Ukrainische Mütter im Kita-Dilemma
Arbeit und finanzielle Unabhängigkeit ist den geflüchteten Ukrainerinnen wichtig. Die Schweizer Kita-Situation stellt eine hohe Hürde dar. Basel ist bereit, aufzustocken.
Über 36’000 Geflüchtete aus der Ukraine haben sich mittlerweile laut Staatssekretariat für Migration in der Schweiz registriert. Die meisten davon Frauen und Kinder. Davon haben 29‘821 Personen den S-Status erhalten. Im Osten der Ukraine ist seit Montag eine russische Grossoffensive im Gang, die weitere Menschen in die Flucht treibt.
Zahlen des Schweizer Stellenvermittlerportals Jobcloud lieferten am Dienstag einen Eindruck davon, wie sich die Gruppe der jobsuchenden Geflüchteten in der Schweiz bislang zusammensetzt. Die Analyse kommt zum Schluss: «Die meisten [der Geflüchteten] sind weiblich, haben Englischkenntnisse und einen Hochschul-/Uniabschluss.»
Was bedeutet diese Ausgangslage für Frauen, die mit Kleinkindern in die Schweiz geflohen sind und nun eine Arbeit suchen? Wie steht es um das Platzangebot in den Kitas – und wer soll für die Betreuung bezahlen, solange die Eltern keinen Job haben?
Sozialhilfe und Kanton übernehmen Kosten
Genaue Zahlen, wieviele Ukrainische Kinder in Basler Kitas insgesamt betreut werden, liegen noch nicht vor. Sicher ist: Bislang werden in Kindertagesstätten fünf Kinder aus der Ukraine durch den Kanton finanziert, sagt Sabine Ammann, Leiterin der Fachstelle Tagesbetreuung im Erziehungsdepartement Basel-Stadt. «Die Nachfrage ist noch nicht sehr hoch. Wir vermuten, dass die Familien zuerst in Basel-Stadt ankommen möchten. Kinderbetreuung nehmen sie nur in Anspruch, wenn sie es benötigen.»
Im Frühfördergesetz des Kantons ist festgehalten, dass die Kinderbetreuung «im Sinne der Chancengleichheit» (Ammann) vom Kanton finanziert wird, wenn die Eltern auf Unterstützung durch die Sozialhilfe angewiesen sind. Ammann erklärt: «Wenn die Eltern Sozialhilfe erhalten, übernimmt die Sozialhilfe den minimalen Elternbeitrag von rund 150 Franken für eine Teilzeitbetreuung und das Erziehungsdepartement den restlichen Betrag. Das sind für 40 Prozent Betreuung 850 Franken.»
Sobald die Eltern einen Lohn verdienten, zahlen sie einen einkommensabhängigen Beitrag. Dieses System gilt für alle Familien, unabhängig ihrer Migrationsgeschichte. Voraussetzung ist, dass sie im Kanton Basel-Stadt angemeldet sind und Sozialhilfe beziehen.
Der Schutzstatus S sei insofern eine relative Erleichterung für ukrainische Geflüchtete, da er rasch und unbürokratisch zur Unterstützung durch die Sozialhilfe berechtigt.
Eltern tragen Kosten zum Teil selbst
Monika Bitterli, Geschäftsführerin von Basels grösster Kita-Gruppe familea bestätigt, dass die Nachfrage nach Kita-Plätzen bislang gering sei. In Familea-Kitas seien mittlerweile zwar mehr als fünf Kinder untergebracht, aber zum Teil sei die Kostenübernahme noch in Abklärung. «Ich denke dabei zum Beispiel an eine Mutter mit vier Kindern, die mittlerweile aus dem Schweizer Homeoffice ihrem Job in der Ukraine nachgeht», erzählt Bitterli. Zwei der Kinder gehen in eine der familea-Kitas von Basel-Stadt.
76 Prozent der Jobsuchenden Ukrainier*innen in der Schweiz, sind laut der Jobcloud-Analyse weiblich und haben einen hohen Bildungsstatus. So verfügen gemäss Jobcloud 75 Prozent haben einen Uni- oder Hochschulabschluss. Nicht alle dieser Frauen haben Kinder. Doch diejenigen Frauen, die ihre Kinder in familea-Kitas unterbrachten, passten zur Bildungsanalyse von Jobcloud, sagt Sabine Bitterli: «Viele Mütter sind bereits wieder arbeitstätig. Sei’s, dass sie hier in der Schweiz einen Job fanden, oder dass sie aus dem Schweizer Exil, als Lehrerinnen im Homeoffice arbeiten. Die meisten von ihnen sprechen Englisch.»
Betreuungsplätze für Kinder ukrainischer Geflüchteter können zurzeit geschaffen werden, sagt Bitterli. Man behalte die Entwicklung aber im Auge, um rasch reagieren zu können, etwa mit Platzzahlerweiterungen. Der Kanton zeige sich diesbezüglich offen.
Schwerpunkt Sprachförderung
Die sprachliche Entwicklung der Kleinkinder wird in den Basler Kitas durch geschulte Pädagog*innen begleitet, die die Kinder im Alltag begleiten. Da werden Geschichten auf Deutsch erzählt, oder alltägliche Dinge benannt, wie etwas das Essen, oder das Wetter. Die Deutschförderung knüpft vielerorts an die bestehende Arbeit in Kitas an, in denen bereits heute eine Vielzahl von Sprachen gesprochen wird, sagt Bitterli.
Amman vom ED ergänzt: Die Bereitschaft, Flüchtlingskinder zu integrieren, ist bei vielen Kitas hoch. Je nachdem muss beobachtet werden, ob es zum Beispiel für traumatisierte Kinder mehr Unterstützung brauchen wird.
«Finanzielle Unabhängigkeit ist wichtig»
Halyna Rinner ist vor 22 Jahren aus der Ukraine nach Basel gekommt, um hier zu studieren. Heute engagiert sie sich als Helferin und Koordinatorin für verschiedener Netzwerke in der Geflüchtetenhilfe. Rinner sagt, es gebe durchaus Interesse am Thema der Kleinkinderbetreuung. Bislang seien aber andere Themen, wie die Unterkunft, Sprachkurse oder Arbeitsmöglichkeiten im Vordergrund gestanden. «Ich bin aber sicher, dass das in den kommenden Wochen dominanter werden wird.»
In der Ukraine sei es verbreitet, Kinder ab sechs Monaten in eine staatliche Kinderkrippe zu geben. Es gebe auch private oder halbprivate Anbieter. Das habe auch historische Gründe. Es sei üblich, dass Frauen schon bald nach der Geburt wieder Vollzeit arbeiten gehen und der Staat die Versorgung der Kinder übernimmt. «Das war schon bei meiner Mutter so», erzählt Rinner, die mit einer Schwester aufgewachsen ist. Dass Ukrainer*innen vor diesem Hintergrund mit einer gut ausgebildeten Kinderbetreuung rechnen, darf also angenommen werden.
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