Kein Lodern, ein Flammen
Was die unabhängige Personalbefragung der Kantonspolizei Basel-Stadt über die Zustände im Korps aussagt, ist katastrophal: eine Kultur der Angst, eine veraltete Macho-Kultur, ein totaler Vertrauensverlust. Die Erwartungen an Polizeidirektorin Stephanie Eymann sind jetzt enorm.
Eigentlich war zu erwarten, dass die Stimmung bei der Kantonspolizei Basel-Stadt alles andere als rosig ist. Der sich trotz Recruiting-Kampagne immer weiter verstärkende Personalnotstand (mehr als jede zehnte Stelle ist nicht besetzt) war ein Indikator, dass etwas im Argen liegt. Und dass auch die kürzlich beschlossene Lohnerhöhung keine finale Antwort auf die sich abzeichnenden strukturellen Probleme sein wird, wurde klar, als Kommandant Martin Roth vor einem halben Jahr eine externe Personalbefragung in Auftrag gab.
Die Ergebnisse dieser Befragung stellte am Freitag Markus Schefer vor. Der Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Basel ist die erste gewählte Telefonnummer von Journalist*innen, wenn es eine Debatte über das Vorgehen der Polizei bei Demos gibt – er war beauftragt worden, die schiefe Personallage der Polizei zu untersuchen. Unterstützt wurde er von Claudia Puglisi, einer Polizeidirektor*in aus Niedersachsen, die bei der Präsentation neben ihm sass – ihr besorgt wirkender Blick spiegelte die Drastik der Ergebnisse wider.
Denn an heftig negativen Begrifflichkeiten mangelt es im 42-seitigen Dokument sicherlich nicht. 372 aktuelle und ehemalige Polizist*innen inklusive Kommandant und Polizeidirektorin Stephanie Eymann (LDP) hatten Auskunft gegeben – das ist rund ein Drittel der Kapo-Angestellten, was laut Schefer eine auffallend hohe Beteiligung ist. Die Befragten haben in den persönlichen, 45-minütigen Gesprächen zum Teil vernichtende Berichte aus ihrem Arbeitsalltag abgegeben.
Im Kurzinterview spricht sie über die Rücktrittsforderungen an den Polizeikommandanten, die Notwendigkeit eines grundlegenden Kulturwandels und welche Massnahmen schon bald umgesetzt werden könnten.
Die zentralen Begriffe sind hier: Kultur der Angst im Korps (wer seine Beförderung nicht gefährden will, verzichtet auf Kritik), autoritärer Führungsstil, mangelndes Vertrauen in die Polizeileitung, ineffiziente Projekte für die Bearbeitung des Reformstaus und Überlastung wegen des Personalmangels (niemandem bei der Polizei könnten zehn einsatzfreie Wochenenden im Jahr garantiert werden) – verstärkt durch die Wahrnehmung, dass weder die Bevölkerung noch die institutionelle Politik die Arbeit wertschätzen.
Die Kritik konzentriert sich auf Polizeikommandant Martin Roth. Er ist medial angeschlagen, seit linke Politiker*innen im Frühjahr 2023 wegen des Gummischrot-Einsatzes der Frauentags-Demo seinen Rücktritt forderten. Während die Politik nach dem Schefer-Bericht erstmal die Reaktion der zuständigen Regierungsrätin Stephanie Eymann (LDP) abwartete, kommt die Rücktrittsforderung jetzt von der bz. Die klare Forderung im Kommentar zeigt, wie vernichtend das Zeugnis im Bericht ist. Tatsächlich wirkt es, als habe Roth sich damit das eigene Grab geschaufelt.
Schefer beschreibt ihn als jemanden, der durchaus bemüht sei, die Probleme in den Griff zu bekommen, aber dem das Vertrauen «eines Grossteils der Belegschaft entglitten» sei. Von Beginn weg war der Umstand ein Manko, dass er, wie die meisten anderen Mitglieder der Polizeileitung, keine polizeiliche Grundausbildung hat. Doch die Ansprüche zwischen internem Reformdruck und externer politischer Realität drohen Roth zu zerreiben, so Schefer.
Bei der Präsentation war Roth, an den der Bericht als Kommandant ja adressiert ist, nicht anwesend – genausowenig wie Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann. Für Stellungnahmen war er am Freitag nicht verfügbar, die Medienstelle der Kantonspolizei verwies weiter an die Medienstelle des Justiz- und Sicherheitsdepartements.
Basta-Grossrat Nicola Goepfert, der als Mitglied der Justiz- und Sicherheitskommission immer wieder Vorstösse zu Polizei-Themen einreicht, liest in dem Bericht zwischen den Zeilen den Hinweis, dass es Rücktritte brauche: «Ich glaube nicht, dass die aktuelle Polizeileitung fähig ist, einen Kulturwandel umzusetzen. Allerdings würden personelle Massnahmen alleine nicht ausreichen, um die grundlegenden Änderungen umzusetzen, die der Bericht nahe legt.» Er verweist auf die 30 Empfehlungen, die Schefer und Puglisi anhand der Befragung erarbeitet haben.
Michael Hug von der LDP hat parlamentarisch das Lohnniveau der Polizist*innen immer wieder gepusht. Er findet die Führungsfrage schwierig: «Natürlich müssen wir nach diesem höchst alarmierenden Bericht die Organisationsformen schonungslos anschauen. Aber bevor wir zu aktivistisch vorgehen, dürfen wir nicht vergessen, dass wir bei der Polizei nicht alle Ressourcen dafür verwenden können, damit kein Stein auf dem anderen bleibt – sie muss immer noch ihren Kernauftrag erfüllen. Um da wieder auf stabilere Beine zu kommen, sollten wir zunächst die Arbeitsattraktivität verbessern.»
Hug findet, dass er überrascht gewesen sei über die Ausführlichkeit der «atmosphärischen Beschreibungen» im Bericht, die zum Teil gerade bei Problematiken zu Sexismus und Rassismus «ein bisschen vage» wirken würden. Schefer berichtet darin von einer sehr männlich geprägten, besonders im Aussendienst «kruden» Kultur des Umgangs. Weiter beschreibt er, dass jahrelange Dienste, bei denen Polizist*innen regelmässig mit gewaltbereiten Menschen aus dem nordafrikanischen Raum konfrontiert sind, rassistische Stereotype fördern würden.
«Das sollte nicht als mangelnde Moral einiger Angestellter abgetan, sondern strukturell angegangen werden», sagte Schefer bei seiner Präsentation. Darauf bezieht sich die SP, die in einer Medienmitteilung schreibt, dass die Ressorts, in denen diese negativen Tendenzen verstärkt auftreten, reorganisiert und zusammengelegt werden sollten. Weiter stehen für sie jetzt die Ausarbeitung familienfreundlicherer Arbeitszeitmodelle und eine bessere Planbarkeit der Zusatzdienste im Vordergrund.
Darüber hinaus ist der politische und polizeiinterne Umgang mit den Ergebnissen des Berichts (online hier abrufbar) auch ausserhalb Basels relevant. Wie Markus Schefer an der Präsentation betonte, war es schweizweit das erste Mal, dass eine aussenstehende Stelle so einen tiefgehenden Einblick in die Strukturen einer Kantonspolizei bekam. Was der Bericht in Basel nun bewirkt und ob der Reformstau wirklich angegangen wird, könnte also auch in anderen Polizeistationen genau beobachtet werden.