Von verkochten Fröschen und gekrümmten Gurken

An dem von Bajour organisierten EU-Podium im Klara ist einmal mehr klar geworden, wie schwierig die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU für die Wissenschaft und die Wirtschaft gerade in der Region Basel sind. Die eine grosse Lösung blieb zwar aus, doch konstruktiv war die Diskussion allemal.

EU-Podium
Co-Chefredaktorin Ina Bullwinkel möchte wissen: «Wie finden wir eine gute Lösung, eine, die sowohl von der EU als auch vom Stimmvolk akzeptiert würde?» V.l.n.r.: Philipp Treutlein, Sarah Wyss, Ina Bullwinkel, Laetitia Block und Nicola Yuste. (Bild: Ernst Field)

«Der Frosch schwimmt im Topf, das Wasser ist lauwarm, der Herd ist an. Doch wenn das Wasser zum Kochen beginnt, ist es zu spät.» Dieses Bild, mit welchem SP-Nationalrätin Sarah Wyss die aktuellen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU beschreibt, begleitete uns auch am Mittwoch durch den Abend im Klara, wo Bajour eine Podiumsdiskussion zum Verhältnis EU-Schweiz organisiert hatte. Auf der Bühne sassen neben Wyss die baselstädtische SVP-Vizepräsidentin Laetitia Block, Head Swiss Public Affairs Novartis Pharma AG, Nicola Yuste, sowie Philipp Treutlein vom Physik-Departement der Universität Basel. Moderiert wurde der Anlass von Co-Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Nicht nur in den Räumlichkeiten des Restaurantbetriebs an der Clarastrasse war es an diesem Abend warm, auch der Wahlkampf ist definitiv in der heissen Phase angelangt. Europa scheint dabei nicht das Lieblingsthema der Schweizer Parteien zu sein. «Damit gibt es nicht viel zu gewinnen», sagt Bullwinkel. Doch in der Rheinstadt Basel, im Dreiländereck, beschäftigt die festgefahrene Situation stärker als anderswo in der Schweiz: Es war eine Zäsur, als vor zwei Jahren die langjährigen Verhandlungen abgebrochen wurden. Diese sollten die Schweiz und die EU näher zusammenbringen. Doch das Gegenteil ist nun der Fall. Die Folgen des Abbruchs sind für die Wissenschaft und die Wirtschaft immens.

«Wenn heute Zusammenarbeiten gebildet werden, sind wir nicht mehr dabei.»    
Philipp Treutlein, Physik-Departement der Universität Basel

«Wie finden wir eine gute Lösung, eine, die sowohl von der EU als auch vom Stimmvolk akzeptiert würde?» Diese Frage stellte Bullwinkel an der gestrigen Veranstaltung in den Fokus. Einig war man sich an diesem Abend zumindest darin, dass ein toter Frosch niemandem etwas bringen würde.

Muss die Schweiz nun, da sie vom Verhandlungstisch aufgestanden ist, der EU ein Zückerli anbieten? Laetitia Block findet: «Jein.» Es sei nur ehrlich gewesen, die Verhandlungen abzubrechen. «Es ist nicht mehr vorwärts gegangen.» Es brauche einen Neustart, beide Seiten müssten etwas geben. Betteln sei hingegen nicht angebracht, vielmehr müsse man eine «breite Brust zeigen». Und: «Rote Linien dürfen nicht überschritten werden», meint Block. Zeitdruck macht sie keinen aus: «Die Schweiz hat aktuell 120 Verträge mit der EU.» 

«Die Zeit drängt»

Philipp Treutlein, der als Wissenschaftler auf dem Gebiet der Zukunftstechnologie Quanten forscht, sieht das anders. Die Förderung für seinen Forschungsbereich ist durch den Abbruch der Verhandlungen unter die Räder gekommen. Er, der sich als Opfer der politischen Prozesse sieht, sagt: «Die Zeit drängt.» Denn weitere Verträge drohen auszulaufen. Sein Departement sei in der Quantentechnologie weltweit führend gewesen, durch den Abbruch aber sei man plötzlich nicht mehr berechtigt, an den Förderprogrammen der EU teilzunehmen. Die wissenschaftliche Entwicklung aber gehe trotzdem weiter. «Wenn heute Zusammenarbeiten gebildet werden, sind wir nicht mehr dabei.»    

Das Problem könne man alleine durch die vom Bund gesprochenen Ersatzprogramme, sprich Geld, nicht lösen, meint Treutlein. Es sei ein Reputationsschaden entstanden, Wissenschaftler*innen überlegten sich zweimal, ob sie fürs Doktorat in die Schweiz kommen. «Alle wollen wissen: Was ist mit den EU-Förderprogrammen?»

EU-Podium
Was sind die Knackpunkte? Plötzlich wird der Ton schärfer. (Bild: Ernst Field)

Mit diesen indirekten Folgen hat auch die Industrie zu kämpfen, wie Yuste bestätigt. Auch wenn der Prozess ein schleichender sei, merke man heute schon: «Die Schweiz ist für junge Talente weniger attraktiv geworden.» 

Während die Wissenschaft Druck macht, äussert sich die Industrie bisher erstaunlich zurückhaltend, mischt sich in die politischen Prozesse kaum ein. Dabei ist für Yuste klar: «Wir wünschen uns ein Verhandlungsmandat bis Ende Jahr.» Der Topf mit dem Frosch: Er wird heisser und heisser. Wyss findet: «Wir müssen den Herd abstellen, damit der Frosch raushüpfen kann.»

Bis hierhin verlief die Diskussion einigermassen harmonisch, doch kaum ging es um die Knackpunkte, wurde der Ton schärfer. Uneinig ist man sich beim Lohnschutz; die Gewerkschaften in der Schweiz haben Angst, dass dieser durch ein EU-Abkommen verwässert wird. Doch Wyss ist überzeugt, eine Lösung könne gefunden werden, mache doch auch die EU in diesem Bereich vorwärts. Dasselbe gelte für die umstrittenen Beihilfen, diese seien ebenfalls bereits weiterentwickelt worden.

«Die Schweiz ist für junge Talente weniger attraktiv geworden.» 
Nicola Yuste, Head Swiss Public Affairs Novartis Pharma AG

Am hitzigsten wurde allerdings auch am gestrigen Abend diskutiert, inwiefern die Schweiz europäisches Recht übernehmen sollte; die SVP spricht hier in Bezug auf den EuGH gerne von «fremden Richtern» – und lehnt diese vehement ab. Etwas neutraler ausgedrückt, geht es darum, ob der Europäische Gerichtshof auch zwischen der EU und der Schweiz schlichten darf. Das Beispiel, das in diesem Kontext immer wieder gerne genannt wird – so auch am EU-Podium von Bajour –, sind die krummen Gurken. Vor mehr als 30 Jahren schrieb die EU die maximal zulässige Krümmung von Salatgurken fest. Das Gemüse muss bis heute als Beispiel für den Regulierungswahn der Brüsseler Bürokrat*innen herhalten. Die Normierung gilt zwar schon seit Jahren nicht mehr, aber der Einzelhandel hält an der geraden Gurke fest – auch in der Schweiz. 

Nicht nur bei den Gurken scheinen wir demnach Werte mit der EU zu teilen. Wyss sagt: «Wir leben in einer Wertegesellschaft.» Bereits heute basieren 80 Prozent unserer Gesetze auf EU-Recht. Auch Treutlein betont die Gemeinsamkeiten, spricht in Bezug auf die Wissenschaft von einer «grossen europäischen Community und einer gemeinsamen Kultur». Für Block hingegen kommt eine europäische Rechtsauslegung nicht in die Tüte. Sie pocht, wenn schon, auf eine «richtige Zusammensetzung». Und zu den Gurken: «Unsere Gurken müssen nicht anders sein, aber wir machen das selbstbestimmt.»

EU-Podium
Die Basler SVP-Vizepräsidentin Laetitia Block wünscht sich selbstbestimmte Verhandlungen und hält an einem losen Vertragswerk fest: «Die Welt ist mehr als Europa.» (Bild: Ernst Field)

Was ist denn nun die konkrete Lösung? Ein Kompromiss. Wie dieser aussehen muss, das wurde auch am gestrigen Abend nicht endgültig geklärt. Auf dem Podium war man sich einig: Es gibt beim EU-Dossier keine Hürden, die nicht zu überwinden wären. Neben leisem Optimismus wurden Forderungen laut: Wyss findet, das Parlament müsse dem Bundesrat den Rücken für die weiteren Verhandlungen stärken, auch Treutlein spricht sich klar für ein Rahmenabkommen aus, Yuste verlangt Bewegung in der Sache, legt dabei grossen Wert auf die Personenfreizügigkeit sowie den Zugang zum Binnenmarkt. Und Block wünscht sich selbstbestimmte Verhandlungen und hält an einem losen Vertragswerk fest: «Die Welt ist mehr als Europa.»

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Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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