Der späte Beginn eines Dialogs
Vorsichtig sucht die Uni das Gespräch, was Wissenschaft zur Einordnung des Nahostkonflikts leisten kann (oder soll?). Es ist bemerkenswert, wer da nun plötzlich mit wem in den Dialog treten kann. Aber die Unileitung muss bei einigen Studierenden dennoch das Vertrauen zurückgewinnen, kommentiert David Rutschmann.
Die Erwartungen an die Veranstaltung waren hoch – erfüllt wurden sie am Mittwochabend nur bedingt. Ein öffentliches Podium an der Uni Basel wollte den akademischen Rahmen geben für die Diskussion über den Nahostkonflikt. Diese findet sowieso schon seit langem statt: Bereits im November 2023 zeigte das medial viel diskutierte und von verschiedenen Seiten kritisierte Pro-Palästina-Solidaritätsschreiben der Fachgruppe Urban Studies, dass der Krieg im Nahen Osten innerhalb der Uni für hitzige Debatten sorgt.
Einige stark von den Kriegshandlungen betroffene Student*innen hatten den Eindruck, dass es für einen institutionellen Dialog über Israel/Palästina an der Uni keinen Raum gebe. Also ergriffen sie sich diesen bei den pro-palästinensischen Uni-Besetzungen im Mai selbst. Damit verhärteten sich die Fronten erst recht, die Debatte wurde in die Öffentlichkeit gezerrt. Letztlich wurde sogar im Grossen Rat über die Besetzung und den Umgang damit diskutiert. Die Dialogversuche einiger Dozent*innen, die schon während den Besetzungen scheiterten, verliefen auch im Nachgang im Sand.
Mitte Mai besetzten pro-palästinensische Aktivist*innen mehrere Gebäude der Universität Basel, um diese zur Aussetzung der Kooperation mit israelischen Institutionen zu bringen. Zunächst das Bernouillanum, das nach drei Tagen geräumt wurde. Die Polizei kesselte einen Teil der Aktivist*innen nach der Spontandemo, die auf die Räumung folgte, ein und führte Personenkontrollen durch. Wenige Tage später besetzte die Gruppe kurz die alte Gewerbschule und dann das Institut für Soziologie. Die Räumung erfolgte nach drei Tagen. Die dort kontrollierten Studierenden wurden im Nachgang schriftlich verwarnt. Dialogversuche zwischen den Aktivist*innen und der Uni-Leitung scheiterten.
Jetzt wurde der Raum doch noch geboten, um in den Dialog zu treten. «Was leistet die Wissenschaft zur Einordnung des Nahostkonflikts?» Unter diesem Titel moderierte Politikwissenschaftler und Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel (der selbst bei der ersten Besetzung im Bernoullianum als Vermittler auftrat) das Podium im halb besetzten Hörsaal im Kollegienhaus – der Livestream ins Nebenzimmer, wo noch mehr Publikum Platz gefunden hätte, war ebenso wenig nötig wie die Security-Massnahmen. Bevor es zum eigentlichen Dialogversuch kam, legten die Podiumsteilnehmer*innen erst einmal in ausführlicher Breite dar, warum es in den vergangenen Monaten nicht einfach war, sich zu äussern.
In den Nahoststudien hatte man Mühe, das Wort zu ergreifen. Professorin Falestin Naïli erlebte eine «Verdachtskultur».
In den Jüdischen Studien wurde man als «Israelstudien» und «pro Netanjahu» schubladisiert, so Professor Erik Petry.
Und an Tamedia-Journalist Philipp Loser blieb sowieso viel Kritik hängen, «die Medien» hätten oft verkürzt berichtet über den Nahostkonflikt und über die Besetzungen (was Loser nicht verneinte).
Endlich sitzt man gemeinsam in einem Raum, kommt öffentlich ins Gespräch, hört die Argumente der anderen Seite, lässt sich ausreden. Das ist nicht viel. Aber es ist eben auch nicht selbstverständlich.
Der Austausch war durchaus interessant, aber auch von einer vorsichtigen Zurückhaltung geprägt und scheiterte deshalb, wirklich öffentlich an die Substanz der zugrundeliegenden Fragen zu gehen. Ein Pro-Palästina-Aktivist fragte das Podium, ob die palästinensische Seite ein Recht auf Widerstand gegen die Besatzung habe. Naïli und Petry zögerten, wollten sich beide den Vortritt lassen und formulierten dann diplomatische Antworten, in denen es grundsätzlich um die internationale Ordnung ging und um die Frage: Was heisst überhaupt Widerstand?
Kurz: Die Diskussion verharrte auf der Meta-Ebene. Es war nicht ganz einfach, den Kern der Leitfrage, was die Wissenschaft zur Einordnung leiste, zu finden. Vielleicht auch, weil es zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen der Frage gibt: «Was kann die Wissenschaft leisten?» versus «Was soll die Wissenschaft leisten?»
Denn wie Laurent Goetschel schon in der Einleitung sagte, fordert die Medienöffentlichkeit bei diesem Konflikt auch von Wissenschaftler*innen keine Analysen, sondern Statements und Positionierungen.
Was also leistete nun dieses Podium für einen Beitrag zur Einordnung des Nahostkonflikts?
Dazu muss man einen Schritt zurücktreten und sich bewusst machen, wer sich alles im Hörsaal befand und an der Diskussion teilnahm:
Hier sass IGB-Präsidentin Steffi Bollag drei Reihen vor Aktivist*innen mit Kufiya.
Hier sagte ein pro-palästinensischer Student zu einem Fachgruppenvertreter der jüdischen Studien: «Ich verstehe, dass es für euch schwierig war, dass ihr Vorlesungen mit Security hattet. Und auch wenn ihr das Gefühl hattet, ihr seid bei den Besetzungen nicht willkommen – wir haben klar ausgeführt, dass wir eine inklusive Bewegung sein wollen.»
Hier erwähnt Erik Petry, dass er eine Seminararbeit eines Studenten betreute, der argumentierte, Israel sei ein Apartheidsystem. Auch wenn Petry dem nicht zustimmt, fand er die Arbeit «sehr gut» argumentiert, «da würde ich nie eine Dreieinhalb geben und den Studenten durchfallen lassen».
Endlich sitzt man gemeinsam in einem Raum, kommt öffentlich ins Gespräch, hört die Argumente der jeweils anderen Seite, lässt die andere Seite ausreden und nimmt die Möglichkeit wahr, auf die Argumente der anderen Seite zu reagieren. Alle Meinungen sind erlaubt. Niemand wird niedergeschrien, ausgebuht, unterbrochen. Das ist nicht viel, denn genau so etwas sollte eine Universität als Institution ja leisten. Aber es ist eben auch nicht selbstverständlich, wie das letzte Jahr gezeigt hat.
Was jetzt diskutiert wird, ist nicht der Dialog, den sich die Besetzer*innen gewünscht haben: Ihr Dialog dreht sich um den akademischen Boykott Israels. Das war für die Basler Universitätsleitung nie eine Option.
In diesem Sinne kann man das Podium als Anfang eines schwierigen Dialogs über den Konflikt verstehen, dessen Behandlung in den jeweiligen Seminaren der Jüdischen und Nahoststudien vielen Studierenden nicht mehr ausreicht (Erik Petry: «Es ist sehr schön, im Elfenbeinturm zu sitzen, aber er ist sehr hoch und es ist kühl oben, deshalb ist es gut, sich mal raus zu bewegen»). Daher werden für das kommende Frühjahr eine interdisziplinäre Ringvorlesung zum Thema, ein von den Fachgruppen gemeinsam geplantes Kolloquium und ein initiiertes Tutorat in Aussicht gestellt.
Es war ein langer Prozess, diese Angebote auf die Beine zu stellen, während der Krieg im Nahen Osten und damit auf unseren Handybildschirmen weiterging. Vielleicht kommt das Angebot zu spät. Denn einige jener Studierenden, die mit den Besetzungen ihrem Gefühl Ausdruck verliehen, dem Krieg nicht einfach tatenlos zusehen zu wollen, haben sich schon, von all den wüsten Bildern aus Gaza betäubt, vom Dialog mit der Uni abgewandt. Manche sind eingeschüchtert wegen der Verwarnungen, welche die Uni als Disziplinarmassnahme nach den Besetzungen aussprach. Andere wollten eh nie einen Dialog, sondern standen kompromisslos hinter ihren Forderungen.
Was jetzt diskutiert wird, ist nicht der Dialog, den sich diese Aktivist*innen gewünscht haben: Ihr Dialog dreht sich um den akademischen Boykott Israels. Um Forschungabkommen der Uni Basel mit israelischen Universitäten, die in die Militär- und Besatzungspolitik Israels involviert sind.
Tatsächlich war es für die Basler Universitätsleitung nie eine Option, die Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen zu beenden, wie es die Universitäten in Barcelona und Dublin auf Druck der Studierendenproteste hin getan haben. Diese roten Linien waren schon während der Besetzungen klar und haben sich nicht verschoben. Rektorin Andrea Schenker-Wicki machte im BaZ-Interview (ihre einzige öffentliche Wortmeldung in dieser Debatte) deutlich, dass das für sie «indiskutabel» sei.
«Wir hoffen, dass wir jetzt ausreichend Material für fundierte Debatten haben»Falestin Naïli, Nahoststudien
Die Rektorin fehlte am Podium. Viele Fragen aus dem Publikum konnten die Professor*innen gar nicht beantworten, da sie an die Universität als Institution gerichtet waren. Uni-Sprecher Matthias Geering war zwar als Vertreter der Universitätsleitung anwesend, hielt sich aber im Hintergrund.
Als es zum Beispiel darum ging, inwiefern sich die Uni mit einem Scholars-at-risk-Programm für die Sicherheit der vom Krieg bedrohten Akademiker*innen in der Region einsetzen könnte (wie es auch die Besetzer*innen gefordert hatten) – da wäre die Adressatin eigentlich die Unileitung gewesen.
Und auch das Podium als Dialogbemühung kommt nicht von der Leitung, sondern von engagierten Dozent*innen aus den Fachgruppen. Die Unileitung lässt sie machen, aber der offizielle, formelle Rahmen fehlt. «Das Schweigen der Unileitung macht mich betroffen», sagte eine Studierende beim Podium. Die Erlebnisse der Protestierenden – einige waren zweimal von der polizeilichen Räumung betroffen – seien nie aufgearbeitet worden. Ihr Statement machte einen schleichenden Vertrauensverlust deutlich. Man fühlt sich ignoriert.
«Mehr als die Ringvorlesung kann ich nicht anbieten», sagte darauf Erik Petry. «Wir hoffen, dass wir jetzt ausreichend Material für fundierte Debatten haben», sagte Falestin Naïli.
Der inhaltliche Grundstein ist gelegt. Die pro-palästinensisch bewegten Studierenden (man sah im Hörsaal bei weitem nicht alle Gesichter, die damals bei den Besetzungen waren) sollten den aktuellen Versuchen der Universität, diesen lange geforderten Dialog ins Rollen zu bringen, eine Chance geben. Aber um den Vertrauensverlust, der sich zwischen einigen Studierenden und der Institution manifestiert, muss sich die Universitätsleitung persönlich kümmern.