Die Linke und ihre gewerbe(un)freundliche Politik
Linke Politik sei gewerbeunfreundlich, meint Gewerbeverbandspräsident Hansjörg Wilde. Links-Grün weist den Vorwurf zurück. Doch das Verständnis davon, was gewerbefreundlich bedeute, unterscheide sich.
Der Gewerbeverband will mehr «Basler Gewerbe in die Politik» bringen. Wie? Indem er Kandidierende für den Grossen Rat unterstützt. Auf der Liste stehen 64 Kandidat*innen aus den Parteien GLP, Die Mitte, FDP, LDP und SVP. Darunter auch Gewerbeverbands-Präsident Hansjörg Wilde höchstpersönlich. Er steigt für die SVP ins Rennen um einen Sitz in der Legislative.
Tamara Alù, Leiterin Politik und Kandidatin für die FDP, sowie Vorstandsmitglied und LDP-Grossrätin Lydia Isler-Christ sind auch auf der Liste. Die drei präsentierten am Montag der geladenen Presse die Forderungen des Gewerbeverbands in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen, Stadtentwicklung, Mobilität, Umwelt und Energie sowie Bildung und Arbeitsmarkt.
Doch mehr als die wenig überraschenden Anliegen dürfte die anwesenden Journalist*innen interessiert haben, wie der Gewerbeverband künftig mit seinen Mitgliedern umzugehen gedenkt, die nicht nach einer bürgerlich-konservativen Parteilogik ticken.
Ist der Gewerbeverband (noch) der richtige Verein für linke Unternehmer*innen?
Im Juli machte die bz publik, dass Unternehmer*innen links der politischen Mitte vom Gewerbeverband im Wahlkampf nicht unterstützt werden; keiner von ihnen erreichte bei einer Art Gesinnungstest die nötige Punktzahl (mindestens 30 von 34 Punkten). Nach Veröffentlichung des bz-Artikels wurde rasch Kritik laut, wonach der Gewerbeverband sich nun doch nicht so offen zeige, wie sein Direktor Reto Baumgartner dies letztes Jahr angekündigt hatte.
«Wir sind ein offener Verband, unterscheiden nicht zwischen links und rechts, aber wir wollen gewerbliche Anliegen vorantreiben.»Hansjörg Wilde, Präsident des Gewerbeverbands und Grossrats-Kandidat der SVP
Alù versuchte heuer vor den Medien zu erklären: «Die politischen Leitlinien des Verbands, die von Delegierten und somit auch von den 5500 Mitgliedern definiert wurden, bilden die Grundlage der Empfehlungen.» Und Wilde meint: «Wir sind ein offener Verband, unterscheiden nicht zwischen links und rechts, aber wir wollen gewerbliche Anliegen vorantreiben.» Er sieht den «Fraktionszwang» als Hauptgrund für eine gewerbeunfreundliche Politik seitens der Linken. Faktisch gibt es keinen Fraktionszwang, jedoch stimmt die Linke oft geschlossen. Die Abstimmungspflicht sei militärisch und hierarchisch organisiert, findet Wilde, wer anders stimme, müsse sich rechtfertigen. «Das ist mühsam.»
Der Grüne Grossrat Jérôme Thiriet, der während seiner Regierungsratskandidatur im Frühling gerne seinen Unternehmer-Background betonte (er leitet eine Velo-Kurierzentrale), sagt dazu auf Nachfrage von Bajour: «Wenn ich gut argumentiere, kann ich beim Grün-Alternativen Bündnis problemlos anders stimmen.» Dies war beispielsweise beim Vorstoss für eine Arbeitszeitreduktion auf 38 Stunden pro Woche von Basta-Grossrätin Tonja Zürcher der Fall, aber auch beim Vorstoss von SVP-Grossrat Lorenz Amiet wider die Auswüchse bei Lohngleichheitsanalysen. Es war Thiriet zu viel Druck auf die Privatwirtschaft bzw. zu viel Bürokratie. Die Vorlagen blieben chancenlos.
«Die politischen Leitlinien des Verbands, die von Delegierten und somit auch von den 5500 Mitgliedern definiert wurden, bilden die Grundlage der Empfehlungen.»Tamara Alù, Leiterin Politik beim Gewerbeverband und Grossrats-Kandidatin der FDP
Natürlich sei die Begeisterung über sein Abweichen im links-grünen Lager nicht gross gewesen, meint der Velounternehmer, zählt bei Abstimmungen angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im Parlament doch jede Stimme. Doch gerade deshalb komme es dem Gewerbeverband zugute, wenn auch Linke fürs Gewerbe stimmten, findet Thiriet. «Stattdessen lässt der Gewerbeverband die linken Unternehmer*innen links liegen.»
Thiriet hat keine Wahlempfehlung des Verbands erhalten. Er findet die Aktion mit der «Gesinnungsprüfung» fragwürdig: «Sinnvoller wäre gewesen, wenn der Gewerbeverband keine Empfehlung abgegeben oder einfach alle seine Mitglieder empfohlen hätte, so wie es andere Verbände auch handhaben.»
Dieser Meinung ist auch Mitte-Co-Präsident Franz-Xaver Leonhardt (Krafft Gruppe): «Ich bin nicht so happy mit dieser Art von Fragebogen», sagt er zu Bajour. Er ist neben Thiriet, SVP-Grossrat Amiet (Keller Swiss Group) und SP-Grossrat Daniel Sägesser (Megasol Energie) einer der wenigen Unternehmer im Grossen Rat, die mehr als zehn Angestellte haben.
«Sinnvoller wäre gewesen, wenn der Gewerbeverband keine Empfehlung abgegeben oder einfach alle seine Mitglieder empfohlen hätte, so wie es andere Verbände auch handhaben.»Jérôme Thiriet, Grossrat Grüne
Anders als Amiet wurde Leonhardt vom Gewerbeverband nicht zur Wahl empfohlen, zumindest nicht sofort. Nachdem er den Fragebogen ausgefüllt habe, habe er eine Absage bekommen, sagt er. Scheinbar war der Mitte-Grossrat dem Gewerbeverband zu links. Einen Tag später wurde er dann doch in die Wahlempfehlung aufgenommen. Wilde sagt zu diesem Umdenken: «Leonhardt wurde als Präsident von Hotelsuisse empfohlen», was quasi «eine befreundete Organisation» sei. Das Versehen habe man rasch korrigiert.
Progressiveres Verständnis
Und dann ist da eben noch Daniel Sägesser von der SP, von dem der Gewerbeverband ebenfalls nichts wissen will. Und umgekehrt. Der Energie-Unternehmer wehrt sich gegen den von Wilde geäusserten Vorwurf des Fraktionszwangs. «Ich kämpfe im Rat nicht gegen meine Überzeugungen. Das ist eine sehr komische Theorie, die ich zurückweisen möchte.» Aber er habe vielleicht ein anderes, progressiveres Verständnis von gewerbefreundlicher Politik.
«Für mich ist gewerbefreundliche Politik eine, die macht, dass auch unsere Kinder mal noch Gewerbe betreiben können.» Es gehe um Nachhaltigkeit und Gleichstellung. Als Erfolgsbeispiel nennt er die Kita-Initiative der SP, die letzten Endes zurückgezogen, jedoch deren Gegenvorschlag (unter anderem finanzielle Entlastung von Familien) umgesetzt wurde. Es gehe unter anderem darum, möglichst viel Kaufkraft ins Portemonnaie zu bringen und die Erwerbsquote insbesondere von Frauen zu erhöhen. Das sei für das Gewerbe ebenso wichtig.
Wilde sieht das anders: «Irgendjemand muss die Entlastung bezahlen.» Am Ende seien dies die Steuerzahler*innen, weshalb es sich hier um «eine Schwanzbeisserei» handle.
«Von der rechts-konservativen Seite wurde immer wieder der Untergang der Wirtschaft prophezeit, doch es stimmte nie.»Daniel Sägesser, Grossrat SP
Sägesser spart nicht an Kritik. Das Verständnis des Gewerbeverbands, was gewerbefreundliche Politik sei, bezeichnet er als «antiquiert, ja reaktionär». Als Beispiel nennt er die Parkplatzdiskussion(en): «Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Strassen mit Platz für Langsamverkehr oder Laufkundschaft dem Gewerbe mehr Umsatz ermöglichen.»
Und in Bezug auf Arbeitszeitmodelle wie der 38-Stunden-Woche sagt er: «Von der rechts-konservativen Seite wurde immer wieder der Untergang der Wirtschaft prophezeit, doch es stimmte nie. Es war die Linke, die moderne Arbeitszeitmodelle vorantreiben musste. Heute sind das Errungenschaften, niemand will mehr zurück zu einer 60-Stunden-Woche.» Die Produktion sei trotzdem gestiegen.
Thiriet findet, der Gewerbeverband zeige sich insgesamt dennoch offener als früher, mache vieles gut. So hat die Geschäftsleitung unter Baumgartner zum Beispiel zur Umsetzung des Netto-Null-Ziels 2037 den Kontakt zu den Initiant*innen der Klimagerechtigkeits-Initiative Basel 2030 gesucht, um den Austausch zu fördern und möglichst viele Menschen an Bord zu holen. Wilde meint: «Wir wollen nun, da der Souverän entschieden hat, Teil der Lösung sein. Und diese kann nicht ohne das Gewerbe funktionieren.»
Genau deshalb sind aber auch viele linke Politiker*innen irritiert, dass der Gewerbeverband mit seinen Empfehlungen von einem Handreichen nach Links zurückgekrebst ist. Auch Leonhardt findet: «Der Schwerpunkt müsste auf die Gemeinsamkeiten der Gewerbepolitik gelegt werden, nicht auf Parteipolitik.»