Ist eine konstruktive Debatte möglich?
Die Debatte zur auf Eis gelegten Vergabe des Kulturpreises an Leila Moon sowie ein abgesagtes Konzert im linken Kulturlokal Hirscheneck zeigen, wie herausfordernd es aktuell ist, sich zum Nahostkonflikt zu äussern. Misst die Linke mit zwei Ellen, wie SVP-Präsident Pascal Messerli sagt? Wir haben uns in der linken Kulturszene umgehört.
Nachdem vor allem von links Protest dagegen laut wurde, dass nach Kritik der SVP die Verleihung des Kulturförderpreises an die pro-palästinensische DJ Leila Moon nicht wie geplant am Freitag stattfindet, gibt ein weiteres Ereignis in der Basler Kulturszene zu reden. Das linke Kulturlokal Hirscheneck hat kurzfristig ein Konzert des deutschen Künstlers Björn Peng abgesagt. Dies offenbar, weil der Musiker die Kampagne «Artists Against Antisemitism» mitbegründet hat. Nicht nur bürgerliche Politiker*innen horchen auf.
Die Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt verunsichert die Kulturszene. Wer sich politisch äussert, muss mit Konsequenzen rechnen. Es stellt sich die Frage, welchen Stellenwert die Meinungsäusserungsfreiheit bei Aussagen hat, die einem politisch nicht in den Kram passen.
Im Fall Leila Moon kritisierte die Linke die politische Einflussnahme durch die SVP. SVP-Grossrat Pascal Messerli wollte das so nicht stehen lassen. Er glaubt, die Linke messe mit zwei Ellen und warf im gestrigen Bajour-Artikel die Frage auf, ob die Linke ähnlich reagiert hätte, wenn eine rechte Rockgruppe den Preis gewonnen hätte.
«Diese Nebenschauplätze, die nun von der Politik ausgetragen werden, finde ich unnötig und schade.»Michela Seggiani, SP-Grossrätin
Michela Seggiani bedauert, dass diese Debatte um Leila Moon und nun auch übers Hirschi existiert. «Eigentlich sollten wir gemeinsam friedliche Lösungen suchen und für gegenseitigen Respekt einstehen», sagt die SP-Grossrätin, die in der Bildungs- und Kulturkommission sitzt. «Diese Nebenschauplätze, die nun von der Politik ausgetragen werden, finde ich unnötig und schade.» Seggiani erinnert an das 2008 geplante Konzert des Reggae-Sängers Capleton in der Kaserne Basel, das nach Protesten von linker Seite abgesagt wurde. Kritisiert wurden damals die homophoben Texte des Sängers. «Auch ich war damals gegen den Auftritt. Es kommt aber immer auf den Einzelfall an, man kann das nicht pauschalisieren.» Hier war es also die Linke, die einen Riegel vorschob.
Es gehe um die Texte und die Ausrichtung einer Band, sagt Seggiani. «Ich sehe es auch als Aufgabe der Politik, uns ab und zu einzumischen, aber eben nicht zu sehr.» Es sei ein schmaler Grat, aber jeder Fall müsse einzeln betrachtet und nicht in links oder rechts kategorisiert werden.
«Dieses ‹Was-wäre-wenn› lenkt nur von der eigentlichen Debatte ab.»Jurriaan Cooiman, Initiator und Begründer des Kulturfestivals Culturescapes
Jurriaan Cooiman, Initiator und Begründer des Kulturfestivals Culturescapes, sieht die Frage von Messerli als eine «merkwürdige Spielerei» und er fragt sich, ob es zielführend ist, überhaupt darauf einzusteigen. «Natürlich hat Leila Moon alles Recht der Welt, ein Konzert zu spielen oder nicht. Ganz unabhängig davon, ob sie einen Preis erhält oder nicht.»
Wenn rechte Bands Texte verbreiten, die gegen unsere Werte stehen, müsse man das natürlich klar sagen können. «Aber das mit jemandem zu vergleichen, der pro-palästinensisch ist, ist nicht nur zynisch und geschmacklos, sondern auch pietätlos gegenüber der Opfer des rechten Gedankenguts in Deutschland und den Opfern im Gaza-Krieg», sagt Cooiman. Dass Leila Moons Auszeichnung für ihr künstlerisches Schaffen nun infrage gestellt wird, hält Cooiman für «absolut inakzeptabel». Er finde das Gedankenspiel der SVP unsäglich. «Dieses ‹Was-wäre-wenn› lenkt nur von der eigentlichen Debatte ab.»
«Im Moment ist die Thematik, ob die Kritik an der Siedlungspolitik Israels gleichzeitig antisemitisch sein muss, ein Minenfeld.»Béla Bartha, Grünen-Grossrat
Grünen-Grossrat Béla Bartha ist wie Seggiani Mitglied der Bildungs- und Kulturkommission. Er meint: «Pascal Messerli widerspricht sich in einem Satz gleich selbst. Er sagt, dass der Entscheid nicht politisch sei, um dann die Frage zu stellen, ob die Linke bei einer rechten Band gleich reagiert hätte. Die Unterscheidung in eine ‹linke› oder ‹rechte› Band ist nichts anderes als politisch», so Bartha. Es sei schade, dass die Diskussionen immer wieder in die gleichen Schemata abrutschen. «Im Moment ist die Thematik, ob die Kritik an der Siedlungspolitik Israels gleichzeitig antisemitisch sein muss, ein Minenfeld. Es scheint mir, dass die politische Rechte sich gleichsam schelmisch freut, wenn die eine oder der andere der Kulturszene oder der ‹Linken› auf eine der gestreuten Minen tritt.»
Eine intelligente und konstruktive Debatte hält Bartha im Moment kaum für möglich. «Die Frage, die Pascal Messerli stellt, scheint mir auch kein intelligenter oder konstruktiver Beitrag zu sein. Er schüttet lediglich Öl in ein Feuer, das ohnehin schon lodert.» Aus seiner Sicht ist es erstrebenswert, wenn man die Debatte darüber führt, inwieweit und vor allem wann ein Veto zu einem Jury-Entscheid gerechtfertigt ist und wann eher nicht. Die Fragen, die Oliver Bolliger in seiner Interpellation zum Fall Leila Moon stellt, sind seiner Meinung nach gerechtfertigt, er gibt aber zu bedenken: «Der Moment ist schlecht gewählt, da die Fragen in einer Zeit der Auf- und Erregung lediglich in Polemik enden.»
Ist eine intelligente und konstruktive Debatte im Moment noch für möglich? Es stellt sich die Frage, wie tolerant und liberal wir gegenüber Andersdenkenden sind und wie hoch wir die Meinungsäusserungsfreiheit bei Aussagen halten, die uns politisch nicht passen. Was denkst du darüber?
Musiker und Komponist Kaspar von Grünigen ist der Ansicht, dass die Debatte «verengt geführt wird». Er sagt: «Dass die SVP nun in dieser Sache politischen Druck ausübt, wundert mich, da sie sich sonst eher weniger für die Kulturförderung und ihre gesellschaftlichen Aspekte interessiert. Die ganze Aktion ist also als Angriff auf die politischen Ansichten der Preisträgerin zu deuten.» Seine persönliche Meinung ist, dass der Jury-Entscheid aus demokratiepolitischen Gründen respektiert werden sollte.
«Ein Jury-Entscheid sollte grundsätzlich unabhängig von den politischen Ansichten des*der Preisträger*in akzeptiert werden.»Kaspar von Grünigen, Musiker und Komponist
Die Frage, ob auch eine Rechtsrock-Band im Fokus der Kritik stehen könnte, findet von Grünigen «aus der Luft gegriffen». Diese Bands seien eher in der rechtsradikalen Subkultur unterwegs und würden oft eindeutig diskriminierende Texte verwenden und so nicht für eine Nomination infrage kommen.
Andererseits ist er der Meinung, dass ein Jury-Entscheid grundsätzlich unabhängig von den politischen Ansichten des*der Preisträger*in akzeptiert werden sollte, selbst wenn öffentliche Kritik daran immer zulässig sei. «Als politisch engagierter Kunstschaffender und Bürger mit linken Werten muss ich das Recht auf freie Meinungsäusserung – sofern diese nicht diskriminierend ist – respektieren.»
«Bei der Vergabe eines Kulturpreises sollte es keine Rolle spielen, ob eine Person links oder rechts ist.»Oliver Bolliger, Basta-Grossrat
Auch für Basta-Grossrat Oliver Bolliger, der oben erwähnte Interpellation eingereicht hat, ist klar, dass bei der Vergabe eines Kulturpreises keine Rolle spielen solle, ob eine Person links oder rechts ist. Entscheidend ist doch, dass die Gewinner*in keine anderen Menschen diskriminiert. «Das tut Leila Moon in ihrer Musik überhaupt nicht», betont Bolliger.
«Sie spricht sich in ihrer Haltung gegen die israelische Siedlungspolitik und den Krieg aus und nicht gegen die jüdische Bevölkerung. Wenn im Rechtsrock Menschen mit Texten abgewertet werden, dann hoffe ich doch sehr, dass diese Bands nicht ausgezeichnet werden.»
«Ich lasse mich nicht vor der Angst leiten, sondern möchte mich äussern, wenn Unrecht geschieht.»Amina Trevisan, SP-Grossrätin
Amina Trevisan tue sich nicht leicht damit, ihre Meinung zu äussern, sagt sie. Sie hat den offenen Brief für Leila Moon als SP-Grossrätin und Mitglied der Bildungs- und Kulturkommission unterschrieben. Im Gespräch mit Bajour hat sie erst Angst, Stellung zu Themen rund um den Nahostkonflikt zu beziehen. «Ich lasse mich aber nicht vor der Angst leiten, sondern möchte mich äussern, wenn Unrecht geschieht.»
Für sie hinkt der Vergleich zwischen links und rechts, denn man könne die Inhalte einer Rechtsrock-Band nicht mit der Musik von Leila Moon vergleichen. «Rechts-Rock verbreitet ein rassistisches, abwertendes und diskriminierendes Gedankengut. Das ist ein Delikt und in dem Fall für mich selbstverständlich, dass eine solche Band keinen Preis erhalten dürfte.» Leila Moon hingegen habe eine politische Haltung und es sei ihr gutes Recht, sich von einer Band zu distanzieren, die sich aus ihrer Sicht nicht gegen die israelische Politik stellt. «Es muss möglich sein, Position gegen einen Staat zu beziehen, dessen Ministerpräsident unter Anklage beim Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte steht, ohne dabei mit dem Antisemitismus-Vorwurf konfrontiert zu werden, so Trevisan.
Diese Aussagen zeigen auf: Der Wunsch danach, eine Debatte fernab von linken und rechten Ansichten zu führen, scheint gewollt und notwendig. Die Ereignisse um Leila Moon und das Hirschi offenbaren, welche Debatten es auslösen kann, wenn man sich öffentlich zum aktuellen Nahostkonflikt äussert und welche Unsicherheit momentan herrscht.