Die Skorpionin im Grossen Rat
Die ehemalige Profifechterin Gianna Hablützel-Bürki ist neue Statthalterin des Grossen Rats. Die SVPlerin politisiert am rechten Rand des Parlaments. Kann sie wirklich Brückenbauerin sein?
Als Gianna Hablützel-Bürki am Mittwochmorgen, 5. Februar 2025, ins Basler Rathaus lief, wusste sie noch nicht, dass sie das Gebäude am Abend als Statthalterin des Grossen Rats verlassen würde. Klar, die linken Parteien wollten den offiziellen SVP-Kandidaten Beat K. Schaller wegen seiner diskriminierenden Aussagen nicht wählen, das war schon vorher bekannt. Aber die wilden Wahlen, das Hin und Her im Grossratssaal und den Rückzug von Schaller (hier nachlesen) hat sie nicht kommen sehen. «Ich dachte, er wird spätestens im zweiten Wahlgang gewählt. Mit dem Worst Case habe ich nicht gerechnet», sagt sie.
Und damit kam Gianna Hablützel-Bürki widerwillig ins Amt – nachdem sie ursprünglich selbst dafür kandidieren wollte und bei der Vornominierung der SVP-Fraktion Schaller nur mit fünf zu sechs Stimmen unterlag. Gewählt wurde sie im Grossen Rat mit gerade mal 39 Stimmen – zufrieden mit der 55-Jährigen auf dem Statthalterposten ist also auch nur eine Minderheit. Kritik gibt es, analog zu Schaller, auch an ihrem politischen Stil, nicht nur von links. Bei unserer Auswertung des Abstimmungsverhaltens im Grossen Rat wurde Hablützel-Bürki im Jahr 2022 als rechteste Parlamentarier*in ermittelt (allerdings wird sie von Jahr zu Jahr gemässigter).
Als Statthalterin ist sie Vertreterin und «rechte Hand» von Grossratspräsident Balz Herter (Mitte): Im Parlament, um mit ihm über das Zulassen von Wortbeiträgen zu entscheiden und in seiner Abwesenheit die Sitzungen zu leiten. Und in repräsentativer Rolle, wenn Herter nicht in seiner Funktion als Grossratspräsident an Anlässe gehen kann und sie ihn vertritt. Nach einem Jahr als Statthalterin würde sie kommendes Jahr das Präsidium übernehmen.
Zum Beginn der Legislatur wurde weniger über den neuen Präsidenten Balz Herter (Mitte) und mehr über den Statthalter-Posten diskutiert. Turnusgemäss ist die SVP an der Reihe. Beat K. Schaller wurde von seiner Partei nominiert. Er wurde in den ersten beiden Wahlgängen, in denen das absolute Mehr gilt, nicht gewählt. Im dritten Wahlgang zählt das relative Mehr. Gewählt wurde dann aber Lorenz Amiet, SVP-Fraktionschef. Er nahm die Wahl nicht an und seine Fraktion zog Schaller als Kandidaten zugunsten Hablützel-Bürki zurück. Im vierten Wahlgang wurde allerdings Christian Moesch von der FDP gewählt, der widerum ablehnte. Erst im fünften Wahlgang erhielt Gianna Hablützel-Bürki genug Stimmen.
Wahrscheinlich wird die Wahl ins Grossratspräsidium weniger Wellen schlagen als die Statthalter*innenwahl jetzt – die entscheidende Wahl, um ins Präsidium zu kommen, ist eigentlich die zum*zur Stellvertreter*in. Nur in den 70ern wurde einmal ein Statthalter nicht zum Präsidenten gewählt – nachdem er noch als Statthalter massiv Wahlkampf betrieben hatte. Im Präsidium wird erwartet, dass man sich mit politischen Äusserungen weitestgehend zurückhält.
Eigentlich ist es üblich, dass Parlamentarier*innen schon einige Jahre Teil des Ratsbüros sind, bevor sie zuerst Statthalter*innen und dann Grossratspräsident*innen werden – quasi als Probezeit, in der sie sich auch im politischen Ton eher mässigen. Doch nachdem die SVP zuletzt 2017 mit Joël Thüring den Präsidenten gestellt hatte, verblieb Thüring noch sieben Jahre Teil des Ratsbüros. In einem Kommentar bei Onlinereports schreibt der alt-Grossratspräsident Roland Stark (SP), dass Thüring damit verhindert habe, dass seine Partei eine*n geeignete*n Kandidat*in hätte aufbauen können.
Gianna Hablützel-Bürki wird im Parlament eher als Hinterbänklerin wahrgenommen. Auch sie selbst sagt, sie sei «unauffällig» im Grossen Rat. Wer sie aus der Arbeit in der Regiokommission besser kennt, beschreibt sie als freundlich und umgänglich. «Sie hat dann aber ein ganz anderes Gesicht, wenn sie Voten hält», findet ein Kommissionsmitglied. Da trete sie zum Teil grenzwertig auf, finden auch einige bürgerliche Politiker*innen. Vor allem beim SVP-Kernthema Asyl (sie spricht im Rat von «Asylchaos»), aber auch als Gegnerin der velofreundlichen Politik wird sie als Hardlinerin beschrieben. Zuletzt sagte sie zum Beispiel im Grossen Rat, dass das wachsende Sicherheitsrisiko im Verkehr zunehmend von Velofahrenden ausgehe.
Gianna Hablützel-Bürki war im Herbst 2024 Gast in der «Grossratsfahrschule». Bajour-Redaktor Ernst Field lernt darin Auto fahren – mit bekannten Grossrät*innen der Basler Parteien. Während sie ihm das Fahren beibringen, stellt er ihnen kritische Fragen. Gianna Hablützel-Bürki erzählte davon, wie sie zu den Klimazielen des Kantons steht und nervt sich über Velofahrer*innen.
«Gianna ist eine sehr seriöse Schafferin, äusserst verbindlich und gewissenhaft – sie arbeitet schliesslich auch beim Militär», beschreibt sie SVP-Fraktionschef Lorenz Amiet (der als Statthalter wild gewählt wurde, die Wahl aber nicht annahm). Er hat «keine Bedenken», dass sie den Spagat schaffen wird, jetzt integrativ aufzutreten. Und auch aus unterschiedlichen anderen Parteien ist zu hören, dass man Hablützel-Bürki zutraut, ihre Bewährungsprobe als Statthalterin zu bestehen. «Sie tritt jetzt schon viel zutraulicher auf, als man sie bisher kennt. Sie findet ihre Rolle», sagt ein*e bürgerliche*r Politiker*in.
«In diesem Amt hat man eine klare Aufgabe. Man legt die Parteifarben ab», sagt die 55-Jährige beim Tee im Café Pförtnerhaus, nahe ihrer Wohnung im Gellert. «Ich werde nicht als SVP-Politikerin agieren, sondern neutral bleiben. Und ich werde ein offenes Ohr für alle haben.» Es klingt wie eine Bewerbungsrede einer Politikerin, die beweisen will, dass sie das Zeug hat, um dieses Amt auszufüllen. Denn auch ausserhalb der Politik hat sie den Ruf, angriffig und streitlustig zu sein. Es sei ein bestimmtes Image, findet Hablützel-Bürki, das ihr wegen «spektakulären alten Geschichten» und ihrer «direkten Art als Spitzensportlerin» von den Medien verliehen wurde und das sich bis heute hartnäckig halte.
Anlass dafür ist nicht nur ihr politisches Auftreten, sondern vielmehr alle Nebenschauplätze ihrer äusserst glanzvollen Karriere als Profifechterin. Neun Mal wurde sie Schweizer Meisterin, mehrfach stand sie auf internationalen Podesten – zur grossen Überraschung holte sie bei Olympia 2000 in Sydney zweimal Silber für die Schweiz, sowohl im Einzelkampf als auch im Team. Sie kam in der ganzen Welt herum. «In den kommunistischen Ländern habe ich gesehen, wie die Regale leer waren und die Sportler sich nicht frei äussern durften. So lernte ich das politische System bei uns in der Schweiz schätzen», erzählt sie heute.
«Wer in der Schweiz an Fechten denkt, denkt gleichzeitig an Gianna Hablützel-Bürki», schrieb der Bund 2003. Sogar ein kleines Fechtfieber soll sie ausgelöst haben. Dieser Erfolg wurde von Glamour begleitet, denn Gianna Hablützel-Bürki weiss sich schon immer zu vermarkten: Die Sendung «Gesundheit Sprechstunde» filmte 1998 die Geburt ihrer Tochter Demi (heute Basler JSVP-Präsidentin). 22 Jahre später tanzen Mutter und Tochter in der SRF-Show «Darf ich bitten?» zusammen.
Teil dieser Medienkarriere war aber seit jeher auch das Image als «unbequemste Sportlerin des Landes» (Weltwoche). Auf das Zerwürfnis mit der Fechtgesellschaft Basel und der Gründung ihres eigenen Fechtclubs, den «Basel Riehen Scorpions», folgten diverse Fehden mit dem Schweizerischen Fechtverband. Es wurden Meldungen verbreitet, dass sie ein Turnier boykottiere, weil der Verband ihre Trainingsspesen nicht zahlte. Oder dass sie mit der Abreise von einem Turnier drohte, weil der Verband kein Hotelzimmer für ihre Familie gebucht hatte.
Sie erhielt sogar eine lebenslange Sperre vom Fechtverband, weil sie sich eine Internet-Domain unter dem Namen der Fecht-Kollegin Sophie Lamon sicherte. Es wurde als Unsportlichkeit aufgefasst – Hablützel-Bürki sagt, sie habe ihre Kollegin mit der Website als Geschenk überraschen wollen. Die Sperre wurde zwar vom Zivilgericht wieder aufgehoben, aber der Rauswurf aus dem Nationalteam bedeutete dennoch, dass sie ab 2004 nicht mehr für die wirklich wichtigen Titelkämpfe antreten konnte.
«In diesem Amt hat man eine klare Aufgabe. Man legt die Parteifarben ab.»Gianna Hablützel-Bürki, SVP-Grossrätin und Statthalterin
Die neueste und medial derzeit präsenteste Episode ist die juristische Schlammschlacht mit ehemaligen Funktionären des Fechtverbands, unter anderem mit ihrem alten Teamchef Gabriel Nigon. Er war es, der damals die lebenslange Sperre gegen sie verhängte. Und: Bis vor kurzem war er neben Gianna Hablützel-Bürki Grossratsmitglied für die LDP. Er wurde abgewählt, aber rückt bald wieder nach, weil die LDP-Grossrätin Nicole Kuster ans Appellationsgericht gewählt wurde.
Die Verbandsfunktionäre hatten wegen Social-Media-Posts, in denen Hablützel-Bürki dem Vorstand kurz vor der Generalversammlung «Stimmenkauf» vorwarf, Strafanzeige wegen Verleumdung eingereicht. Hablützel-Bürki wurde erstinstanzlich verurteilt, legte aber Berufung ein. Die Verhandlung vor dem Appellationsgericht wird wohl noch in diesem Jahr, also ihrem Statthalterinnenjahr stattfinden, in dem sie eigentlich nicht mit Konflikten auffallen sollte.
Für einen zurückhaltenden Social-Media-Auftritt war Gianna Hablützel-Bürki ohnehin nie bekannt. Seit sie 2017 zu ihrer grossen Überraschung ins Basler Kantonsparlament gewählt wurde – Ex-Parteichef Eduard Rutschmann hatte sie auf einem Dorffest kennengelernt und sie überredet, für die SVP anzutreten – machte sie auch strikt nach SVP-Programm Stimmung (bei den Ständeratswahlen 2019 blieb sie gegen SP-Finanzdirektorin Eva Herzog jedoch chancenlos). Als X noch Twitter hiess, bezeichnete sie kurdische Demonstrationen als «Türkenfasnacht» und den Frauenstreik als «Hexenfest».
Zu ihrem Auftritt auf Social Media im Allgemeinen möchte sich Gianna Hablützel-Bürki aufgrund des laufenden Gerichtsverfahrens derzeit nicht äussern.
Solche Aussagen aus der Vergangenheit – die nicht weit weg sind von den diskriminierenden Voten von Beat Schaller – tragen nicht dazu bei, dass Gianna Hablützel-Bürki ihren Rückstand für die Präsidiumswahlen kommendes Jahr aufholt. «Wir müssen ihr eine Chance geben, aber sie muss uns jetzt auch zeigen, dass sie Abstand nimmt von Klischees und Verallgemeinerungen», sagt ein linkes Parlamentsmitglied.
Die rote Linie, die Gianna Hablützel-Bürki als Statthalterin und etwaige Grossratspräsidentin ziehen möchte, sind Respekt und Anstand, sagte sie selbst. Debatten dürften hitzig verlaufen, aber nicht persönlich oder beleidigend werden. Daran wird sie sich messen lassen, im Parlament wird man sehr wachsam sein, wie sie sich als Statthalterin schlagen wird. Gianna Hablützel-Bürki jedenfalls will, dass es dieses Mal für noch mehr als die Silbermedaille reicht.