Uni Basel wagt Diskurs in geordnetem Rahmen
Was kann die Wissenschaft dazu beitragen, um den Nahostkonflikt einzuordnen? Auf einem Podium im Kollegienhaus wird am Mittwoch über das Thema debattiert – es ist der erste grosse öffentliche Anlass, den die Universität seit den Besetzungen im Frühsommer auf die Beine stellt.
Nach den Besetzungen startete die Uni Basel ins Herbstsemester, ohne Anlässe zum Konflikt und Krieg im Nahen Osten im Vorlesungsverzeichnis anzubieten. Zu kurzfristig sei die Planung gewesen, hiess es und es wurden für das Frühlingssemester 2025 diverse Anlässe in Aussicht gestellt.
Nun klappt es noch in diesem Jahr: Am Mittwoch findet der öffentliche Anlass zum Thema «Was leistet die Wissenschaft zur Einordnung des Nahostkonflikts» im Kollegienhaus statt.
«Es ist wichtig, dass auch ein Dialog mit der Öffentlichkeit und anderen Angehörigen der Universität stattfindet.»Laurent Goetschel, Politikwissenschaftler und Swisspeace-Direktor
Organisiert hat den Anlass Politikwissenschaftler und Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel. Er sagt zu Bajour: «Es geht darum, aufzuzeigen, dass die Uni Basel in ihrer Diversität gut aufgestellt ist, um dieses Themenfeld zu bearbeiten und zu unterrichten.» Die Universität solle ein Ort sein, wo es möglich ist, sich aus unterschiedlicher Warte mit Themen auseinanderzusetzen, auch wenn man nicht die gleichen Sichtweisen und methodischen Zugänge hat.
Es werde auch genügend Raum für Fragen aus dem Publikum geben, denn «es ist wichtig, dass auch ein Dialog mit der Öffentlichkeit und anderen Angehörigen der Universität stattfindet».
Es ist ein erster Schritt in Richtung Dialog, nachdem die Fronten im Sommer recht verhärtet schienen. Uni-Mediensprecher Matthias Geering sagt: «Es ist im Sinne der Universitätsleitung, wenn der Krieg im Nahen Osten an der Universität Basel diskutiert wird. Die Debatte soll aber akademisch geführt werden – im Bewusstsein, dass es auch innerhalb der Akademie sehr unterschiedliche Positionen gibt. Gerade deshalb ist es wichtig, dass dieser Diskurs in geordnetem Rahmen geführt wird.»
«Es ist die Rolle der Universitäten, den Raum für differenzierte Einordnungen zu schaffen und wenn nötig auch zu verteidigen.»Falestin Naïli, Assistenzprofessorin am Fachbereich Nahoststudien
Auf dem Podium sind Falestin Naïli, Assistenzprofessorin am Fachbereich Nahoststudien, Erik Petry, Professor für Jüdische Studien, und Philipp Loser, Inlandredaktor des Tages-Anzeigers. Auf die Frage, ob es innerhalb der aufgeheizten und polarisierten Debatte noch Raum für differenzierte Stellungnahmen und Einordnungen gibt, sagt Petry: «Natürlich, dafür und deswegen machen wir die Veranstaltung ja.»
In diesem Punkt geht Naïli mit ihm einig, sie ergänzt: «Genau weil die Debatte seit Monaten so aufgeheizt und polarisiert ist, ist es sehr wichtig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Möglichkeit haben, ihr Hintergrundwissen und ihre Analysen einzubringen.» Es sei die Rolle der Universitäten, diesen Raum für differenzierte Einordnungen zu schaffen und wenn nötig auch zu verteidigen.
«Es gibt Bereiche, die äusserst belastend sind.»Erik Petry, Professor für Jüdische Studien
Im Gespräch wird es auch um die mediale Wahrnehmung des aktuellen Konflikts und des Krieges in Gaza und im Libanon gehen. Naïli sagt: «Die mediale Darstellung des Gaza- und des Libanonkriegs ist immer noch weitgehend unausgeglichen, obwohl es langsam etwas besser wird.» Ihrer Ansicht nach würden die palästinensische und die libanesische Zivilbevölkerung oftmals hinter makabren Zahlen verschwinden und die Schicksale dieser Menschen generell ausgeblendet.
«Wir müssen uns der grossen Entmenschlichung bewusstwerden, die diese Bevölkerungen in den letzten Monaten erlebt haben, und uns die Frage stellen, wie so etwas möglich ist», sagt sie. Petry sieht hier auch die Uni in der Pflicht, er sagt: «Die Medien gehen auf Klicks, und einseitige Verurteilungen passen da sehr gut. Auch hier muss die Uni Gegensteuer geben.»
Wie aber steht es im Moment um die Stimmung an der Uni in Bezug auf den Nahostkonflikt? Das könne er so pauschal nicht sagen, so Petry, aber: «Es gibt Bereiche, die äusserst belastend sind.» Welche das sind, möchte er nicht konkretisieren. Er fügt hinzu: «Es gibt aber Bereiche und Personen, mit denen eine sehr gute Kommunikation mit viel Respekt stattfindet.»
Man müsse unterscheiden, wie der Konflikt von den Studierenden, von den Lehrenden, den Forschenden und der Administration bis hoch ins Rektorat wahrgenommen werde. Petry fragt: «Und wie wird dies dann weitergegeben? Wer hält sich plötzlich für einen Spezialisten oder eine Spezialistin in diesem Bereich und rast über alle mit der vermeintlich erkannten Wahrheit hinweg?»
Naïli findet die Frage nach der Stimmung an der Uni aktuell schwierig zu beantworten. «Generell habe ich aber den Eindruck, dass Universitäten in vielen Teilen Europas sehr an dem Druck leiden, den die Politik – und teilweise auch die Medien – auf sie ausüben. Dabei ist die Rolle der Universität ja, ausserhalb der parteipolitischen und ideologischen Dynamiken, Raum für anspruchsvolle politische Debatten zu schaffen und damit ihre Aufgabe als Garant der intellektuellen Freiheit zu erfüllen.» Dies ist eine Herausforderung, an die die Uni sich nun mit dem öffentlichen Podium wagt.
Goetschel vergleicht die Situation der Wissenschaft aktuell mit der Zeit der Corona-Pandemie. «Die zugespitzte Situation kann auch eine Belastung für Akademiker*innen sein, die sich mit dem Thema auseinandersetzen.» Denn sie hätten nicht auf alles eine Antwort, auch wenn Teile der Öffentlichkeit dies von uns erwarten: «Trotzdem hoffen wir, einen Beitrag zur Verortung der Ereignisse leisten zu können.»
«Die Aktivistinnen und Aktivisten haben sich seit Semesterbeginn an die Abmachungen gehalten.»Matthias Geering, Mediensprecher Uni Basel
Das Podium ist nicht der einzige öffentliche Anlass, den die Uni Basel geplant hat. Im Frühjahrsemester 2025 werden Alfred Bodenheimer, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien, und Maurus Reinkowski, Professor am Seminar für Nahoststudien, eine Ringvorlesung anbieten. Sie trägt den Arbeitstitel: «Der Israel-Palästina-Konflikt. Zentralität und Kontext». Geering sagt: «Hier ist geplant, verschiedene Expertinnen und Experten von anderen Universitäten einzuladen.»
Nachdem lange ein Dialog mit und an der Uni Basel gefordert wurde, ist davon auszugehen, dass auch die Aktivist*innen der Gruppe Unibas4Palestine am Podium anwesend sein werden. Auf die Frage, wie er die aktuelle Stimmung an der Uni einschätze, sagt Geering: «Ich hatte mich kurz vor Semesterbeginn mit Aktivisten der Pro-Palästina-Bewegung getroffen und mit ihnen über die Rahmenbedingungen diskutiert, welche Formen von Aktivitäten die Universität zulässt und welche nicht.»
Dabei ging es vor allem um die Einhaltung von rechtsstaatlichen Regeln und den Verzicht auf Slogans, die als antisemitisch und anti-israelisch gelesen werden können. «Diese Gespräche verliefen konstruktiv, und die Aktivistinnen und Aktivisten haben sich an die Abmachungen gehalten.» Die Zeit scheint aus Sicht der Uni nun (endlich) reif, den öffentlichen Dialog zu wagen.