«Unser Eindruck ist, dass die Szene nicht wächst»
Der Vorsteher des Gesundheitsdepartements, Regierungsrat Lukas Engelberger, reagiert im Gespräch auf die offene Drogenszene in Kleinbasel, die er als «hochgradig unerwünscht, illegal und keine gute Entwicklung» bezeichnet – ist seine Präventionsarbeit gescheitert?
Lukas Engelberger, die Drogensituation im Kleinbasel macht der Bevölkerung zu schaffen, die aktuelle Petition der Einwohner*innen ist ein Hilferuf an die Regierung.
Wir beobachten tatsächlich eine Entwicklung, die uns Sorgen macht und die neu ist. Neu insofern, als dass wir über mehrere Jahrzehnte keine offene Drogenszene in Basel hatten.
Wie konnte es so weit kommen?
Wir hatten den Eindruck, innerhalb des 4-Säulen-Modells einen guten Umgang mit der Situation gefunden zu haben. Jetzt ist zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder eine offene Szenenbildung im Gange.
Nochmal: Wie kam es dazu?
Wir interpretieren die aktuelle Entwicklung so, dass die Gruppe von Konsumierenden, die bisher tagsüber in den Kontakt- und Anlaufstellen (K+A) gewesen ist, nun in der Nacht offen im Matthäusquartier konsumiert.
«Dass die Menschen neu vermehrt in der Öffentlichkeit Kokain zu sich nehmen, ist hochgradig unerwünscht, illegal und daher auch für uns keine gute Entwicklung.»Lukas Engelberger, Gesundheitsdirektor Basel-Stadt
Haben Sie genau Kenntnis über diese Szene?
Nach Einschätzung unserer Fachleute ist die Gruppierung dieselbe wie schon seit Jahren. Es sind altbekannte Klient*innen, die aber neu in der Öffentlichkeit Drogen zu sich nehmen. Das hat mit einer veränderten Konsumform zu tun oder damit, dass Kokain offenbar leichter erhältlich und günstiger ist als früher. Es kann auch sein, dass die K+A nicht attraktiv genug sind, denn die Inhalationsräume sind klein. Die Anlaufstellen sind eher für Abhängige, die spritzen, konzipiert worden. Dass die Menschen neu vermehrt in der Öffentlichkeit Kokain zu sich nehmen, ist aber hochgradig unerwünscht, illegal und daher auch für uns keine gute Entwicklung.
Bereits 2021 wurde die Petition zur Wahrung der Lebensqualität im Bermuda-Dreieck eingereicht. Schon damals stand die Drogenszene im Fokus. Was ist seither konkret geschehen?
Wenn ich neu sage, dann meine ich die offene Drogenszene und den Konsum in der Gruppe, speziell am Matthäuskirchplatz. Dass die Drogenszene auch sehr viel Gewalt und sonstige Probleme anzieht, das ist nicht neu. Ich glaube, wir müssen die unterschiedlichen Situationen differenziert beurteilen und angehen. Wo Gewalt das Hauptproblem darstellt, ist weniger ein Angebot für die Süchtigen und die Drogenpolitik im engeren Sinn gefragt als die Durchsetzung von Ordnung und Sicherheit.
Steht also eher die Repression gegen Dealer im Fokus? Sehen Sie sich daher weniger in der Verantwortung?
Wir arbeiten eng koordiniert zusammen. Das Interdepartementale Führungsgremiums Sucht (IFS) ist ein gutes Beispiel dafür. Es gibt verschiedene Verantwortlichkeiten. So ist auch unerfreulich, dass aktuell weniger Wohnraum für die suchtbetroffenen Personen auf dem Markt ist. Diese suchen dann den öffentlichen Raum. Auch das ist ein Teil des Problems, das wir zusammen mit anderen Departementen beurteilen müssen.
Die Suchtpolitik des Kantons Basel-Stadt beruht auf dem 4-Säulen-Modell. Die Massnahmen und Angebote aus den Bereichen Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression werden strukturiert aufeinander abgestimmt und sind auf einen verantwortungsvollen und kontrollierten Umgang mit allen psychoaktiven Substanzen ausgerichtet.
Das 4-Säulen-Modell soll dazu beitragen, den Konsumeinstieg und den problematischen Konsum zu vermeiden, Abhängige bei der Bewältigung ihrer Suchtprobleme zu unterstützen und die negativen Folgen des Konsums für die Gesellschaft zu vermindern.
Wenn Sie sagen, es braucht mehr Kontrolle und Repression, welchen Stellenwert hat dann die Prävention innerhalb des 4-Säulen-Prinzips?
Ich möchte die Problemlage differenzieren: In der Dreirosenanlage geht es um physische Gewalt. Dort können wir mit präventiver Arbeit nicht mehr viel ausrichten. Natürlich machen wir Prävention, wir sind auch mit den Medizinischen Diensten sehr eng an der Szene, um Menschen zu begleiten und Therapien anzubieten. Aber ich glaube, es sind unterschiedliche Rezepte gefragt, je nach Problemsituation. Wenn das Gewaltproblem vorherrscht, dann ist es schwierig mit Prävention.
Hätte man die aktuelle Situation nicht auch mit Prävention verhindern können?
Ich bin skeptisch. Wer heute drogenabhängig ist und öffentlich konsumiert, den hätten wir vor vielen Jahren besser erreichen müssen. Vermutlich nicht nur mit Prävention, denn meistens sind die Probleme dieser Menschen sehr vielschichtig.
«Kokain ist keine Luxusdroge mehr.»Lukas Engelberger, Gesundheitsdirektor Basel-Stadt
Haben Sie die Situation im Kleinbasel wirklich nicht kommen sehen?
In den letzten zwölf Monaten haben wir steigende Vorfälle und Konsumzahlen beobachtet. Aber nicht in einem solchen Umfang, was den offenen Konsum betrifft. Das Problem ist in diesem Sommer neu wieder aufgetaucht.
Ist aufgrund der aktuellen Situation eine Drogentaskforce geplant?
Wir sind mit der IFS sehr nah an den Themen. Die könnte man als eine Art Taskforce ansehen. Ein neues Gremium sehen wir aktuell nicht als hilfreich.
Der öffentliche Drogenkonsum hat sich grundsätzlich geändert, es ist viel mehr Kokain im Umlauf. Das wird schon seit längerem im Grundwasser nachgewiesen. Haben Sie darauf reagiert?
Das ist eine mehrjährige Entwicklung in vielen Schweizer Städten. Prävention ist bei einer klar illegalen Substanz nicht ganz einfach. Die Hauptachse der Präventionsarbeit liegt klar bei Alkohol und Tabak. Aber wir versuchen auch, mit den Drug-Checking-Angeboten oder mit Programmen an Schulen gerade jüngere Leute auf die Probleme hinzuweisen, die der Konsum von Kokain und Partydrogen mit sich bringen kann.
Aber es gibt keine spezifischen Präventionskampagnen in Bezug auf Kokain oder synthetische Drogen?
Es gibt eine Vielzahl von Präventionsprogrammen. Eine spezifische Kampagne, die den Kokainkonsum anspricht, ist bisher nicht im Fokus. Es gibt ja auch keine so grosse Verbreitung von Kokain wie zum Beispiel von Alkohol und Tabak. Das sind ja eigentlich die Hauptsorgen in der Drogenpolitik.
Was sind die Ursachen des veränderten Drogenkonsums?
Wir stellen mehr Gelegenheitskonsum fest. Das hat damit zu tun, dass Kokain leicht verfügbar und erschwinglich geworden ist. Es ist keine Luxusdroge mehr. Hingegen stellen wir fest, dass die kleine Gruppe, die regelmässig illegale Substanzen konsumiert, relativ konstant ist. Unser Eindruck ist, dass diese Szene nicht wächst.
«Menschen sterben am Drogenkonsum, wir möchten diesen nicht rund um die Uhr ermöglichen.»Lukas Engelberger, Gesundheitsdirektor Basel-Stadt
Trotzdem eskaliert die Situation. Zurzeit erfolgt eine Evaluation des Konzepts der K+A. Haben die Anlaufstellen in der heutigen Form noch ihre Berechtigung?
Sie haben ihre Berechtigung und wir haben daher gerade die Verlängerung der Subventionen für die K+A im Grossen Rat beantragt. Wir möchten die beiden Anlaufstellen in Basel weiterführen und nach Möglichkeit ausbauen. Es wird sich auch die Frage nach den Standorten stellen, da diese periodisch überprüft werden müssen.
Was heisst, Sie möchten die K+A ausbauen?
Wir schauen, ob das Angebot verbessert werden kann. Naheliegend ist, die Räumlichkeiten für die rauchenden Konsument*innen zu erweitern. Das könnte eine Lösung des Problems sein. Bei den Öffnungszeiten sind wir zurückhaltend, da wir keinen 24-Stunden-Konsum ermöglichen wollen. Wir möchten, dass die Szene sich bewegt und nicht immer am selben Ort ist. Zudem können wir nicht verantworten, die Anlaufstellen durchgängig für den Konsum zu öffnen.
Warum nicht?
Menschen sterben am Drogenkonsum, wir möchten diesen nicht rund um die Uhr ermöglichen. Wir können höchstens versuchen, Übernachtungsangebote ins Leben zu rufen, falls man herausfindet, dass ein grösserer Teil der Konsument*innen obdachlos ist. Eine der Fragen ist: Können wir helfen, indem wir Übernachtungsmöglichkeiten bieten? Das soll jetzt geklärt werden.
Sollte Kokain legalisiert werden?
Bei einer Legalisierung müsste man sich die Frage stellen: Ist es zu verantworten, der Allgemeinheit in einem legalen Rahmen Kokain zugänglich zu machen? Expert*innen sind der Ansicht, dass es das nicht ist, weil das unmittelbare Gesundheitsrisiko schon beim einmaligen Konsum zu gross ist.
Was halten Sie vom Pilotversuch eines kontrollierten Kokainverkaufs in Bern?
Der Pilotversuch wird erst geprüft und es ist noch offen, ob er überhaupt anlaufen wird. Aber ich will nicht ausschliessen, dass es einen Rahmen geben könnte, der sinnvoll und zu verantworten wäre. Ich persönlich bin da skeptischer als beispielsweise bei der kontrollierten Abgabe von Cannabis.
Der internationale Drogenmarkt verändert sich, neue Substanzen aus Syrien oder den USA gelangen in die Schweiz. Hat Basel überhaupt eine Chance, den Kampf zu gewinnen?
Ich weiss nicht, in wessen Hand die jeweiligen Substanzen auf dem Markt sind. Das ist auch nicht unsere Priorität. Unser Schwerpunkt liegt darin, zu informieren und in der Gesellschaft einen breiten Konsens zu haben, wie man mit möglichst wenig Risiko und Schäden mit den Substanzen umgeht. Und da haben wir schon eine Chance.
Was für einen Konsens meinen Sie?
Es ist beispielsweise akzeptiert, dass wir die K+A für den sicheren Konsum von Substanzen, die illegal sind, zur Verfügung stellen. Das ist an sich ein Widerspruch, der in Basel aber gesellschaftlich akzeptiert wird.
Von Heroin zu Kokain: Der Drogenkonsum hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Erfordern die Entwicklungen eine Anpassung der Drogenpolitik? Um dieser Frage nachzugehen, lässt Bajour gemeinsam mit dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel ein bewährtes Konzept aus den 1990er-Jahren aufleben. An einem Drogenstammtisch besprechen die wichtigsten Expert*innen mit der Quartierbevölkerung, wo der Schuh drückt und welche Lösungen es gibt. Der Eintritt ist frei, die Platzzahl ist beschränkt.
Wann: Mittwoch, 25.10.2023, 19 bis 20:30 Uhr
Wo: Rheinfelderhof, Hammerstrasse 61 4058 Basel
Moderation: Martina Rutschmann
Bajour organisiert gemeinsam mit dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel einen Drogenstammtisch wie in den 90er-Jahren? Finden Sie das sinnvoll?
Ja, ich bin dankbar für jede Initiative, die versucht, gegenseitige Erwartungen zu klären und Verständnis zu fördern. Die Abteilung Sucht wird auch am Stammtisch teilnehmen.
Sind Sie am 25. Oktober auch dabei?
Ich bin leider verhindert, da ich bei der Ausstellungseröffnung «Rausch Ekstase Rush» im Historischen Museum zugesagt habe. Wenn der Stammtisch aber wiederholt wird, kann ich mir eine Teilnahme sehr gut vorstellen.
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