.
Einstimmiges Kopfnicken herrscht hingegen bei der Äusserung von Goetschel, gerade in der Wissenschaft sollten vielfältige Meinungen vertreten sein.
Es lebe die Debatte
Epiney gibt zu bedenken, dass junge Menschen am Anfang ihrer Karriere mit weniger Reputationen so viel Gegenwind weniger gut vertragen können wie die gestandenen Wissenschaftler*innen auf dem Podium. Das sei ein Privileg, das geschätzt werden müsse.
Osterloh betont immer wieder, wie wichtig sie die offene Debatte findet und, dass es durchaus auch gerechtfertigt sei, dass man mal nass werde, wenn man als Wissenschaftler*in bei Regen den Kopf aus dem Fenster streckt. Wichtig sei dabei aber, dass zwar über Inhalte und Methoden diskutiert werden könne, aber dabei die wissenschaftliche Existenz der einzelnen Personen nicht infrage gestellt werden sollte.
Gegen Ende öffnete Wendenburg die Diskussion für das Publikum. Ein Doktorand des Instituts für Urban Studies meldet sich zu Wort und hinterfragt die Rolle der Medien bei der Debatte rund um Wissenschaftsfreiheit und Cancel Culture. Beeinflussen diese Entscheidungen der Politik und Unileitung nicht gefährlich massgeblich?
Goetschel weist in seiner Antwort auf die prekäre ökonomische Situation der Medien und somit der mangelnden zeitlichen Ressourcen in der Medienlandschaft hin, betont aber auch, dass er sehr erstaunt war über die dramatischen Schlagzeilen und wenig kenntnisreichen Artikel über den Swisspeace-Fall. «Wenn man dem Ganzen etwas Positives abgewinnen möchte, kann man sagen, der Fall war für die Medien im Raum Basel eine Weiterbildung in Sachen Naher Osten.»
Zum Ende der Debatte steht fest: in Gefahr sehen die Gäst*innen die Wissenschaftsfreiheit nicht. Es gebe aber immer wieder Momente, in denen sie besonders verteidigt werden müsse. Dazu müsse sorgfältig gearbeitet und vor allem viel ausgehalten und diskutiert werden.
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