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«Ich habe wahnsinnigen Respekt für die Polizei»

Halb Basel diskutiert darüber, wie «extrem» Heidi Mück sein soll. Doch die Regierungskandidatin der BastA! bemüht sich um eine differenzierte Position zu Demos, Pharma und Wohnen.

11/16/20, 02:11 PM

Aktualisiert 01/26/21, 05:22 PM

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Keine*r kam so dran wie Heidi Mück im Regierungswahlkampf. Nach Elisabeth Ackermann, natürlich. Kaum gab Rot-grün bekannt, dass die Grüne Regierungpräsidentin Ackermann nicht mehr antritt und stattdessen BastA!-Kandidatin Mück ins Rennen im zweiten Wahlgang ins Rennen steigt, wurde sie mit Kritik überhäuft. Und ihre Regierungstauglichkeit wurde sowohl von Bürgerlichen als auch von den Medien (inklusive Bajour) in Frage gestellt.

Die Frage der Fragen ist: Wählen die Linken trotzdem geschlossen Mück und retten so die rotgrüne Mehrheit? Oder ist die linke Wähler*innenschaft so gespalten, dass es am Schluss für eine Mitte-Regierung mit Esther Keller (GLP) oder sogar eine bürgerliche Mehrheit mit dem Bisherigen Baschi Dürr (FDP) und Stephanie Eymann (LDP) reicht?

Wir werden sehen. Aber Schluss mit Taktieren, wir wollen über Inhalte reden.

Zur Person

Zur Person

Heidi Mück ist Geschäftsleiterin der FachFrauen Umwelt. Sie war 12 Jahre lang im Grossen Rat und wurde jetzt wieder reingewählt. Ausserdem hat sie die BastA! mitgegründet und ist erst noch deren Co-Präsidentin.

Frau Mück, reden wir über die Polizei. Sie haben bei uns im Nichtwähler*innen-Video gesagt, Sie hätten ein schwieriges Verhältnis zu Polizist*innen. Können Sie das erklären?

Heidi Mück: Ich habe mich nach dem Dreh geärgert, dass ich eine so verkürzte Antwort auf diese Frage gab. 

Wie verkürzt?

Eigentlich habe ich wahnsinnigen Respekt für die alltägliche Arbeit der Polizei. Als ich Grossrätin war, fuhr ich eine Nacht lang mit einer Streife mit. Wir hatten das ganze Programm: Einsatz in einem Kleinbasler Puff, Strassenkontrollen mit Velofahrern ohne Licht und wir hatten einen Fall von häuslicher Gewalt. Der war massiv und dramatisch. Die Polizistinnen und Polizisten gingen professionell und einfühlsam mit der betroffenen Frau um – das hat mich tief beeindruckt. Und das Community Policing finde ich auch super, die Polizisten in den Quartieren.

Warum sprachen Sie dann von einem «schwierigen Verhältnis mit Polizisten»?

Ich hatte gerade nur eine Seite der Medaille im Kopf und war in Blödelstimmung, weil ja viele der Bajour-Nichtwähler*innen-Fragen auch eine lustige Note hatten. 

Wo haben Sie denn Mühe mit der Polizei? 

Bei Personenkontrollen. Ich fahre oft am Rhein entlang auf meinem Arbeitsweg und sehe: Die Polizei kontrolliert immer junge, dunkelhäutige Männer. Es heisst zwar dann: Das sind Dealer! Aber es hat einfach ein Gschmäggli. 

Vorher haben Sie beschrieben, wie einfühlsam die Polizist*innen mit dem Opfer von häuslicher Gewalt umgegangen sind. Warum trauen sie den Beamten diese Einfühlsamkeit bei den schwarzen Männern nicht zu?

Mein Partner hat bei der Schule für Brückenangebote gearbeitet, als sie noch in der Kaserne war. Und er hatte dunkelhäutige Schüler aus dem Ausland. Und es gab einfach Schüler, die pro Tag dreimal kontrolliert wurden: Auf dem Weg zur Schule, in der Mittagspause und auf dem Heimweg. Dabei gäbe es ja Massnahmen dagegen: Das Ticketingsystem, dass die Sozialdemokratin Tanja Soland gefordert hat, als sie noch Grossrätin war. 

Mit diesem System müssten Polizist*innen den Kontrollierten eine Quittung mit dem Datum und dem Grund für die Kontrolle ausstellen.

Genau. Dann könnten die Jugendlichen den Polizistinnen und Polizisten bei der nächsten Kontrolle einfach das Ticket hinhalten und sie würden sofort sehen: Aha, der wurde schon kontrolliert, der ist ein Schüler, den können wir in Ruhe lassen. Aber das wollte die Polizei nicht und das Parlament auch nicht. 

«Bei der Jugendbewegung habe ich halt die Polizei nicht immer als Freund und Helfer erlebt.»

Heidi Mück zu ihrem zwiespältigen Verhältnis zur Polizei

Und weshalb haben Sie Mühe mit Polizeieinsätzen an Demos?

Dort spielt auch meine Vergangenheit mit. Bei der Jugendbewegung habe ich halt die Polizei nicht immer als Freund und Helfer erlebt. Das war zum Teil schon ein bisschen ein Katz- und Maus-Spiel. Beide Seiten waren nicht immer, wie soll ich es sagen ...

... konstruktiv? Wir von Bajour waren am feministischen Streik am 14. Juni. Wir sahen einen Polizisten, der die Nerven verlor. Aber auch Demonstrant*innen, die provozierten.

Ehrlich?

Eine Demonstrantin gab damit an, sie habe sich oben ohne gezeigt, «um zu provozieren». Ist bestimmt auch nicht immer einfach für die Polizist*innen, cool zu bleiben.

Hm, okay, ja, aber diesen Anspruch muss man eigentlich stellen, das sind doch Profis. Aber ich habe schon Respekt: Die Anspannung an den Demos ist extrem hoch. Aber bei der Deeskalation könnte die Polizei noch mehr machen. Wenn einem die Polizisten mit ihrem heruntergelassen Visier gegenüberstehen, das schürt Angst und Aggressionen.

«Irgendwo hört's auf – Meinungsfreiheit hin oder her.»

Heidi Mück zur Demo der rechtsextremen Pnos

Justizdirektor Baschi Dürr von der FDP hat ziemlich viel Kritik von links eingesteckt, weil er die Demo der rechtsextremen Pnos vor zwei Jahren bewilligt hat. Wie hätten Sie als Justizdirektorin gehandelt?

Irgendwo hört's auf – Meinungsfreiheit hin oder her – ich hätte die nicht erlaubt. Rassismus und Hetze sind keine Meinung.

Sicher? Die BastA! verteidigt linke Demos immer mit den Grundrechten, auch solche ohne Bewilligung.

Ja, ich weiss. Also bei diesem Thema lasse ich mich jetzt auf die Äste raus ...

Das Thema ist extrem heikel. Angesichts der aufgeheizten Stimmung im Wahlkampf umso mehr.

Es ist mir so zuwider, wenn Rechtsextreme auf die Strasse gehen. Und weil es auch absehbar war, dass die Situation eskaliert. Es war klar, dass die Menschen wütend werden, wenn Mitglieder der Pnos auf die Strasse gehen.

Ich frage jetzt trotzdem nach: Es gibt ja auch Linksautonome in Basel, die ab und zu mal Autos zerkratzen, sogar angezündete Autos gabs. Bewegen sich die nicht im Dunstkreis der BastA! und gehen auf ähnliche Demos?

Zum Dunstkreis, also das finde ich noch schwierig.

Ich meine: Weil auch die Autoanzünder*innen ihre Positionen auf dem linksautonomen Portal barrikade.info veröffentlichten … Die BastA! teilt manchmal Demoaufrufe dieses Portals.

Wissen Sie: Wenn man als Politikerin nur an Demos geht, an denen alle Personen in das Schema x passen, können Sie auch gleich zu Hause bleiben. Ich gehe an eine Demo wegen eines Themas, nicht wegen all der verschiedenen Personen, die kommen.

Aber an dieser Pnos-Demo war ja das Thema, Jesses Gott, was war das Thema? … Der UNO-Migrationspakt. Ein legitimes politisches Thema. Und auch die Pnos ist nicht verboten. Also, dass ich mich klar ausdrücke: Ich will hier nicht die Pnos und ihre Werte verteidigen. Ich stelle einfach die Frage: Müssten Sie als Kämpferin der Grundrechte, wenn Sie konsequent sind, diese Demo nicht auch erlauben?

Aber sie hatten ein Transparent mit klar antisemitischem Inhalt.

Aber konnte Baschi Dürr, bzw. seine Polizei, das im Vornherein wissen? Man konnte es ahnen, aber hängen Grundrechte von Ahnungen ab?

Ja, das stimmt. Da muss ich nochmals darüber nachdenken. Aber rein schon aus manövertechnischen Überlegungen hätte ich die Pnos-Demo nicht erlaubt.

Aus manövertechnischen Gründen war aber auch die unbewilligte linke Demo am 1. Mai 2020 ungeschickt, die mitten im Lockdown während des Versammlungsverbots stattfand.

Für mich war klar: Ich gehe während des Lockdowns nicht dorthin.

Sie waren nicht da. Sie haben aber nachher BastA!-Kollegin Tonja Zürcher verteidigt, die da war.

Sie hat mir ihre Gründe dargelegt, und ich habe sie respektiert. Und wenn eine Parteikollegin so in die Kritik gerät, ist für mich klar, dass ich sie unterstütze und verteidige.

Manchmal hauen wir daneben.

Themenwechsel: Sie gelten als Kämpferin für die, die einen schweren Rucksack tragen. Wer trägt in Basel den schwersten Rucksack?

Das sind die Menschen, die von der Digitalisierung abgehängt werden. Die Menschen, die während Corona nicht ins Homeoffice können. Coiffeusen oder Bäcker, beispielsweise. Und die, die jetzt konkret Angst haben um ihre Arbeit.

Also nicht nur Armutsbetroffene, sondern auch der untere Mittelstand.

Das sind Familien, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, die eigentlich ganz gut durchkommen. Aber wenn jetzt ein Kind eine Zahnspange braucht und sie dann merken, dass die 10'000 Franken kostet und die Krankenkasse nicht alles übernimmt, dann wird es knapp. Aber es ist eine Streitfrage, wie man Mittelstand definiert: Mit Bürgerlichen, die behaupten, Familien mit 200’000 Franken Jahreseinkommen gehörten noch zum Mittelstand, damit kann ich nichts anfangen. Die sind wohlhabend.

Bund und Kanton haben ja verschiedenste Corona-Massnahmen gesprochen, unter anderem auch etwa für Coiffeusen*Coiffeure oder Bäcker*innen.

Ich fand es super, dass Basel-Stadt so schnell reagiert hat, ich war richtig stolz auf die Politik. Und die Massnahmen haben im Moment auch geholfen.

Aber?

Die Massnahmen sind zeitlich begrenzt, danach heisst es: Ihr müsst selber schauen. Aber die Wirtschaftskrise wird nicht einfach vorbei sein, wenn Corona vorbei ist. Das ist extrem verunsichernd. Wenn ich mit ganz normalen Menschen rede, merke ich, dass sie erschöpft sind von dieser Unsicherheit. Deshalb wünsche ich mir, dass die Politik ein langfristiges Zeichen setzt und sagt: Wir schauen auch nach der Krise auf euch.

Ist das nicht eine kluge Haushaltsführung, wenn man immer in Tranchen rechnet und vorzu schaut: Haben wir noch Geld für weitere Unterstützung? Man kann ja nicht Geld versprechen, das man nicht hat.

Selbstverständlich kann man sagen, dass das eine gescheite Haushaltsführung ist. Aber ich bin nicht Finanzerin, ich gehe von den Bedürfnissen der Menschen aus. Und in der jetzigen Situation würde ihnen mehr Sicherheit helfen.

«Muss man für die Freie Strasse jetzt auch diese teuren Plättli verwenden oder hätte ein günstigerer Belag gereicht?»

Heidi Mück zu Sparmöglichkeiten

Aber als Regierungsrätin würden Sie auch das Budget Ihres Departements verwalten. Würden Sie auch die Bedürfnisse der Steuerzahler*innen berücksichtigen?

Unbedingt. Ich bin parat für diese Aufgabe. Aber ich wäre ja nicht alleine, sondern Teil eines kollegialen Gremiums. Und da würde ich meine Akzente einbringen.

Würden sie dafür woanders sparen?

Nehmen Sie die Sanierung der Freien Strasse, die kostet Millionen von Franken.

Lassen Sie mich nachschauen: Es sind insgesamt 25 Millionen Franken.

Muss man dort so klotzen?

Pro Innerstadt, die vielen kleinen Läden, plangen ja sehr auf diese Sanierung und erhoffen sich mehr Kundschaft. Sie hatten es schon vor Corona schwer mit dem Lädelisterben.

Natürlich! Aber hätte es nicht gereicht, die Strasse zu sanieren? Muss man jetzt auch diese teuren Plättli verwenden oder hätte ein günstigerer Belag gereicht? 

Warum haben Sie denn beim Neubau des Naturhistorischen Museums «Ja» gesagt? Das kostet 214 Millionen Franken.

Da bin ich echt pragmatisch.

Pragmatisch?

Während meiner 12 Jahre im Grossen Rat sass ich 7 davon in der Bildungs- und Kulturkomission und dabei auch in der Subkomission für das naturhistorische Museum. Sonst wollte niemand dorthin, weil das nicht so prestigeträchtig ist wie z. Bsp. das Kunstmuseum.

Aber Sie wollten?

Ich finde das Naturhistorische Museum supertoll, hatte einen engen Kontakt mit der Museumsleitung und musste sehen: Die haben eine riesen Sammlung, aber die ist in Kästen weggeschlossen. Das wollte die Museumsleitung ändern und eine begehbare Sammlung daraus machen. Das finde ich pragmatisch. Das ist für Schulklassen toll und für Familien mit Kindern ist es das Tollste, an einem verregneten Nachmittag in ein so tolles Museum zu gehen. Gönnen wir ihnen das doch.

«Die Pharma kann doch nicht einfach den Gewinn abzügeln, der vom Kanton finanziert ist, das ist doch nicht in Ordnung.»

Heidi Mück zur Profitorientiertheit der Pharmafirmen

Die Familiensonntage sind ein Publikumsrenner, das stimmt. Aber wenn Sie Geld ausgeben möchten, müssen wir auch über die Einnahmen reden. Ihre politischen Gegner sagen, Sie wollen die Pharma verstaatlichen.

Wissen Sie, wie es zu dieser Aussage gekommen ist?

Wegen der Juso, die eine Verstaatlichung der Pharma forderte?

Das «SRF-Regionaljournal» hat mir eine dieser Ja-Nein-Fragen gestellt, die ich so hasse. «Wollen Sie eine Verstaatlichung der Pharma?» Wenn man nur mit Ja oder Nein antworten darf, verkürzt das einfach das Thema und nachher wird es mir um die Ohren geklatscht. Also sagte ich: «Ich finde es bedenkenswert.» Denn: Wir dürfen doch über solche Ideen nachdenken. Schliesslich werden mir alle zustimmen: Mit der Pharma läuft es nicht super.

Inwiefern läuft es nicht super?

Schauen sie die Medikamentenpreise an. Was wir in der Schweiz zahlen, das ist horrend im Vergleich zum Ausland. Auf nationaler Ebene gab es mehrere sehr gute Versuche, die Preise runterzuholen. An was sind die gescheitert? An der Pharmalobby.

Reden Sie von Vorstössen im Parlament?

Die Gesundheitskommission hat immer wieder Lösungen diskutiert. Ein anderes Thema ist die Forschung. Diese geschieht eigentlich in den Staatsbetrieben, der Uni und der ETH. Und dann, wenn sie etwas Spannendes herausfinden, macht man daraus ein privates Spin-Off, und wenn das gut läuft, wird es geschluckt von den grossen Pharmafirmen.

Die Uni macht steuerfinanzierte Grundlagenforschung, die Pharma macht daraus markttaugliche Produkte. Warum ist das schlecht?

Die Pharma kann doch nicht einfach den Gewinn abzügeln, der vom Kanton finanziert ist, das ist doch nicht in Ordnung.

Sie zügeln ja nicht nur Gewinn ab, sie schaffen auch Arbeitsplätze und zahlen auch Steuern, mit denen wir nachher die Corona-Massnahmen und das Naturhistorische Museum zahlen können. Ist das nicht Win-win?

Meiner Meinung nach könnte man mal schauen, ob der Staat nicht eine eigene Pharmafirma aufzieht, statt nur privatisierte Spin-Offs. Aber ich spinne nur Ideen, deshalb sagte ich: Die Idee ist bedenkenswert. Man darf ja wohl noch nachdenken!

«Ey hallo, ich lebe ja nicht irgendwie in einem Luftschloss!»

Heidi Mück zur Angst, sie wolle die Pharma verstaatlichen

Also, habe ich Sie richtig verstanden? Sie wollen NICHT die Roche enteignen?

Ich denke an stärkere staatliche Regulierungen (lacht).

Warum lachen Sie?

Weil ich das Geschrei so lustig fand, das wegen eines einzigen Satzes losging. Ich meine: Die Bürgerlichen trauen mir schon noch etwas zu, hey. Als könnte ich, wenn ich gewählt werde, schnipp machen, und am nächsten Tag ist die Pharma enteignet.

Sie träumen ehrlich nicht von einer Enteignung?

Ja, ey hallo, ich lebe ja nicht irgendwie in einem Luftschloss! Ich bin relativ bodenständig, aber gerade in Krisen-Zeiten merkt man doch: Es geht nicht so weiter mit unserer Wirtschaft, wir müssen neue Ideen entwickeln. Zurück zur Pharma: Ich meine, klar zahlen sie viele Steuern, aber sie bekommen ja auch was: eine sehr gute Standortförderung. Sie dürfen sich ausbreiten, wo immer sie wollen

Auf dem Novartis-Campus oder am Rhein in der Umgebung der Rochetürme?

Ja, es wird ihnen ja quasi der rote Teppich ausgerollt. Sie bekommen gute Infrastruktur, gute Schulen für ihre Mitarbeiter*innen, einen sozial sicheren Standort. Wenn ich als Regierungsrätin mit einem Pharma-Chef reden würde, möchte ich ihm auf Augenhöhe begegnen.

Machen das die anderen rot-grünen Regierungsrät*innen nicht?

Also ich habe von aussen den Eindruck, dass sie zu viele … wie soll ich das ausdrücken ... Konzessionen machen.

«Ich hoffe, dass Firmen auch einmal beweisen müssen, dass Sie in der Lohngleichheit vorwärtsmachen.»

Heidi Mück zur Konzernverantwortung

Auf Smartvote geben Sie der Aussage «Wer sich nichts zu Schulden kommen lässt, hat von staatlichen Sicherheitsmassnahmen nichts zu befürchten» eine schlechte Note. Warum?

Das hat für mich einen datenschützerischen Hintergrund. Denn wenn man so argumentiert, kann man die Menschen bei dem kleinsten Verdacht totalüberwachen. 

Sie sind aber für die Konzernverantwortungsinitiative. Sie fordert, dass man Grosskonzerne und ihre Tochterfirmen in der Schweiz anklagen kann, etwa für Kinderarbeit. 

Ja, das ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass die Firmen Verantwortung übernehmen und die Menschenrechte beachten.

Im Abstimmungsbüchlein schreiben die Befürworter*innen, zu denen Sie auch zählen: «Firmen, die sich nichts zu Schulden kommen lassen, haben nichts zu befürchten». Gilt für die Firmen nicht auch die Unschuldsvermutung?

Dieser Vergleich macht keinen Sinn: Bei der Überwachung geht es um Einzelpersonen. Bei der Konzernverantwortungsinitiative geht es um Firmen. 

Warum soll bei Unternehmen die Unschuldsvermutung nicht gelten?

Das können Sie nicht vergleichen. Bei Arbeitsrechten gilt ein anderes Prinzip. Ich hoffe, dass Firmen auch einmal beweisen müssen, dass Sie in der Lohngleichheit vorwärtsmachen.

«Angesichts des Klimawandels ist jetzt nicht die Zeit für solche Projekte.»

Heidi Mück zum Hafenbecken 3

Warum sind Sie gegen das Hafenbecken 3? Alle Parteien sind dafür, ausser die BastA! und das junge grüne Bündnis.*

Einerseits geht es mir um die Biodiversität. Die Trockenwiesen und die seltenen Tiere, die dort leben.

Zum Beispiel der Schachbrettfalter und die Schlingnatter.

Es wurde einmal sehr despektierlich gesagt, es ginge da nur um ein paar Frösche. Aber in der heutigen Zeit kann man die Bedeutung dieser bedrohten Tiere nicht einfach verniedlichen. Und mich stört auch, dass dem Hafenbecken eine Wachstumsprognose zugrunde liegt.

Verkehrsplaner des Bundes gehen davon aus, dass die Rheinhäfen bis ins Jahr 2040 400’000 Container-Einheiten verladen. Heute sind es 120’000.

Angesichts des Klimawandels ist jetzt nicht die Zeit für solche Projekte. Was wird auf den Schiffen transportiert? Noch mehr Billigkleider. Wollen Sie das?

Aber die Güter kommen doch sowieso, mit dem Hafenprojekt oder ohne. Lautet die Frage nicht: Kommen sie per Lastwagen oder per Schiff und Zug? Und mit dem Projekt findet eine Verlagerung auf die Schiene statt.

Das ist die falsche Denkweise.

Was ist die richtige?

Zu schauen: Was für eine Wirtschaft wollen wir eigentlich? Wie stoppen wir die Klimakrise? Es ist eigentlich glasklar, dass es so nicht weitergehen kann mit dem ungebremsten Wachstum und dem reinem Profitdenken, jetzt komm ich dann wieder in diesen Jargon rein. Ich möchte eine nachhaltige Wirtschaft, und dem entspricht das Hafenprojekt nicht.

«Mit Wohnen sollte man keinen Profit machen, das ist für mich genau so ein Grundrecht wie Bildung, Wasser oder Luft.»

Heidi Mück zu günstigem Wohnraum

Wollen Sie noch über die BDS reden?

Können wir. Aber dazu wurde schon sehr viel geschrieben.

Find ich auch. Worüber möchten Sie denn noch reden?

Wohnen.

Sie unterstützen die Initiative, die auf Entwicklungsarealen mindestens 50 Prozent gemeinnützige Wohnungen fordert. Bisher beträgt die Quote 30 Prozent.

Es braucht dringend günstigen Wohnraum. Wir haben jetzt schon Menschen, die wegen der hohen Mieten am Strampeln sind.

Lohnt es sich für Investor*innen dann überhaupt, in diese Areale zu investieren?

Warum nicht?

Nehmen wir das ehemalige BASF-Areal im Klybeck. Die Central Real Estate und die Swisslife haben das gekauft, um Geld zu verdienen. Wenn sie auf der Hälfte günstige Wohnungen bauen müssen, müssen sie das ganze Geld auf der anderen Hälfte reinholen. Und wie machen sie das? Entweder mit krassen Luxuswohnungen oder, indem sie die Grünfläche zusammenstreichen.

Ist das wirklich unbestritten, dass Investoren auf Profitmaximierung gehen mit dem Wohnen? Mit Wohnen sollte man keinen Profit machen, das ist für mich genau so ein Grundrecht wie Bildung, Wasser oder Luft.

Die Swiss Life und die Real Estate sagen, sie suchen den Kontakt mit der Bevölkerung und wollen zusammen Lösungen finden. Aber verdienen müssen sie ja trotzdem. Vielleicht hätte eine rot-grüne Regierung mit den Neuen Tanja Soland und Beat Jans von der SP das Areal ja gekauft, statt es Privaten zu überlassen. Die alte rot-grüne Garde wollte das aber nicht.

Das bedaure ich sehr. Ich kenne die genauen Hintergründe nicht, aber das wäre eine einmalige Chance gewesen.

Ist denn die 50-Prozent-Initiative ein Mittel, um private Investor*innen zu vergraulen, so dass der Regierung in Zukunft gar nichts übrig bleibt, als frei werdende Areale selbst zu kaufen?

Das ist das, wovor die Bürgerlichen Angst haben. Aber ob es jetzt 30 Prozent, wie bisher, oder 50 Prozent gemeinnützige Wohnungen sind, wie von der Initiative gefordert, ist nicht so ein grosser Unterschied.

20 Prozent Unterschied.

Die Firmen, die deswegen nicht kommen, sind vielleicht sowieso die falschen. Das Ziel der Initiative ist ja auch CO2-neutrales Bauen und Partizipation, bei der die Menschen wirklich mitreden können. Das ist mir genauso wichtig.

Mitarbeit: Valerie Zeiser

* In der ersten Version fehlte das junge grüne Bündnis.

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