Nicht nur sich selber feiern
In ihrer ersten Kolumne blickt die Theatermacherin und gebürtige Baslerin Cathérine Miville auf die sich verändernde Art Basel. Miville erinnert sich an Besuche des Ehepaars Beyeler und gibt sich heute – nach jahrelanger Abstinenz – die volle Dröhnung Messe.
Dies ist die erste Folge der neuen Bajour-Kolumne «Ma ville». Autorin ist die Regisseurin Cathérine Miville, die in Basel geboren und aufgewachsen ist sowie ihre ersten Karriereschritte am Theater Basel unternahm, später lange Zeit in Deutschland lebte, an verschiedenen Häusern und bei Dieter Hildebrandts Sendung «Scheibenwischer» Regie führte und zuletzt als Intendantin das Stadttheater Giessen leitete. Als vor drei Jahren Mivilles Vater, der Basler SP alt Ständerat Carl Miville-Seiler, starb, beschloss sie, nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Intendantin, wieder in Basel zu leben. In ihrer Kolumne wird die 70-Jährige regelmässig einen genauen Blick auf das kulturelle Leben in der Stadt werfen und reflektieren, wie sich Basel entwickelt hat.
Sehr viele Jahre war ich schon nicht mehr an der Art in Basel. So hatte ich letzte Woche die Chance, die Messe frisch zu entdecken. Bleibende Erinnerungen an die Anfänge der Art habe ich vor allem an Menschen und Gesichter. Wenn Hildy und Ernst Beyeler bei uns zu Besuch waren, habe ich mich als Kind nicht verdrückt, obwohl ich von den Gesprächen am Tisch nicht arg viel verstanden habe. Geblieben ist mir aber der Eindruck, Kunst kann Menschen sehr viel geben.
Welche Enttäuschung war dagegen dann der erste Besuch auf der Art: Die Kunstszene inszenierte sich in schrägen Outfits selber. Eine geschlossene Gesellschaft machte deutlich, wer dazugehört und wer nicht. Ich fühlte mich nicht gemeint und liess mich von den auf ich blasiert und arrogant wirkenden Menschen abschrecken, die zeitgenössischen Kunstwerke einfach subjektiv aufzunehmen. Anders als bei den Begegnungen mit den Beyelers entstand der Eindruck: Kunst ist nur für wenige.
Der Versuch, den neuen Anlauf strukturiert anzugehen, ist an der Fülle der Möglichkeiten gescheitert. Also, kein Plan, einfach losgehen und: wirken lassen.
Auf den Strassen ist Internationalität spürbar. Die Parcours-Beschilderungen sind englisch dominiert und die Sprachfetzen, die ich aufschnappe einem babylonischen Sprachgewirr ähnlich.
Noch in meiner Strasse treffe ich auf Nachbarskinder im Kindsgi-Alter. Wie so oft malen sie mit Kreide aufs Trottoir. Ich habe kaum einen Blick auf ihr heutiges Werk geworfen, da schaut die Kleinste hoch: «zwanzig Rappe». Und auf meinen fragenden Blick hin grinst sie: «S isch Art». Dem ist nichts hinzuzufügen.
Auf der Mittleren Brücke kommt dann Art-Feeling auf. Die Piraten-Flaggen von Tiravanija entern im Wind den Blick auf die Roche-Türme, das Kleinbasler Rheinufer präsentiert sich mit neugestalteter Skyline, aber der Rhein strahlt Beständigkeit aus. Auf den Strassen ist Internationalität spürbar. Die Parcours-Beschilderungen sind englisch dominiert und die Sprachfetzen, die ich aufschnappe einem babylonischen Sprachgewirr ähnlich. Aber das unterscheidet sich ja nicht sehr davon, wie heute im Trämli gesprochen wird. Das Anders ist längst das neue Normal – und das ist gut so.
Die bepflanzten Reisetaschen vor der Clara-Kirche machen mir deutlich. Die Art 2024 positioniert sich aktuell inhaltlich: Die fast 120 Millionen Menschen, die derzeit weltweit zum «Reisen» gezwungen sind, haben keine Kunstmessen zum Ziel. Der Truck auf dem Messeplatz löst Gedanken zur Sinnhaftigkeit aus, aber sind diese im Zusammenhang mit Kunst überhaupt statthaft? Und wie gross ist eigentlich der Fussabdruck einer Ameise?
Die Vielzahl eigenständiger Projekte, die im Dunstkreis der Art aufgeblüht sind, bereichern heute gemeinsam mit den Galerien und Museen vor Ort jährlich die Attraktivität der Messewoche.
Was ich herausfinden möchte: Warum ist die Art in der ja doch eher kleinen Stadt Basel nach wie vor nicht nur die grösste, sondern wohl auch die attraktivste Kunstmesse der Welt – bei all der weltstädtischen Konkurrenz?
Durch das quadratisch praktisch gut abgepackte Weizenfeld gelange ich in die eigentliche Art. Und da gebe ich mir dann die volle Dröhnung. Der unfassbare künstlerische Reichtum der Werke, die hier mit absoluter Selbstverständlichkeit gezeigt und auch real gehandelt werden – was für eine Show!
Die Medien verkünden Verkaufserlöse – «Sunflowers» von Joan Mitchell wechselt für 20 Millionen Dollar den Besitzer. Damit liegt das Bild einer Malerin an der Spitze und die Herren Richter, Rauschenberg oder Baselitz müssen sich mit einstelligen Millionenbeträgen begnügen. Der Feministische Streik lässt artig grüssen.
Und was hat sich sonst verändert? Die Verwurzelung der Art in breitere Kreise der Stadt wurde durch gezielte Initiativen zusätzlich befördert. Und die Vielzahl eigenständiger Projekte, die im Dunstkreis der Art aufgeblüht sind, bereichern heute gemeinsam mit den Galerien und Museen vor Ort jährlich die Attraktivität der Messewoche. Wie positive Synergien rund um ein Kraftzentrum ganz konkret wirken, zeigen eindrücklichst Volta, Liste oder Swissart und Swissdesign Award, die Humus sind für neue Künstler*innen und Wege. Nicht zu vergessen die Foto Basel und natürlich der Social Club: Im erst dritten Jahr ihrer Erfolgsgeschichte wagten die Initiator*innen den Schritt in die freie Natur.
Das Erfolgsgeheimnis der Art liegt in ihrer Beständigkeit, die nie Stillstand bedeutet hat. Sie hat sich über 54 Jahren weiterentwickelt, ohne ihre Wurzeln zu vernachlässigen.
Eine der Naturpfad-Info-Tafeln am Wegrand vergleicht diese Landschaft mit einem Puzzle. Die Höfe auf dem Bruderholz haben stetig neue Aufteilungen erfahren und nun bewirtschaftet jede*r das Stückchen Acker nach individuellen Vorstellungen. Ich denke, das ist hier am Land alles den Ausstellungshallen der Art mit ihren kleinflächigen aber vielfältig bestückten Galerie-Ständen ähnlicher als ich erwartet hätte: in einem Wechselbild spiegeln sich Kunst und Natur. Und bei dem Gedanken landet dann sehr hörbar – nein, kein Privatjet – ein wunderbarer Reiher.
Was macht sie denn jetzt so besonders, die grosse Art im kleinen Basel? Ihr Erfolgsgeheimnis liegt für mich in ihrer Beständigkeit, die nie Stillstand bedeutet hat. Sie hat sich über 54 Jahren weiterentwickelt, ohne ihre Wurzeln zu vernachlässigen. Keine Frage. Die Art Basel ist eine höchst elitäre Kunstmesse. Es geht um Geld und Marktpositionen. Es geht aber auch um die nicht gelösten Themen unserer Zeit. Mich werden beispielsweise die intensiven Eindrücke der Installation «Black Panther Party» oder die Arbeiten einer sengalesischen Künstlerin, die aus Wäsche von Sexarbeiter*innen Wandteppiche gestaltet, nachhaltig begleiten.
Wie auch das Weizenfeld – das ja auch nicht nur als Art-pour-art-Blickfang vor der Messe wächst. Es thematisiert als Wiederholung eines Kunstwerkes, das so vor 40 Jahren in New York entstand, nicht gelöste Fragen zu Themen der Ernährungssicherheit und Verdrängung der Natur. Diese und zahllose ebenso prägnante Werke laden zum Diskurs ein. Die Art ist zu einem Ort des Gesprächs geworden, quer durch die Generationen setzen sich Menschen mit Kunst auseinander. Man geht nicht mehr hin, weil man hingeht. Heute feiern eine Kunststadt und ihre Gäste die Kunst und nur noch wenige sich selber.
Die Art ist unfassbar gewachsen – aus meiner Sicht, in die richtige Richtung. So nehme ich die Art heute deutlich politischer wahr, auch nahbarer, diverser und lebendiger. Und all das ist nur möglich, weil Menschen, die diesen verrückten Kunstmarkt ausmachen, sich in Basel offensichtlich wohlfühlen und dabei natürlich höchst lukrative Geschäfte tätigen können. Aber auch weil es immer wieder Menschen mit grandiosen Ideen gibt, die neue Messen und Formate erfinden und auf eigenes Risiko realisieren, oft altruistisch – um nicht zu sagen selbstausbeuterisch. Auch sie machen die Art insgesamt zu dem, was sie geworden ist: ausnehmend attraktiv für die Kunstwelt, aber auch für die Basler*innen.
PS: Ein bisschen vermisst habe ich am Parcours die Beteiligung der Geschäfte und Gastro in Eigeninitiative. Es muss ja nicht überall das grosse Kunstereignis sein. In der Region schlummert so viel Kreativität, warum diese nur an der Fasnacht rauslassen. Also frei nach Beuys: «art does not kill. be an artist» – vielleicht zur Art 2025.