Selber Grenzgänger
In seinem Rant gegen «noch mehr» Zuwanderung outet sich der BaZ-Chefredaktor als Grenzgänger zwischen Provinzialität und unreflektiertem Rassismus. Während sich die BaZ-Kommentarspalte ganz im Sinne des Autors füllt, bleibt dem grossen, weltoffenen Teil Basels das Staunen.
«Werden wir in Basel von Ausländern überrannt?», fragt der BaZ-Chefredaktor rhetorisch in seinem Leitartikel und gibt in der Überschrift bereits die Antwort: Die Schmerzgrenze sei erreicht. Die Zeilen, die dann folgen, enthalten Pauschalisierungen, Übertreibungen und ein Herabsetzen von allen ohne Schweizer Pass und ohne Schweizerdeutsch als Muttersprache.
Der Anlass für diesen Rundumschlag gegen jene, die nicht mit dem Aromatlöffel im Mund auf die Welt gekommen sind, war die Verkündung des aktuellen Ausländer*innenanteils in Basel-Stadt. 39 Prozent. Für einen Kanton, der seine Grenze mit zwei Ländern teilt und dessen wichtigster Handelspartner die EU ist, ist das nicht neu und auch nicht sonderlich überraschend. Rund 22 Prozent der ausländischen Bevölkerung stammt übrigens aus Deutschland.
Wegen der Ausländer*innen stehe man «täglich stundenlang vor jeder Ampel im Stau», im Zug sei man «umzingelt von Grenzgängern». Das alles nervt Marcel Rohr, zu dessen Unmut «mehrheitlich nur noch Hochdeutsch gesprochen wird». Das, was das Dreiländereck aus- und Basel wohlhabend macht, ist dem Autor plötzlich zuwider. Vielleicht, weil es bei westlichen Regierungen gerade in Mode ist, gegen Migrant*innen – zwecks Sündenbock – auszuteilen. Und vielleicht, weil es Angst macht, dass die kleine Schweiz zwar reich ist, dieser Reichtum aber abhängt von grösseren Playern wie den USA, Deutschland oder der EU. In geopolitisch und wirtschaftlich angespannten Zeiten macht das keinen Spass.
Das, was das Dreiländereck aus- und Basel wohlhabend macht, ist dem Autor plötzlich zuwider.
Auch wenn Rohr davor warnt, dass die SVP-Initiative zur 10-Millionen-Schweiz an Zustimmung gewinnt, findet er: «Die Forderung nach einer zählbaren Obergrenze muss auch in Basel geführt werden.» Während der BaZ-Chef richtig festhält, dass die regionale Wirtschaft ohne Zuwanderung am Boden läge (wobei man die gesamtschweizerische noch dazu nehmen müsste), sind es ihm trotzdem zu viele Ausländer*innen in der Stadt. Ob sie in Basel ansässig sind? Zweitrangig.
Eigentlich ging es ihm ja um den Ausländer*innenanteil an der Bevölkerung, aber warum nicht auch die im benachbarten Ausland lebenden Grenzgänger*innen abkanzeln, wenn man schon mal dabei ist, genauso wie die nicht hier lebenden Ausländer*innen, die Ärger in der Badi machen?
Das passt besser in die Eskalations-Argumentation (zu viele! Schmerzgrenze erreicht!) zu den störenden Fremden, die als Nutzniesser*innen vor allem von den guten Seiten der Schweiz profitierten, während die Einheimischen als grosse Verlierer*innen skizziert werden. Bei ihnen stehe nicht weniger auf dem Spiel als ihre Identität, ihr Wohnraum, ihr Job, ihre Sicherheit und ihre Kultur. Wie viel davon wohl ohne Ausländer*innen übrig bliebe? Kein Wunder, sehnt der Autor sich nach «typisch schweizerischen Tugenden wie Disziplin und Zurückhaltung, nach Fleiss und Bescheidenheit».
Eigentlich ging es ja um den Ausländer*innenanteil, aber warum nicht auch die Grenzgänger*innen abkanzeln, wenn man schon mal dabei ist?
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich beim Lesen des BaZ-Kommentars leer schlucken musste. Diese Tugenden treffen auf Ausländer*innen seiner Meinung nach offensichtlich nicht zu – das muss man aus den Ausführungen schliessen. Dahinter steckt lupenreines «Othering»: Bestimmte Menschen werden als fremd eingeordnet und als nicht zugehörig. Während das «Wir» erhöht wird, werden die «Anderen» abgewertet. Der Kommentator – notabene Chefredaktor von Basels grösster Tageszeitung – meint, die führenden Köpfe im Land müssten «die unangenehme Diskussion zulassen, ohne dabei die rassistische Keule zu schwingen». Das übernimmt er offenbar lieber selbst.
Sonst hätte ich mich beim Lesen des Artikels wohl nicht so gefühlt: als Mensch zweiter Klasse, der nie dazugehören wird, selbst wenn ich einmal eingebürgert werde. Richtige Schweizer*in kann ich gar nicht werden, folgt man Rohrs Logik. Das ist nicht nur unangenehm und verletzend. Es ist fremdenfeindlich argumentiert. Tatsächlich zeigt Eidgenosse Rohr Verständnis, wenn bei all dem Hochdeutsch und auffälligen Ausländer*innen «selbst der besonnenste Schweizer zum kleinen Rassisten im Alltag» wird, wie er es schreibt. (Chapeau, besser hätte es die ausländer*innen- und EU-feindliche SVP nicht formulieren können.) Rassismus, also Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Sprache, ihres Namens zu diskriminieren – kann ja mal passieren!
Eidgenosse Rohr zeigt Verständnis, wenn bei all dem Hochdeutsch und auffälligen Ausländer*innen «selbst der besonnenste Schweizer zum kleinen Rassisten im Alltag» wird.
Auch wenn viele Menschen in Basel mich herzlich willkommen heissen, reicht so ein Meinungsbeitrag (und das mehrheitliche Beklatschen in der Kommentarspalte), um mein Gefühl zu trüben, eine neue Heimat gefunden zu haben. Meine Arbeitskraft könnte auch ein anderes europäisches Land mit Fachkräftemangel, in dem ich mehr Rechte hätte, gut gebrauchen.
Übrigens: Am gleichen Tag, an dem in der BaZ das einwanderungsfeindliche Pamphlet erschien, veröffentlichte Bajour gemeinsam mit Hauptstadt und Tsüri ein Interview mit Bundesrat Beat Jans. Der Titel: «Zuwanderung gehört zur Identität der Städte». Dass manche Basler*innen und ein paar rückwärtsgewandte Leser*innenbriefschreibende damit nicht auf Anhieb zurechtkommen, vermutlich auch.
Die EU-Verträge, steigende Mieten in urbanen Zentren, eine elektronische ID und Massnahmen gegen Femizide: Der Stadt-Basler Bundesrat Beat Jans (SP) im grossen Interview mit Bajour, Hauptstadt und Tsüri.