«Du bist hübsch, du bringst es sicher noch zu was»

In einem Offenen Brief prangern 78 Tamedia-Journalistinnen ihre Arbeitsbedingungen an. Viele erfahren sexistische Sprüche, ungleiche Bezahlung und weniger Förderung. Auch BaZ-Redaktorinnen unterschreiben das Manifest. Wir haben mit ihnen gesprochen.

Tamedia
(Bild: Collage von Franziska Zambach)

Als Andrea Schuhmacher 2016 bei der BaZ anfing, musste sie sich von einem Kollegen anhören: «Du bist hübsch, du bringst es sicher noch zu was.» Mittlerweile arbeitet Schuhmacher Vollzeit in der Redaktion und stellt fest: «Der Umgangston hat sich verbessert.» Sie habe nie einen grösseren Zwischenfall erlebt, blöde Bemerkungen aber schon.

Jetzt haben Andrea Schuhmacher und zwei weitere BaZ-Journalistinnen einen offenen Brief an die Tamedia-Geschäftsleitung mitunterschrieben. Die BaZ ist nebst Bund oder Tagesanzeiger Teil des Medienimperiums von Verleger Pietro Supino. In den letzten Jahren haben sich immer wieder Tamedia-Journalistinnen an die Chefetage gewandt und eine von ihnen erlebte «Machokultur» kritisiert. Genützt hat es nichts. Am 6.März haben nun 78 Tamedia-Journalistinnen eben einen offenen Brief an die Geschäftsleitung geschickt. Die Journalistinnen prangern in dem zwölfseitigen Dokument ungleiche Löhne und das sexistische Arbeitsklima auf ihren Redaktionen an und fordern Veränderungen.

Die Journalistinnen halten fest: «Frauen werden ausgebremst, zurechtgewiesen oder eingeschüchtert. Sie werden in Sitzungen abgeklemmt, kommen weniger zu Wort, ihre Vorschläge werden nicht ernst genommen oder lächerlich gemacht. Frauen werden seltener gefördert und oft schlechter entlöhnt». 

Eine Journalistin musste sich von einem Kollegen anhören: «Man könnte meinen, dass wir unsere Leute wegen ihres Aussehens anstellen.» Eine andere Journalistin zitiert aus einem Gespräch mit ihrem Vorgesetzten, der ihr folgenden Rat mitgegeben hat: «Du bist einfach zu nett. Da wirst du dich nie durchsetzen können bei all den männlichen Kollegen.» 

Als BaZ-Redaktorin Andrea Schuhmacher die Schilderungen der Kolleginnen im Offenen Brief gelesen hat, musste sie einfach unterschreiben: «Dabei geht es mir um die Solidarität für die Kolleginnen», sagt sie. Im Brief ist nun auch ihr Erlebnis mit dem Spruch über ihr Aussehen nachzulesen.

«Manchmal ist es den Kollegen einfach nicht bewusst.»
Andrea Schuhmacher, BaZ-Redaktorin

Seither habe sie nur einmal erlebt, dass sie sich gegen einen Kollegen wehren musste, der etwas Sexistisches gesagt hatte. «Er hat sich sofort entschuldigt. Manchmal ist es den Kollegen einfach nicht bewusst.»

Andrea Schuhmacher findet, es gebe zu wenig Frauen in Leitungspositionen auf der BaZ-Redaktion. Dass das so ist, habe aber nicht unbedingt mit Sexismus zu tun. «Ich weiss, dass auch Frauen für bestimmte Positionen angefragt wurden, sie werden also nicht übergangen.»

BaZ-Redaktorin Lisa Groelly wünscht sich, dass bei der Besetzung von Chef*innen-Posten auch Co-Leitungen möglich werden: «Wenn man es mit Diversity ernst meint, sollten Frauen, die Teilzeit arbeiten, dafür genauso infrage kommen. Dann vergibt man den Posten einfach an zwei Personen.»

Groelly arbeitet seit 2017 am Aeschenplatz und fühlt sich sehr wohl. Auch sie hat den Brief vor allem aus Solidarität mit den anderen Tamedia-Frauen unterschrieben, räumt aber ein: «Natürlich gibt es auch bei uns noch Nachholbedarf, wenn es darum geht, alte Rollenbilder aufzubrechen», sagt sie.

Kurzkommentar

von Andrea Fopp

Es ist Zeit, den Journalistinnen endlich zuzuhören. Aus Gründen der Moral und des Verfassungsauftrags, klar. Aber auch aus ökonomischen. Die «Männerzeitungen» schreiben an den Frauen immer noch zu oft schlicht vorbei – und verspielen das entsprechende Marktpotenzial.


Lippenbekenntnisse und schöne Sätze über «Diversity» reichen jetzt nicht. Jetzt braucht es konkrete Schritte. Von Tamedia selbst, aber auch von der Politik:

  1. BaZ-Chefredaktor Marcel Rohr und Tamedia-Oberchef Arthur Ruthishauser sollten schleunigst Massnahmen für eine faire Betriebskultur und Lohngleichheit treffen, und diese regelmässig überprüfen. Und bei Nichterreichen der Ziele persönlich Konsequenzen ziehen. 

  2. Das Parlament diskutiert aktuell über eine ausgebaute Medienförderung für Print- und Onlinemedien. Diese sollte an eine Frauenquote in der Führungsetage von Redaktionen gebunden werden. Ich schlage vor: 30 Prozent Kaderfrauen als Anfang, wer das Ziel nicht erreicht, bekommt weniger Geld. Nach vier Jahren soll man den Anteil auf 40 Prozent erhöhen. 

Die Erfahrung der Tamedia-Journalistinnen der letzten Jahre zeigen leider: Ohne Druck geht nichts.

Den ganzen Kommentar liest du hier.

Vor einem Jahr ist Groelly Mutter geworden. Das Umstellen auf Teilzeit sei für sie und ihren Partner, der ebenfalls bei der BaZ arbeitet, erfreulicherweise kein Problem gewesen. Es komme aber schon noch vor, dass die Kinderbetreuung einzig ihr zugeschrieben werde. «Mein Partner muss sich sowas bei der Arbeit kaum anhören», sagt sie.

Groelly hat den Eindruck, Frauen müssten mehr Energie aufwenden als Männer, um ihre Ideen für Artikel zu rechtfertigen. 

Jeder Spruch ist einer zu viel

Auch Alessandra Paone hat den Brief aus Solidarität unterschrieben. «Ich erlebe es nicht so, wie es von einzelnen Journalistinnen beschrieben wird», erzählt Paone am Telefon. »Die Erlebnisse der Kolleginnen sind teilweise krass – ich glaube ihnen auch, dass sie es so erlebt haben. Jeder sexistische Spruch ist einer zu viel. Deshalb ist es wichtig, darüber zu sprechen und alle zu sensibilisieren, dass es so nicht geht.»

Auch Paone sieht aber durchaus Verbesserungspotenzial, gerade bei den Führungspositionen. Sie bedauert, dass der Offene Brief vorab nicht mehr Tamedia-Mitarbeiterinnen erreicht hat. «Der Brief wurde zur Unterschrift leider nicht an alle Tamedia-Kolleginnen geschickt. Produzentinnen oder Mitarbeiterinnen aus der Administration kommen deshalb nicht vor, das ist etwas unglücklich. So gibt der Brief nicht das ganze Bild wieder.»

«Mein Partner muss sich sowas bei der Arbeit kaum anhören.»
Lisa Groelly, BaZ-Redaktorin

Aktuell gibt es eine Fachstelle bei Tamedia, an die sich Redaktorinnen bei Problemen wenden können. Eine eigene Stelle bei der BaZ gibt es bisher nicht. «An der Redaktionssitzung heute Morgen hat unser Chefredaktor betont, dass ihm das Thema sehr wichtig sei. Wer Diskriminierungen erlebe, solle dies offen ansprechen können», erzählt Alessandra Paone.

Und was ist mit den BaZ-Journalistinnen, die nicht unterschrieben haben?

«Ich finde das Anliegen der Tamedia-Journalistinnen wichtig, habe aber selbst nicht unterschrieben», sagt Katrin Hauser, Redaktorin der BaZ. «Manche Beispiele, die die Frauen dort aufführen, sind grauenhaft. Ich würde toben vor Wut, wenn mir so etwas passieren würde!». Hauser betont aber, dass sie selbst keine solchen Erfahrungen gemacht habe. Sie fühle sich sehr wohl auf ihrer Redaktion. 

«Deswegen habe ich mich dagegen entschieden, meinen Namen unter das Dokument zu setzen. Ich will nicht, dass dieses schlechte Licht auch auf die BaZ-Redaktion fällt», sagt sie. Schliesslich werde in dem Brief nicht ersichtlich, wer nur aus Solidarität unterschrieben hat und wer tatsächlich betroffen sei. 

Solidarity, Sisters.

Die Unterzeichnerinnen des Offenen Briefes stellen mehrere Forderungen, die sie nach eigenen Angaben schon zum Frauenstreik 2019 formuliert haben. Unter anderem verlangen sie eine anonyme Umfrage zum Arbeitsklima und eine*n Diversity-Beauftragte*n. Sie wünschen sich konkrete Rückmeldung von der Geschäftsleitung bis am 1. Mai 2021. Ausserdem soll eine «detaillierte Überprüfung des Betriebsklimas bis Anfang 2022 transparent gemacht werden».

Tamedia-Chefredaktor Arthur Rutishauser reagierte auf den Offenen Brief bei Persoenlich. Er schreibt: «Wir sind uns bewusst, dass die bisherigen Massnahmen zur Steigerung des Frauenanteils in den Redaktionen und insbesondere in Führungspositionen nicht ausreichen und es Zeit für eine verbindliche Strategie ist.»

Wir wollten auch eine Einschätzung von BaZ-Chefredaktor Marcel Rohr hören und haben ihn gefragt, wie er die Situation bei der Basler Zeitung einschätzt und ob eine Fachstelle für Journalistinnen bei der BaZ geplant sei. Rohr sagte zwar, dass das Thema allen bei Tamedia am Herzen liege, verwies aber auf die Kommunikationsleitung der Tamedia.

Tamedia-Chefredaktor Arthur Rutishauser gab am Abend über die Kommunikationsleitung folgende Antworten auf unsere Fragen:

Was wird konkret bei Tamedia getan, um Gleichstellung sicherzustellen?

Wir sind uns bewusst, dass die bisherigen Massnahmen zur Steigerung des Frauenanteils in den Redaktionen und insbesondere in Führungspositionen nicht ausreichen. Aus diesem Grund befasst sich im Auftrag der Geschäftsleitung von Tamedia seit Dezember eine interne Arbeitsgruppe unter der Leitung von Priska Amstutz, Co-Chefredaktorin des Tages-Anzeigers, mit dem Thema Diversity, wobei die Frauenförderung momentan im Zentrum steht. Unter anderem hat die Geschäftsleitung von Tamedia entschieden, dass wir uns verbindliche Ziele setzen, welche Frauenanteile wir in den Redaktionen und den anderen Abteilungen von Tamedia sowie auf den verschiedenen Führungsstufen bis in 12 und 24 Monaten erreichen wollen. Wir werden auch eine Befragung zum Redaktionsklima durchführen und uns Gedanken machen zu Arbeitsmodellen. Unsere letzte Lohnanalyse im 2019 hat keine Diskriminierung festgestellt; wir werden das aber nochmals prüfen. Bereits jetzt gilt, dass offene Stellen konsequent ausgeschrieben werden und bei der Besetzung die Diversity noch stärker als bisher berücksichtigt wird. So werden bei Neueinstellungen bei gleicher fachlicher Eignung die weiblichen Kandidaturen vorgezogen.

Glauben Sie, dass Frauen bei der Tamedia genügend gefördert werden bzw. mehr Frauen eingestellt oder in Leitungspositionen arbeiten sollten?

Es besteht ein grosser Handlungsbedarf und daran arbeiten wir. Bei vielen Massnahmen sind wir als Geschäftsleitung sowie die Führungskräfte in der Verantwortung. Wir möchten aber weitere Kolleginnen und Kollegen aus möglichst allen Bereichen von Tamedia in die Diskussion und aktive Mitarbeit einbeziehen.

Halten Sie den Brief für zielführend, um Redaktionen für Sexismus zu sensibilisieren?

Wir nehmen das Schreiben unserer Kolleginnen aus den Redaktionen und die Forderungen darin sehr ernst. Verschiedene der erwähnten Beispiele sind nicht akzeptabel und widersprechen komplett unseren Unternehmensgrundsätzen. Jegliche Art von Belästigung und Diskriminierung wird bei uns nicht toleriert. Wir werden den konkreten Vorwürfen nachgehen und diese sorgfältig prüfen.  

Bereits vorgängig hat die Geschäftsleitung von Tamedia entschieden, dass wir zusätzliche Vertrauenspersonen definieren, an die sich alle bei Tamedia wenden können, die Ungerechtigkeit in ihrem Arbeitsalltag erleben. Für die Redaktionen wurde Claudia Blumer mit dieser Aufgabe betraut. Dies in Ergänzung zu den bereits bestehenden Stellen für Betroffene von sexueller Belästigung, Mobbing sowie Diskriminierung. 

Braucht es eine Frauenquote?

Es braucht zumindest klare verbindliche Ziele, die man messen kann. 

Warum hat es erst diesen öffentlichen Brief gebraucht, um das Problem anzugehen?

Wir befassen uns bereits seit mehreren Monaten intensiv mit dem Thema Diversity, haben Analysen gemacht und daraus erste erweiterte Massnahmen und Ziele abgeleitet. Der Brief unserer Kolleginnen unterstreicht deren Notwendigkeit und Dringlichkeit. 

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Adelina Gashi

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Bei Bajour als: Reporterin

Davor: Zürcher Studierendenzeitung, Republik und anderes

Kann: vertrauenswürdig, empathisch und trotzdem kritisch sein

Kann nicht: Still sitzen, es gut sein lassen, geduldig sein

Liebt an Basel: Die vielen Brücken, Kleinbasel

Vermisst in Basel: Das Meer

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