Parterre-Gruppe: Betreibungen in Millionenhöhe
Für die Zahlungsnot bei der Basler Gastro-Gruppe Parterre nennt CEO Peter Sterli einen scheinbar plausiblen Grund: Die Pandemie. Ein Betreibungsregisterauszug belegt: Probleme gab es schon vorher. Auch aktuell gibt es über 100 Betreibungen gegen die Gruppe, offen sind mehr als eine Million Franken.
In den vergangenen Tagen ist ein Ruck durch die Basler Gastro- und Kultur-Szene gegangen. Recherchen von Bajour haben publik gemacht, dass sich die Parterre-Gruppe in Zahlungsnot befindet. CEO Peter Sterli begründete das mit den Folgen der Corona-Pandemie. Die Reserven seien – wie bei vielen anderen Gastro-Betrieben – aufgebraucht, die Kredite müssten zurückbezahlt werden, sagte er gegenüber Bajour.
Was plausibel klingt, wird durch die Berichte zahlreicher Insider*innen widerlegt, die sich in der Zwischenzeit bei uns gemeldet haben. Die Vorwürfe wiederholen sich und bestätigen sich unabhängig voneinander.
Aktuell gibt es zahlreiche offene Forderungen gegen die Parterre-Gruppe. Die These, es handle sich um Ausstände von mindestens 100’000 Franken, ist nicht mehr haltbar. Es geht um mehrere Millionen. Bajour hatte Einblick in aktuelle Auszüge aus dem Betreibungsregister. Gegen das Firmengeflecht liegen mehr als 100 Betreibungen vor – über eine Summe von mehr als 2,5 Millionen. Einige Beträge wurden bereits bezahlt, andere angefochten, aber Forderungen von weit mehr als einer Million Franken sind noch offen.
Betrieben werden die Firmen nicht nur von Lieferant*innen, sondern auch von den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft, von Versicherungen und Personalvorsorgeeinrichtungen. Alleine diesen Monat (August 2023) sind Betreibungen von mehr als 170'000 Franken eingegangen.
«Es gab schon vor Corona finanzielle Probleme.»Insider*in
«Das wurde jedes Mal auf die chaotische Buchhaltung geschoben – eine Zeit lang habe ich das geglaubt. Aber es riefen auch Lieferanten an, die sagten, sie warteten auf ihr Geld. Die Parterre-Gruppe hatte Liquiditäts- und Finanzierungsprobleme.» Um die Insider*innen nicht identifizierbar zu machen, nennen wir an dieser Stelle keine genauen Zeiträume.
«Probleme gibt es schon seit Jahren und sie haben nichts mit ‹ein wenig Pech während Corona› zu tun, im Gegenteil: Es gibt viele Stimmen, die sagen, dass Corona sie durch die Staatsgelder gerettet hat.» Während dieser Zeit gab es Hilfen vom Staat, es ist wieder Geld geflossen. Dass das Parterre vom Corona-Geld profitiert habe, sagt auch ein*e andere*r Insider*in. «Während Corona haben wir immer den vollen Lohn bekommen.»
Angestellte warten auf Löhne, Künstler*innen auf Gagen und Geschäftspartner*innen liefern nur noch gegen Cash: Die Basler Gastro-Gruppe Parterre steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Es geht um über 100 Arbeitsplätze. Parterre-Chef Peter Sterli bestätigt Liquiditätsprobleme, zeigt sich aber zuversichtlich.
Hatte die Pandemie am Ende sogar positive Effekte auf die Parterre-Gruppe?
Nein, sagt CEO Sterli und widerspricht der Darstellung, wonach Corona keine schlechte Zeit gewesen sei oder sogar positive Effekte auf die Parterre Gruppe gehabt habe, vehement. Auch dass Löhne bereits vor 2020 zu spät ausbezahlt wurden, dementiert er. Und weist darauf hin, dass es zu einem beliebigen Zeitpunkt zu individuellen Lohnverzögerungen, die nicht in Zusammenhang mit wirtschaftlichen Herausforderungen stünden, kommen könne. Als hypothetisches Beispiel nennt er Situationen, in denen unterschiedliche Auffassungen in Bezug auf die Auszahlung nicht verifizierter Überstunden existieren, die in einer – aus der Sicht der Arbeitnehmenden – verzögerten oder rechtmässig angepassten Auszahlung von Löhnen oder Lohnbestandteilen münden könnten.
«Vor der Pandemie kam es zu einer äusserst unbefriedigenden Situation in buchhalterischen Abläufen. Nach einer längeren Phase der Aufarbeitung konnten wir die Situation wieder zufriedenstellend berichtigen.»Peter Sterli, CEO Parterre-Gruppe
Dass während Corona die Löhne voll ausbezahlt worden sind, dementiert Sterli nicht, er sagt: «Über buchhalterische Interna geben wir keine Auskunft.» Er weist jedoch darauf hin, «dass so eine Handhabe zum Vorteil der Mitarbeitenden wäre und als Geste der Wertschätzung verstanden werden müsste».
Bei verspätet gezahlten Löhnen, von denen wir mehrfach gehört haben, kann es sich selbstverständlich um Einzelfälle handeln – Bajour hat keinen Überblick über alle Lohnzahlungen. Eindeutig ist allerdings der Auszug aus dem Betreibungsregister der Parterre Tangram GmbH, also jenem Parterre-Zweig, der sich der Arbeitsintegration verschrieben hat.
Dieser belegt, dass es schon Ende 2019, und damit vor Beginn der Pandemie, Dutzende Betreibungen gegen die Firma gab. Insgesamt gab es damals bei der Tangram GmbH Forderungen in Höhe von fast einer halben Million Franken.
Es stellt sich also die Frage, warum CEO Peter Sterli sagt, finanzielle Probleme hätten erst mit Corona begonnen, obwohl der Betreibungsregisterauszug aus dem Jahr 2019 zahlreiche offene Betreibungen ausweist.
Parterre dementiert nicht, dass es im 2019 Betreibungen gab, macht aber darauf aufmerksam, dass die Unternehmensgruppe zum 15. März 2020 die Erfordernisse für das kantonale Covid-19-Unterstützungsprogramm erfüllt habe: «Wir weisen Sie zudem gerne auf die Rechtslage betreffend dem Bezug von staatlichen Hilfen für die Gastronomie im Rahmen der Pandemie hin, welche besagt, dass per 15.03.2020 keine Betreibungen für Sozialversicherungsbeiträge oder Steuerforderungen und keine Verlustscheine vorliegen durften.»
Betreibungen der GastroSocial Pensionskasse
Was der Betreibungsauszug auch zeigt: Es gab im 2019 zahlreiche Betreibungen der GastroSocial Pensionskasse. Mehrere Quellen konnten uns glaubhaft schildern, dass es dort Missstände gibt. AHV- und Pensionskassenbeiträge seien nicht ordnungsgemäss bezahlt worden.
Parterre möchte zu solchen Interna keine Auskunft geben. «Wir bestätigen jedoch, dass es in einem Zeitraum vor der Pandemie zu Problemen in der Arbeit von uns zudienenden Drittparteien kam, welche zu einer äusserst unbefriedigenden Situation in buchhalterischen Abläufen führten. Wir dürfen Ihnen auch mitteilen, dass wir die entstandene Situation nach einer längeren Phase der Aufarbeitung wieder zufriedenstellend berichtigen konnten. Die entsprechende Zusammenarbeit darf rückblickend als Fehlentscheid angesehen werden.»
Auch aktuell werden wegen der Pensionskasse Vorwürfe laut. Kürzlich, Ende Juli 2023, wurden die Mitarbeiter*innen der Parterre Tangram GmbH schriftlich dazu aufgefordert, den Wechsel zu einer neuen Pensionskasse und die damit einhergehende Anpassung des Personalreglements zu akzeptieren. «Sollte das unterzeichnete neue Personalreglement bis zum genannten Datum nicht bei uns eintreffen, endet das bisherige Arbeitsverhältnis mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist», heisst es im Schreiben. Unterzeichnet ist das Dokument unter anderem von Unternehmensleiter Peter Sterli. Der Name der neuen Kasse wird nicht genannt.
Bajour hat von Insider*innen erfahren, dass die Mitarbeiter*innen neu bei der Stiftung Auffangeinrichtung BVG versichert sind. Hier können Arbeitgeber*innen sich freiwillig anschliessen und ihre Angestellten versichern. Aber – und dieser Fall ist bei Parterre Tangram aufgrund aktueller Betreibungen von GastroSocial naheliegend – es gibt auch den sogenannten Zwangsanschluss: Arbeitgeber*innen können gezwungen werden, sich der Stiftung anzuschliessen, wenn sie z. B. ihre Mitarbeiter*innen bisher nicht pflichtgemäss versichert haben und bei einer anderen Pensionskasse rausgeflogen sind. Die Gewerkschaft Unia (Region Aargau-Nordwestschweiz) schreibt auf Anfrage: «Die Stiftung Auffangeinrichtung springt ein, wenn Arbeitgeber keine eigene BVG-Versicherung haben (können). Zum Beispiel, wenn der Vertrag von GastroSocial gekündigt wurde und keine andere Pensionskasse die Firma aufnehmen kann/will.»
«Ein Wechsel der Pensionskasse zur Stiftung Auffangeinrichtung ist selten selbst gewählt.»Gewerkschaft Unia (Region Aargau-Nordwestschweiz)
Laut Unia würden sich einige rechtliche Fragen stellen, insbesondere bezüglich der Bedenkzeit und der Anzahl der betroffenen Personen. «Sind nämlich eine grosse Anzahl Arbeiter*innen betroffen, so muss das Unternehmen die Arbeiter*innen oder deren Vertretung konsultieren (Konsultationspflicht). Entscheidend ist, ob die Änderung aus betrieblich notwendigen Gründen geschieht oder nicht. Da ein Wechsel der Pensionskasse zur Stiftung Auffangeinrichtung selten selbst gewählt ist, können wir uns die Notwendigkeit aber zumindest vorstellen», heisst es von der Unia.
Peter Sterli widerspricht der Darstellung, dass Parterre gezwungen war, die Pensionskasse zu wechseln. In Bezug auf die Vorwürfe weist er jedoch darauf hin, dass Parterre Basel sich im Falle von Änderungen im Personalreglement an die gesetzlichen Vorgaben hielte, die teilweise die schriftliche Bestätigung der von der Änderung betroffenen Mitarbeitenden erfordern würde, da sonst das Arbeitsverhältnis rechtlich gesehen nicht fortgeführt werden könnte.
Angst geht um
Was uns bei der Recherche durchgängig begegnet: Menschen, die aus Angst anonym bleiben möchten. Kein*e ehemalige*r Mitarbeiter*in möchte mit Namen in der Zeitung stehen. Manche befürchten, ihr Geld gar nicht mehr zu sehen, wenn sie sich öffentlich äussern. Andere haben Bedenken, in der Gastro- oder Kultur-Szene dadurch einen schlechten Ruf als Arbeitnehmer*in zu haben beziehungsweise keine Bühne mehr zu bekommen. Ein*e Insider*in sagt: «Viele der Angestellten haben nur einen Job und sind gebunden an ihren Arbeitgeber. Ausserdem waren sie immer sehr loyal und haben zu ihrem Chef Sterli gestanden, auch wenn sie auf Löhne warten mussten.»
Oder aber sie haben Angst, verklagt zu werden. Peter Sterli schreckt laut Aussage mehrerer Insider*innen nicht davor zurück, Anwält*innen einzuschalten und die juristische Konfrontation mit (ehemaligen Mitarbeiter*innen) zu suchen. Das hat sich herumgesprochen.
«Sterli ist entweder dein Freund oder dein Feind. Man weiss: Sich mit dem Sterli anzulegen, ist nicht einfach.»Insider*in
Aber auch Sterli habe sich mehrmals vor Gericht verteidigen müssen, hören wir mehrfach von Informant*innen. «Eigentlich immer, wenn Leute gekündigt haben, war es so, dass sie Löhne danach nicht mehr bekommen haben. Einige sind dann vor Gericht gezogen.»
Auch hier widerspricht Sterli vehement. Er meint, diese Spekulation beruhe auf Fehlinformationen. Er sagt: «Was allfällige aktuelle oder zurückliegende Gerichtsverfahren angeht, geben wir generell keine Auskunft.» Sterli versichert aber, dass solche Gerichtsverfahren nicht regelmässig stattfinden und Parterre auch nicht gezielt die juristische Konfrontation mit (ehemaligen) Mitarbeitenden suchen würde.
«Parterre Basel sieht sich dem Unternehmen und seinen Mitarbeitenden gegenüber verpflichtet, zum Schutz des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze gegen erfahrenes Unrecht vorzugehen und dieses im Dialog mit den involvierten Parteien zu bereinigen. Es spricht für sämtliche involvierten Parteien, dass auf die Ergreifung weiterer rechtlicher Schritte sowie generell die Zuziehung anwaltlicher Unterstützung zumeist verzichtet werden kann.» Man sei in erster Linie an einer für beide Seiten stimmigen Lösung interessiert.
«Es geht bei ihm schnell, dass jemand in Ungnade fällt. Wer die Missstände zu direkt anspricht und sich öffentlich äussert, geht das Risiko ein, Schaden davon zu tragen», sagt ein*e Insider*in gegenüber Bajour. «Sterli ist entweder dein Freund oder dein Feind. Man weiss: Sich mit dem Sterli anzulegen, ist nicht einfach.»
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