«Eine Kürzung würde unser Aus bedeuten»

Das Gare du Nord arbeitet eng mit freischaffenden Künstler*innen zusammen und bietet ihnen eine Plattform – dennoch spricht sich das Leitungsteam gegen die Musikvielfaltsinitiative aus. Sie kritisieren die Vorgehensweise der Initiant*innen und sehen die Institution in ihrer Existenz bedroht.

Co-Leitung Gare du Nord
Ursula Freiburghaus, Johanna Schweizer und Andreas Eduardo Frank vom Gare du Nord sind der Meinung, dass die freie Szene von Institutionen wie ihrer stark profitiert. (Bild: Bettina Matthiessen)

Auf Ihrer Bühne treten rund 85 Prozent freischaffende Musiker*innen auf. Trotzdem sprechen Sie sich gegen die Initiative aus. Was sind die Gründe?

Andreas Eduardo Frank: Gare du Nord setzt sich seit Jahren dafür ein, die Situation für die freischaffenden Musiker*innen zu verbessern. Wir sind als Institution auf Subventionen angewiesen. Von der Initiative werden wir aber als eine der Institutionen aufgeführt, die der freien Szene Geld wegnimmt. Aber die Musiker*innen der freien Szene brauchen für ihre Produktionen einen Raum, der voll eingerichtet ist, der technische Ausstattung und Betreuung hat – und das kostet Geld.

Ursula Freiburghaus: Wir leisten ausserdem wichtige Arbeit in Bezug auf die Publikumsbindung. Die Beziehung zu den Zuschauer*innen gelingt nur, wenn man sie pflegt und dafür braucht es einen Ort. Wir haben das Publikum über lange Zeit an die neue Musik herangeführt. Auch das kostet alles Geld. Natürlich ist das Anliegen der Initiative gerechtfertigt, aber sie machen keine konkreten Vorschläge und lassen es auf eine Umverteilung ankommen.

Musikvielfalt-Podium
Podiumsdiskussion

Am 24. November stimmt Basel über die Musikvielfaltsinitiative ab. Die Initiative fordert, dass ein Drittel der kantonalen Musikförderung in Basel freien Musiker*innen zugutekommt. Könnte so die Situation der freien Musikschaffenden tatsächlich verbessert werden führt die Initiative zur Spaltung der Szene? Das diskutieren wir beim Podium mit Vertreter*innen aus Kultur und Medien. 

Wann: Mittwoch, 30. Oktober, 19 Uhr Wo: Saal im KHaus

zur Anmeldung

Führt dies aus Ihrer Sicht zu der häufig prophezeiten Spaltung der Szene?

Freiburghaus: Die Initiant*innen fordern nicht explizit, dass es eine Aufstockung gibt. Sie sagen nur, sie machen sich nachher dafür stark, falls die Initiative angenommen wird.

Was ist Ihre Befürchtung, wenn die Initiative angenommen wird?

Johanna Schweizer: Eine Annahme der Initiative riskiert vieles zu zerstören, was über lange Jahre aufgebaut wurde und wovon die freie Szene heute stark profitiert. Gare du Nord hat über Jahre hinweg eine Struktur entwickelt, die diese Szene beheimatet und fördert. Wir bieten ja nicht nur Raum. Wir bieten künstlerische Unterstützung, Networking und vieles mehr.

Sie glauben also nicht an eine Budgeterhöhung im Falle der Annahme?

Freiburghaus: Ich finde es einfach sehr riskant von einer Erhöhung auszugehen.

Schweizer: Basel ist im nationalen Vergleich eine der Städte mit dem höchsten Kulturbudget pro Kopf.

Basel-Stadt hat jedes Jahr finanzielle Überschüsse. Sollte man sich das nicht leisten können?

Freiburghaus: Das wäre schön, der Meinung sind wir grundsätzlich auch. Aber hier gibt es natürlich auch zahlreiche andere Anspruchsgruppen, und deshalb können wir momentan nicht davon ausgehen.

Schweizer: Eine Umverteilung riskiert jedenfalls den Fortbestand einiger Institutionen und Klangkörper. Für Gare du Nord würde eine Kürzung das Aus bedeuten.

Freiburghaus: Und dann gäbe es keinen ganzjährigen Spiel- und Produktionsort mehr für die zeitgenössische Musik und ihre freie Szene in der Schweiz.

Co-Leitung Gare du Nord
Das Leitungsteam des Gare du Nord

In der Kulturstätte Gare du Nord beim Badischen Bahnhof wird zeitgenössische Musik produziert und aufgeführt. Geleitet wird das Haus von Andreas Eduardo Frank (künstlerische Leitung), Ursula Freiburghaus (Kooperationen) und Johanna Schweizer (Geschäftsführung). Frank hat de künstlerische Leitung im August 2024 von Desirée Meiser übernommen. Der 36-jährige Komponist, Performer, Ensembleleiter und Festivalmacher möchte das Gare du Nord zum Heimatort für neue, kreative, inklusive und spannende klangbasierte Kunst machen. 

Einerseits ist die Situation in Basel also im Vergleich gut und andererseits braucht es Ihrer Meinung nach dennoch mehr Mittel. Was wäre eine gute Methode, um die Situation zu verbessern?

Schweizer: Möglicherweise wäre es sinnvoll, wenn die Verteilung nicht über neue Kommissionen oder Jurys funktionieren würde, sondern wenn bestehende Häuser mehr Mittel bekommen, um gezielt die freischaffenden Musiker*innen zu unterstützen. Es wäre gut, wenn man das Know-how und die Strukturen nutzt, die schon vorhanden sind.

Frank: Wir müssen als Haus künstlerische Akzente setzen und die freie Szene unterstützen können. Zusätzlich sollten die Künstler*innen selbst Förderung beantragen können. Ich denke, das wäre optimal für die freie Szene.

Freiburghaus: Die prozessorientierte Förderung finde ich auch einen guten Weg. Das gibt es schon bei Pro Helvetia und in Zürich. Da wird die Förderung nicht an die Veröffentlichung von Projekten, sondern an ihren Erarbeitungsprozess gebunden. Was in der Initiative auch nie erwähnt wird, ist der Mehrwert, den die Institutionen selbst erwirtschaften und an die Künstler*innen weitergeben.

Wie viel von Ihrem Budget geht an die Künstler*innen weiter?

Schweizer: Alles, was wir machen, ist ausschliesslich Arbeit, die für die Künstler*innen einen Mehrwert bringen soll. Das machen wir ja nicht, um uns zu profilieren, sondern das machen wir für die Szene. Insofern kann man sagen, die Subvention zuzüglich der selbst erwirtschafteten Eigenmittel kommt vollumfänglich der Szene zugute.

Wie gross ist die Szene der freischaffenden Musiker*innen in Basel?

Frank: Die ist sehr gross, weil bereits mehr Geld im Spiel ist als in anderen Städten. Aber irgendwann merkt man auch hier, dass es knapp wird. Vor zwanzig Jahren sah die Situation noch ganz anders aus. Die Förderung ist nicht in dem Mass gestiegen wie die Anzahl der Leute, die Musik machen und Förderung beantragen.

Dieses Phänomen kennt man auch aus anderen Bereichen, zum Beispiel der Kunst. Was macht man da?

Frank: Die Hochschulen haben einen sehr grossen Output und man weiss eigentlich von Anfang an, nur ein Bruchteil der Menschen, die das Studium beginnen, wird kommerziell Erfolg haben.

Das ist die Situation, und was ist die Lösung?

Freiburghaus: Die haben wir leider auch nicht parat.

Sollten die Hochschulen weniger Leute ausbilden?

Schweizer: Viele Leute kommen hierher, um zu studieren und bleiben, weil die Fördersituation hier einfach besser ist als an anderen Orten auf der Welt. So entwickelt sich ein Kreislauf, in dem es theoretisch immer mehr Förderung bräuchte.

Frank: Ich denke, auch das Publikum wird nicht in dem Mass mehr, indem der künstlerische Output steigt.

Widersprechen Sie der Initiative also im Kern? Braucht es gar nicht mehr Förderung?

Freiburghaus: Vielfalt zu fördern, ist wichtig und mehr Vielfalt braucht mehr Förderung. Aber es braucht eine gezielte Strategie der Umsetzung, die wir in der Initiative vermissen. Denn Quantität ist nicht unbedingt mehr Qualität.

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Kommentare

Peter Bieri
22. Oktober 2024 um 05:38

Der Gare du Nord macht zweifelsohne tolle Arbeit und ist eine wochtige Institution. Allerdings klingt vieles in diesem Interview nach Besitzstandswahrung. „bestehende Häuser (sollten) mehr Mittel bekommen, um gezielt die freischaffenden Musiker*innen zu unterstützen“ Grosse Häuser können nie so schlank produzieren wie die freie Szene. Da versickert dann einfach wieder mehr Geld…

Victor Moser
22. Oktober 2024 um 06:37

ps. Ein Teil des „Geschäftsmodells“ des Gare du Nord funktioniert so: freie Musiker*innen gehen zum Fachausschuss Musik (öffentliche Förderung). Falls sie Geld bekommen, mieten sie dann mit diesem Geld den Raum im Gare du Nord. Statt sich aber solidarisch für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der eigenen Künstler*innen einzusetzen, sprechen sie sich lieber gegen eine Initiative aus die genau dieses Potential hat? Gemeinsam können wir Verbesserungen schaffen!

Caroline Faust
22. Oktober 2024 um 09:41

zu den Zahlen

Johanna Schweizer sagt hier im Interview: "Basel ist im nationalen Vergleich eine der Städte mit dem höchsten Kulturbudget pro Kopf." Im Städtevergleich zeigt sich, dass Basel im Bereich Musik anderen Städten deutlich hinterherhinkt. Die höchsten pro Kopf Ausgaben punkto öffentlicher Kulturförderung hat der Kanton Genf. Gemäss Kulturleitbild BS (2020-2025) sieht es mit dem Kulturbudget im Vergleich zu anderen Kantonen so aus: BS 4,7% – andere Kantone durchschnittlich 7% Musikausgaben im Städtevergleich: BS 9,4% ZH 20% BE 34% Lausanne 38%

In unserem Dossier sind die Vergleiche abgebildet.

Victor Moser
22. Oktober 2024 um 06:34

Das Gare du Nord ist unbestritten ein wichtiger Ort für zeitgenössische Musik. Und hat genau deshalb eine Relevanz die sich auch mit Annahme der Initiative nicht ändern wird.

Es ist erstaunlich, wie ängstlich das Leitungsteam des Gare du Nord argumentiert. Die Musikvielfalt Initiative ist genau aus dem Grund unformuliert, weil man nach Annahme der Initiative eine Auslegeordnung mit allen involvierten Playern/Institutionen machen muss. In Basel fehlt es an einer Vision für eine zeitgemäße Musikförderung. Das merkt man auch an diesem Interview. Das einzige, was zählt ist scheinbar die Besitzstandswahrung. Eine vielfältigere Förderung muss auch mit den Mitteln möglich sein die wir heute haben. Aber Basel kann sich eine Erhöhung leisten. Dafür sollten wir gemeinsam kämpfen.

Kaspar von Grünigen
22. Oktober 2024 um 09:45

Warum so fatalistisch?

Die Haltung des Gare du Nord ist leider bedauernswert. Kurze Faktenkorrektur: Die Initiative listet keine «Institutionen, die der freien Szene das Geld wegnehmen», sie fordert einen Drittel des öffentlichen Musikbudgets für das freien Musikschaffen aller Genres. Das schliesst auch Spielstätten und Strukturförderung ein. Die Initiative ist genau deswegen unformuliert, weil die öffentliche Musikförderung in Basel ein Update braucht, gerne auch verknüpft mit mehr Mitteln. Im Interview sagen die Verantwortlichen des GdN ja selber, dass sich in den letzten 20 Jahren viel verändert hat. Warum sich also als Institution dieser offenen und partizipativen kulturpolitischen Verhandlung entziehen, die auch die Stimmbevölkerung einschliesst? Und: Die Initiative wurde in einem sorgfältigen Prozess vorbereitet, der Initiativtext durchlief zwei Vernehmlassungen, wir haben jederzeit allen das Gespräch angeboten. Wer sich einbringen wollte, die:der hatte zahlreiche Chancen.

Lucca Fries
22. Oktober 2024 um 09:51

Die Gard du Nord-Leitung scheint kaum über den eigenen Tellerrand zu blicken. Es gibt in Basel eine Grosszahl von freischaffenden Musiker:innen auf internationalem Niveau, denen Unterstützung fehlt. Besonders in Genres ausserhalb der Klassik. Nicht nur, um von ihrem musikalischen Schaffen zu leben, sondern um Projekte überhaupt zu verwirklichen. Ein Privileg, das ich dem GdN herzlich gönne und dessen wertvoller Beitrag für das Basler Kulturleben auch in der Politik gesehen und geschätzt wird. Schade, dass wir nicht geeint für eine vielfältigere und grosszügigere Musikförderderung einstehen können und viele Institutionen in eine Schutzhaltung einknicken. Basel hat alle Mittel und Voraussetzungen, seinen Ruf als international geachtete Musikstadt auszubauen und um ganze Szenen zu erweitern. Das Potential ist riesig und langfristig auch wirtschaftlich relevant.

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Roberto Barbotti
Vorstandsmitglied JUSO, Musiker

4.7 Prozent sind einer Kulturstadt unwürdig!

Ja, wir haben die grössten pro-Kopf ausgaben in der Kultur. Betrachtet man aber das Gesamtbudget des Kantons, so macht die Kultur gerade mal 4.7 Prozent aus. Bei anderen Kantonen liegt der Schnitt bei 7 Prozent. Das Musikbudget macht überdies 9.4 Prozent des gesamten Kulturbudgets aus. Kulturförderung ist gesetzlich verankert. Es ist wichtig und richtig, über dieses Ungleichgewicht und über eine mögliche Erhöhung zu diskutieren, denn eine zeitgemässe Förderung muss den gesetzlichen Grundlagen (Vielfalt, soziale Sicherheit, gute Rahmenbedingungen) entsprechen. Dafür braucht es alle und es braucht einen partizipativen Prozess. Die Initiative macht diese Schritte möglich.