Martullo verbietet das Wort «Krieg»

SVP-Nationalrätin und Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher untersagt ihren Angestellten, den Krieg in der Ukraine als solchen zu bezeichnen. Das zeigen Recherchen der WOZ.

WOZ Peering

Dieser Artikel ist am 31. März 2022 zuerst in Die Wochenzeitung WOZ erschienen. Die WOZ gehört wie Bajour zu den verlagsunabhängigen Medien der Schweiz.

Ein bemerkenswertes Verständnis von Neutralität: Magdalena Martullo-Blocher, hier an der Bilanzmedienkonferenz der Ems-Gruppe.
Ein bemerkenswertes Verständnis von Neutralität: Magdalena Martullo-Blocher, hier an der Bilanzmedienkonferenz der Ems-Gruppe. (Bild: Keystone-SDA)

Was ist Krieg? Ist Krieg, wenn 200'000 Soldaten in ein Land einmarschieren, wenn diese Soldaten Wohnviertel mit Artillerie und Raketen beschiessen, wenn sie Fluchträume bombardieren, belagerte Städte dem Erdboden gleichmachen und dabei Tausende Bewohner*innen töten?

Worte sind wichtig im Krieg, sie formen die Wahrnehmung der Geschehnisse. Sie können die internationale und die landesinterne Meinung darüber beeinflussen, wer der Aggressor ist und ob dessen Ziele legitim sind. Das russische Regime nennt seine Invasion der Ukraine bis zum heutigen Tag eine «spezielle Militäroperation». Diese Diktion setzt es mit scharfer Repression durch. Medien, die sich nicht daran halten, werden geschlossen, Verantwortliche hart bestraft.

Zuletzt traf es die regierungskritische Zeitung «Nowaja Gaseta», die sich mit der Setzung «Russland. Bombardiert. Die Ukraine.» auf der Titelseite verabschiedete. Wer in Russland von einem Krieg spricht, kann nach neuster Gesetzgebung im Gefängnis landen.

«Ab sofort: ‹Ukraine-Konflikt›»

Magdalena Martullo-Blocher, Chefin des Chemiekonzerns Ems und Nationalrätin der SVP, schreibt am 14. März ein E-Mail an die Spitzenkader ihres Unternehmens – nur wenige Tage nach der Bombardierung einer Geburtsklinik in Mariupol durch russische Truppen, die Bilder von dieser Gräueltat gingen um die Welt. Der Betreff ihres Mails lautet: «Auftrag: Ukraine-Konflikt».

«In der Ems-Gruppe wird intern und extern von ‹Ukraine-Konflikt› gesprochen. Das Wort ‹Krieg› ist nicht zu verwenden.»
Internes Mail von Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher

Zunächst orientiert die Ems-Chefin über die Zielsetzung: Sie wolle eine einheitliche Kommunikation sicherstellen. «In Russland wird die Verwendung des Wortes ‹Krieg› im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland mit Gefängnis bestraft», schreibt sie und verfügt: «In der Ems-Gruppe wird intern und extern ab sofort und bis auf Weiteres von ‹Ukraine-Konflikt› gesprochen. Das Wort ‹Krieg› ist nicht zu verwenden.»

In der Ukraine tobt also kein brutaler Krieg, begonnen durch den russischen Präsidenten Putin – es hat sich ein Konflikt entsponnen. Konflikte gibt es viele auf der Welt, die meisten harmlos, friedlich sowieso und oft auch ein bisschen undurchsichtig: Wer ist schuld, wer hat angefangen?

Die Schweiz etwa steckt in einem Konflikt mit der EU rund um die institutionelle Anbindung. Auch auf Spielplätzen gibt es oft Konflikte, beispielsweise wenn ein Kind einem anderen den Ball wegnimmt. Konflikte halt.

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In ihrem E-Mail gibt Martullo-Blocher eine Begründung für die im Kasernenhofton verfasste Anordnung: «Dies zum Schutz unserer Mitarbeiter und unseres Geschäfts». In Russland beschäftigt Ems nach eigenen Angaben 67 Mitarbeiter*innen, total sind es über 2600. Wenn es Martullo-Blocher wirklich um den Schutz ihrer Angestellten geht, warum trifft die Anordnung dann nicht nur jene Mitarbeiter*innen, die an den russischen Standorten tätig sind oder mit ihnen im Kontakt stehen? Selbst der Multi Nestlé, der sein Geschäft in Russland unter grossem Druck zwar reduziert, aber nicht gestoppt hat, spricht in öffentlichen Mitteilungen vom «tobenden Krieg in der Ukraine».

Also geht es ums Geschäft. Der Ems-Konzern ist schon seit über zwanzig Jahren in Russland tätig. 1999 baute er zwei Standorte in Nischni Nowgorod und im tatarischen Elabuga auf. Zunächst betrieb Ems das Geschäft in einem Joint Venture, später übernahmen die Bündner die Produktionsstätten komplett.

Die beiden Werke liegen in der Wolga-Kama-Region, wo nicht nur russische Automobilhersteller angesiedelt sind, sondern auch viele Fabriken internationaler Konzerne. Diese beliefert Ems mit Materialien für den Unterbodenschutz. Derzeit sei die Produktion allerdings, teilt Ems auf Anfrage mit, «komplett zusammengebrochen».

«Wir in der Schweiz und die Europäer haben immer gemeint, es gehe um Moral, um Ethik, um Gut und Böse. Das stimmt halt nicht.»
SVP-Nationalrätin und Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher

Gemessen am Gesamtgeschäft waren die Niederlassungen in Russland auch schon vor Ausbruch des Krieges unbedeutend. Letztes Jahr generierte der Konzern 640 Millionen Franken Gewinn bei 2,25 Milliarden Franken Umsatz – trotz Pandemie ein Rekordergebnis. Die beiden Standorte in Russland steuerten rund ein Prozent des Umsatzes bei, etwa 22 Millionen Franken. Dieses Ergebnis also versucht Martullo-Blocher mit sprachpolizeilichen Eingriffen zu schützen.

Putins Propaganda

In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» letzte Woche erklärte Martullo-Blocher, sie würde die Produktion sofort wieder hochfahren, wenn es Aufträge gäbe: «Wir überlassen unsere Firmen nicht dem russischen Staat.» Dieser, sagt sie, drohe den ausländischen Firmen, sie zu enteignen, wenn diese ihre Fabriken nicht betreiben würden. Ungeachtet dessen, wie realistisch dieses Drohszenario ist, legt der vorliegende Fall das Koordinatensystem Martullo-Blochers dar: Nur das Geld zählt, und zwar jeder einzelne Franken.

Die Sanktionen gegen Russland lehnt sie wie ihre Partei ab, damit würde man sich nur «gegenseitig hochschaukeln». Sie stellt sich gegen einen Importstopp von russischem Öl und Gas, genauso gegen die Parteinahme von Bundespräsident Ignazio Cassis mit der Ukraine jüngst an einer Kundgebung in Bern. Die Schweiz müsse neutral bleiben: «Wir in der Schweiz und die Europäer haben immer gemeint, es gehe um Moral, um Ethik, um Gut und Böse. Das stimmt halt nicht.»

«Wir überlassen unsere Firmen nicht dem russischen Staat.»
SVP-Nationalrätin und Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher zum «Tages-Anzeiger»

Ihr Verständnis von Neutralität ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Martullo-Blocher will die gute Tradition der Schweiz sichern, unter dem Deckmantel der Neutralität Profite einzufahren, erprobt im Zweiten Weltkrieg und während der Apartheid in Südafrika. Sie ordnet sich dabei allerdings klar dem russischen Regime unter. Wenn sie in ihrer Firma die verharmlosende Bezeichnung «Konflikt» durchsetzt, übernimmt sie Putins Propaganda und unterstützt damit dessen Krieg.

Auch öffentlich sendet sie fleissig Botschaften ans Regime aus. Im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» sagt sie, die Ukraine gelte als eines der korruptesten Länder, deshalb würde sie dort nicht investieren. Eine Behauptung, die aus Moskau seit Jahren zu hören ist. Tatsächlich ist die Ukraine in allen Korruptionsranglisten besser platziert als Russland. Dann mahnt sie, auch Putin müsse einen Erfolg vorweisen können, damit es zum Frieden komme. Ist das noch neutral oder schon Komplizenschaft?

Geschäftstüchtige Parteikollegen wie der Banker und Nationalrat Thomas Matter haben sich bei Martullo-Blocher angelehnt. Auch er spricht bloss von einem «Ukraine-Russland-Konflikt», als sei es zu irgendwelchen Uneinigkeiten gekommen, Streitereien, die sich auch wieder legen, wenn bloss niemand Öl ins Feuer giesst.

Martullo schweigt

Die richtigen Worte zu wählen, ist essenziell. Im Krieg wie im Geschäft. Magdalena Martullo-Blocher, Vizepräsidentin der grössten Partei der Schweiz, hoch gehandelte Anwärterin auf einen Sitz im Bundesrat, weiss das. Seit Kriegsausbruch ist sie besonders gesprächig geworden.

Nicht nur im «Tages-Anzeiger» äussert sie sich, sie veröffentlicht Gastbeiträge in der «Südostschweiz» und in der «Gewerbezeitung». Wettert darin gegen die Sanktionen, wirbt für die Neutralitätsinitiative ihres Vaters Christoph Blocher, der das Verhängen von Sanktionen erschweren will. Nur jetzt, nach dieser Recherche, angefragt von der WOZ, wird sie plötzlich schweigsam.

Auf die Fragen zur Sprachregelung, zum Verständnis von Neutralität, zum Anschmiegen an Putins Propaganda reagiert Martullo-Blocher nicht. Schliesslich meldet sich ihr Generalsekretär Marc Ehrensperger mit ein paar knappen Zeilen, in denen er summarisch Stellung nimmt: «Unseres Wissens nach können Personen, welche von einem ‹Krieg› sprechen, in Russland politisch verfolgt werden. Darüber haben wir unsere Mitarbeiter informiert.»

Und so wird aus einer Anordnung eine Information, wird verwischt, was glasklar war. Gute PR könnte man das nennen.

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