Journalist*innen UND Arbeitnehmer*innen

Am Feministischen Streiktag sollten Journalistinnen an ihre Rechte als Arbeitnehmerinnen denken und anprangern dürfen, was in ihrer Branche schlecht läuft – ohne als aktivistisch oder undankbar zu gelten, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Wochenkommentar Feministischer Streik
(Bild: KEYSTONE/Georgios Kefalas (Collage: Bajour))

Vielen Journalist*innen fällt es schwer, sich für die eigene Branche und die eigenen Rechte als Arbeitnehmer*in stark zu machen. Meist aus Angst, als aktivistisch, unseriös, unjournalistisch oder gar undankbar zu gelten. Der Berufsethos hat im Journalismus einen hohen Stellenwert. Journalist*innen identifizieren sich sehr stark mit ihrer Arbeit. Jedes Wort und jeder Absatz müssen mit Bedacht gewählt werden, da wir mit unserem Namen und mit unserer Glaubwürdigkeit dafür geradestehen. Das ist richtig so, da Medien viel Einfluss auf den öffentlichen Diskurs haben und damit viel Verantwortung übernehmen. Doch der eigene und äussere Anspruch kann auch belasten.

Heute ist Feministischer Streiktag, ein Tag, der auch Platz für einen «Medienfrauenstreik» einräumt. Dabei geht es darum, aufzuzeigen, welche Hürden insbesondere für weibliche Medienschaffende bestehen. 

Am Basler Medientag war es bezeichnend, dass es vor allem junge Journalistinnen waren, die ihren Chefs widersprachen und die Probleme beim Namen nannten: steigender Druck, Selbstausbeutung, mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 

Einige Punkte treffen auf alle Journalist*innen zu: Über die vergangenen Jahre verzeichnete die Branche überdurchschnittlich viele Abgänge; wegbrechende Werbeeinnahmen und schwindende Abonnements erschweren die Finanzierung und Investitionen in die Zukunft; Nachwuchs zu finden, wird immer schwieriger; Burnouts häufen sich; Redaktionen sind zunehmend dünn besetzt, und die Aufgaben werden nicht weniger – im Gegenteil.

Dieses Jahr fand in Basel zum ersten Mal ein Medientag statt. Eine gute Möglichkeit, um über die Herausforderungen der Branche zu diskutieren. Eigentlich. Doch am Basler Medientag redeten die meisten der anwesenden Chefredaktor*innen die Herausforderungen klein. Es war bezeichnend, dass es vor allem junge Journalistinnen waren, die ihren Chefs widersprachen und die Probleme beim Namen nannten: steigender Druck, Selbstausbeutung, mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 

Es ist wichtig, Kompensation einfordern zu können – ohne blöde Sprüche zu kassieren. Nur mit wahrheitsgetreuer Dokumentation wird sichtbar, dass der Workload in den Redaktionen (zu) gross ist und Mitarbeiter*innen fehlen.

Bei einem Austausch mit anderen Basler Journalistinnen stand vor ein paar Wochen ein weiteres Problem im Fokus: Viele Betriebe haben keine Arbeitszeiterfassung, oder es gibt keine Kultur des Überstunden-Aufschreibens. Das verstösst nicht nur gegen das Arbeitsgesetz, sondern macht auf Dauer auch krank. Es ist wichtig, Kompensation einfordern zu können – ohne blöde Sprüche zu kassieren. Nur mit wahrheitsgetreuer Dokumentation wird sichtbar, dass der Workload in den Redaktionen (zu) gross ist und Mitarbeiter*innen fehlen. Führungskräfte und dienstältere Kolleg*innen sind verantwortlich dafür, das vorzuleben. Um diesen Job bis zur Rente ausüben zu können, müssen wir gesund bleiben – psychisch und physisch.

Wir Journalist*innen haben bewusst keinen 9-to-5-Job gewählt. Arbeit am Abend oder am Wochenende ist für uns eher die Regel. Trotzdem oder gerade deshalb ist es wichtig, Wertschätzung von den Vorgesetzten für die tagtägliche, aber auch besondere Leistung zu spüren. Dazu gehört eine gesunde Feedback-Kultur, bei der auch ungefragt Lob ausgesprochen wird. Und leider ist es nötig zu betonen: Abwertende oder sexistische Kommentare dürfen auf Redaktionen keinen Platz haben. Dazu gehört es auch, nicht in Sitzungen unterbrochen oder bei der Vergabe von Themen übergangen zu werden oder vermeintliche «Frauenthemen» zugeschanzt zu bekommen. Und: nicht missbilligt zu werden, wenn man früher gehen muss, um das (kranke) Kind abzuholen.

Sich zwischen Kind und Karriere entscheiden zu müssen, sollte nicht zur Debatte stehen. Sondern die Flexibilität auf Seiten der Arbeitgeber*innen zu erhöhen und damit die Vereinbarkeit nicht nur zu ermöglichen, sondern zu fördern.

Apropos Kind. In der Schweiz gibt es keine mehrjährige Garantie auf Rückkehr in den Job (wie z. B. in Deutschland), falls einer Familie der doch sehr kurze 14-wöchige Mutterschaftsurlaub nicht genügt. Eine Elternzeit oder angemessene Freistellung des Partners oder der Partnerin gibt es nicht. Für Mütter heisst das, eine Betreuung fürs Kind zu organisieren oder die Kündigung einzureichen. Journalistinnen spüren bei dieser Entscheidung besonders viel Druck, da es zu wenige Jobs und damit keine Garantie gibt, nach einer längeren Pause eine ähnliche Stelle zu finden. Auch deshalb verlassen einige die Branche oder werden gar nicht erst Mutter. Sich zwischen Kind und Karriere entscheiden zu müssen, sollte nicht zur Debatte stehen. Sondern die Flexibilität auf Seiten der Arbeitgeber*innen zu erhöhen und damit die Vereinbarkeit nicht nur zu ermöglichen, sondern zu fördern.

Leider sind viele Redaktionen noch nicht so weit. Wer möchte, dass sich daran etwas ändert, muss den Mut haben, sich zwischendurch als Arbeitnehmer*in und nicht nur als Journalist*in zu zeigen. Seinen Job zu lieben und gleichzeitig das krankende System dahinter zu kritisieren, ist kein Widerspruch. Wenn der finanzielle Überlebenskampf der gesamten Medien-Branche auf jede*n einzelne*n Mitarbeiter*in abgewälzt wird, hat die Branche keine Zukunft. In diesem Sinne ist der Kampf um anständige Bedingungen ein Kampf um die Zukunft der Medien.

Basel Briefing

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