Ist das Kunst oder kann das … übergestrichen werden?
Von ihrem Balkon aus beobachtet Kolumnistin Cathérine Miville das bunte Treiben in der Hebelstrasse. Als sie beobachtet, wie ein Graffito übermalt wird, stellt sie sich die grosse Fragen: Was ist Kunst? Und wo ist die Grenze von Street Art?
Die Hebelstrasse ist eigentlich eine eher ruhige Strasse. Aber es ist doch ganz schön viel los, gerade in den Vormittagsstunden. In letzter Zeit auch – wie überall – durch Bauarbeiten: Da werden in einem Vorgarten mit viel Aufwand Steinplatten für neue Fahrrad-Parkplätze verlegt und gleichzeitig wenige Häuser weiter über Tage Steinplatten aus dem Haus getragen, weil die Veranda hinter dem Haus durch eine Wildblumenwiese ersetzt wird. Aber ich setze mich dennoch gerne ein halbes Stündchen auf meinen kleinen Balkon zum Lesen. Immer wieder lasse ich mich leicht vom munteren Quartier-Treiben ablenken, so auch dieser Tage von einer Kita-Gruppe.
Schon aus der Ferne hörte ich die Techno-Klänge, die ihr Zügli begleiteten. Alle haben ein Rucksäckli und Kuscheltiere dabei, manche kleine Kuscheldecken. Sie winken mit bunten Bändchen in allen Regenbogen-Farben, die sie an kurze Stäbe gebastelt haben: CSD in der Kita? Im Bollerwagen sitzt ein kleiner Junge mit Krone und aus der Boom-Box schallt eine Techno-Version von «Happy Birthday». Also ein Geburtstagszügli mit Winkstäbchen in Regenbogen-, aber ebenso in zahllosen anderen leuchtenden Farben. Und Regenbogenfarben können ja auch nur einfach schöne Regenbogenfarben sein – hoffentlich zumindest für kleine Kinder immer noch.
Cathérine Miville ist in Basel geboren und aufgewachsen. Sie unternahm ihre ersten Karriereschritte am Theater Basel, später lebte sie lange Zeit in Deutschland, führte an verschiedenen Häusern und bei Dieter Hildebrandts Sendung «Scheibenwischer» Regie und leitete zuletzt als Intendantin das Stadttheater Giessen. Als vor drei Jahren Mivilles Vater, der Basler SP alt Ständerat Carl Miville-Seiler, starb, beschloss sie, nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Intendantin, wieder in Basel zu leben. In ihrer neuen Kolumne «Ma ville» wirft die 70-Jährige regelmässig einen genauen Blick auf das kulturelle Leben in der Stadt und reflektiert, wie sich Basel entwickelt hat.
Der kleine Festzug hält vis-à-vis beim Lampen-Laden. Im Schaufenster steht eine riesengrosse Blumenvase aus Glas, gefüllt mit zahllosen glänzenden Glühbirnen, an denen sich die Gruppe wieder nicht sattsehen kann. Und an Strassenecke ist ein Maler zum x-ten Mal damit beschäftigt, einen schwarzen Schriftzug zu überstreichen. Zwei Mädchen aus der Gruppe diskutieren mit ihm.
Ich wollte zu gerne wissen, was die Kinder dem Maler gesagt haben und bin, als er wieder allein war, zu ihm hingegangen. Er grinst: «Die beiden Mädchen wollten mir beim Streichen helfen, was die anderen dann auch eine ganz tolle Idee fanden. Ich musste heftig argumentieren, um sie davon abzubringen.»
Wir kamen ins Gespräch und er verriet mir, dass er es manchmal schon bedauert, wenn er selbst schöne Bilder an Hauswänden übermalen müsse. Aber ohne Genehmigung geht halt nichts. Für reine Schmierereien hätte er aber überhaupt kein Verständnis. Das Hase-und-Igel-Spiel sei nur nervig – obwohl es natürlich ein gutes Geschäft sei. Er hätte schon überlegt, Hausbesitzer*innen all-inclusive-Jahres-Abos anzubieten: ein volkswirtschaftlicher Faktor – aber leider nicht minder ein steter Input für neue Empörung und Zwist in der Gesellschaft.
Der städtische Diskurs ist durch den ewigen Hauswand-Vandalismus arg vergiftet. Das schadet nicht zuletzt der Street-Art, die leider allzu oft in den gleichen Kübel wie reine Schmierereien gekippt wird.
Warum müssen auch berechtigte politische Statements so kommuniziert werden, dass sie in jeder Hinsicht nichts als Schäden anrichten? Sogar Sandsteingemäuer historischer Bauten werden nicht verschont. Diese Aktionen schaden auch den Ideen dieser Sprüher. Sie vergiften den politischen Diskurs und sie lösen extreme und pauschale Ablehnung ihrer Inhalte aus – selbst bei Menschen, die für ihre Sache im Kern vielleicht durchaus Verständnis hätten.
Dieses latente Genervt-Sein ob dieser Aktionen ist mehr als nachvollziehbar, wenn das eigene Haus, die eigene Gartenmauer oder das Baudenkmal ständig beschmiert wird.
Der städtische Diskurs ist durch den ewigen Hauswand-Vandalismus arg vergiftet. Das schadet nicht zuletzt der wirklichen Street-Art, die leider allzu oft in den gleichen Kübel wie reine Schmierereien gekippt wird. Das ist mehr als bedauerlich, gerade in Basel: Die Stadt hat als Vorreiterin dieser Kunstbewegung grandiose Werke zu bieten, die Kunstinteressierte von weither anlocken. Und ganz vorbildlich ehrt sie seit 2024 DARE (Sigi von Koeding) mit der offiziellen Benennung einer Freizeitanlage. Der Schweizer Graffiti-Writing-Künstler starb 2010. In der damaligen Talkshow von Kurt Aeschbacher im SRF1 erläuterte er 2009 unter dem Motto Kindsköpfe rückblickend seinen Werdegang vom illegalen «Schmierer» zum anerkannten Künstler.
Auch bei echter Street-Art gibt es Grenzen. Die Freiheit dieser Kunstform endet dabei meist an der Hausmauer des Nachbarn, von einem oft sehr bunten Graubereich mal abgesehen.
Seit dem Mittelalter lassen Menschen in Basel ihre Häuser bemalen und es lohnt sich, bei einem Stadtspaziergang mal öfter nach oben zu gucken. Aber wo sind die Grenzen? Wo hören kunstvolle Wandbemalung, Fresko, Streetart, also Urban Art aller Art auf? Wo beginnt Vandalismus?
Auch bei echter Street-Art gibt es Grenzen. Die Freiheit dieser Kunstform endet dabei meist an der Hausmauer des Nachbarn, von einem oft sehr bunten Graubereich mal abgesehen.
«Ist das Kunst? Oder kann das weg?» Die legendäre Frage hat sich verändert: «Ist das Kunst, oder kann das überstrichen werden?» Der Grat ist schmal – aber das könnte einen offenen Dialog ja auch bereichern.