Poltern gehört zum Verhandlungs-Handwerk

Das gewerkschaftliche und parteipräsidiale Poltern im Vorfeld der EU-Verhandlungen soll nicht darüber hinwegtäuschen: Im zweiten Anlauf scheinen die Partnerschaften geklärt und die Zeichen der Zeit erkannt zu sein. Der Wochenkommentar von Ina Bullwinkel.

Wochenkommentar EU Dossier

Das EU-Dossier bekommt momentan viel Gegenwind. Erst polterte der oberste Schweizer Gewerkschafter Pierre-Yves Maillard, die Gewerkschaften würden das vorliegende EU-Paket niemals akzeptieren. Ein paar Tage später drang aus der aussenpolitischen Kommission, dass Mitte-Präsident Gerhard Pfister kaum ein gutes Haar am Paket liess.

Die Gewerkschaften haben viel Macht und das wissen sie. Auch die Mitte kann das Zünglein an der Waage sein: Der Bundesrat ist davon abhängig, dass alle Parteien und politischen Kräfte ausser der SVP (die ist bekanntlich nicht mehr zu überzeugen) hinter dem Paket stehen.

Die EU wird hart verhandeln, nur schon, damit sie ihr Gesicht nicht verliert.

Die Gegner*innen sind laut. Nachrichten von Paket-Nörgler*innen wie Maillard und Pfister nehmen wir viel deutlicher wahr als die Voten von Abkommen-Fans wie Neu-Bundesrat Beat Jans oder HKBB-Präsidentin Elisabeth Schneider-Schneiter. Sie poltern und sie pokern. Um möglichst viel rauszuholen. Die Gewerkschaften hatten beim letzten Mal einen grossen Anteil daran, dass die Schweiz vom Verhandlungstisch mit der EU aufgestanden ist. Trotzdem sind ihre Sorgen und Anliegen legitim und stehen für die Ängste der Bevölkerung, die es aus Sicht der Arbeitgeber*innen mitzunehmen gilt. Sonst wird es auf lange Sicht nichts mit dem Zugang zum grössten Wirtschaftsraum. Und das kann sich niemand leisten.

Es kommt aber nicht nur auf die Schweiz an. Die EU wird hart verhandeln, nur schon, damit sie ihr Gesicht nicht verliert – sie wurde schon einmal sitzen gelassen und will sich das sicher kein zweites Mal gefallen lassen. Was die Frage aufwirft: Bewegt sich die EU auf die Schweiz zu, damit es dieses Mal auf jeden Fall klappt oder muss die Schweiz das Eis zuerst mit einem Zückerli brechen? Viel Spielraum gibt es nicht: Bei u. a. Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinie und Stromabkommen ist die EU bereit, entgegenzukommen. Die Schweiz wirkt eher unflexibel und strapaziert den Goodwill.

Binnenmarkt ist kein sexy Wort, aber eine ziemliche Cashcow für die Schweiz.

Dieses Jahr muss Klarheit bringen, bis Ende 2024 soll das Abkommen stehen. Die Zeit drängt, schliesslich gibt es auf EU-Seite Neuwahlen und in den EU-Organen wechseln die zuständigen Ansprechpartner*innen. Mit neuen Amtsträger*innen würden sich die Verhandlungen wahrscheinlich noch einmal in die Länge ziehen. Die Schweiz hat keine Zeit, dafür aber einige wichtige Verträge zu verlieren.

Niemand muss für einen EU-Beitritt sein, um zu sehen, dass die Schweiz auf enge Beziehungen mit der EU angewiesen ist. Binnenmarkt ist kein sexy Wort, aber eine ziemliche Cashcow für die Schweiz. Den Zugang zu verlieren, würde vor allem die Region Basel hart treffen. Aber auch andere Kantone würden leiden und damit die Schweizer Volkswirtschaft insgesamt. Und wenn die bürgerliche Präsidentin der HKBB, Elisabeth Schneider-Schneiter, bei aller Polterei die Gewerkschaften vor allem als unverzichtbaren Sozialpartner sieht, die man mitnehmen muss, stehen die Zeichen gut, dass sich die Schweizer Seite nicht auseinander dividieren lässt, und es diesmal etwas werden könnte.

zwei Herzen
Bei uns kannst du einfacher Mitglied werden ...

... als in der EU.

Das könnte dich auch interessieren

Wochenkommentar Leila Moon

Ina Bullwinkel am 13. Dezember 2024

Verlierer*innen, wo du hinschaust

Was bleibt übrig von der knapp einmonatigen Diskussion um die Vergabe des Kulturförderpreises an Leila Moon? Eine Jury, die sich und die Künstlerin angreifbar gemacht hat. Ein Amt für Kultur, das sich wieder einmal rechtfertigen musste. Und eine Künstlerin, an der nun ein Image haftet, das nur schwer zu revidieren ist. Ein Kommentar von Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Weiterlesen
Pekerman2

Valerie Zaslawski am 10. Dezember 2024

«Wir werden sehen, ob Syrien wirklich ein Land für alle sein wird»

GLP-Grossrat Bülent Pekerman sagt im Interview mit Bajour, die Freude über den Sturz von Assad in der kurdischen Community sei gross. Er äussert aber auch Bedenken: «Die Türkei wird nun versuchen, den Kurden in Syrien das Leben schwer zu machen.»

Weiterlesen
Elisabeth Schneider-Schneiter Ukraine

David Rutschmann am 06. Dezember 2024

«Uns allen geht es um die humanitäre Tradition»

Die Baselbieterin Elisabeth Schneider-Schneiter war eine der Ausscherer*innen aus der Mitte, die im Nationalrat die Verschärfung des Schutzstatus S möglich machten. Sie findet es richtig, den Sonderschutz auf die akuten Kriegsgebiete zu beschränken – und hofft, dass man damit die Zuwanderungspolemik der SVP bekämpfen kann.

Weiterlesen
Valerie Kommentar-1

Valerie Zaslawski am 02. Dezember 2024

Alle Parteien raus! Sie haben da nichts zu suchen

Das Stadtteilsekretariat Kleinbasel steht in der Kritik, zu links zu sein. Nachdem die bürgerlichen Parteien ihm bereits den Rücken gekehrt haben, sollten auch die linken ihre Rolle überdenken. Parteien haben andere Gremien, um mitzuwirken, kommentiert Valerie Zaslawski.

Weiterlesen
Ina Bullwinkel Porträt

Das ist Ina (sie/ihr): Nach journalistischen Stationen u. a. in Bremen (Volontärin, Weser-Kurier) und Berlin (Redaktorin am Newsdesk, ntv.de) hat es Ina mitten in der Corona-Pandemie zu Bajour verschlagen. Dank Baseldytsch-Kurs hat sie sich schnell dem Dialekt der Einheimischen angenähert – ihre Mundart-Abenteuer hält sie regelmässig im Basel Briefing fest. Seit April 2023 ist Ina Chefredaktorin und im Wochenkommentar «Bullwinkels Blickwinkel» teilt sie einmal die Woche ihre Meinung zu aktuellen (meist politischen) Themen.

Kommentare

Stephanie Eymann
Stephanie Eymann
Sicherheitsdirektorin Basel (LDP)

Erst ein Mehrjahresvergleich wird das zeigen

Ich glaube nicht, dass der Rückgang auf nur einen einzigen Faktor zurückzuführen ist. Erst ein Mehrjahresvergleich wird zeigen, wohin sich die Statistik entwickelt. Aber natürlich freue ich mich über die Abnahme bei den unbewilligten Demonstrationen. Ich habe immer gesagt, dass die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit gewährleistet sein muss, gleichzeitig aber die Spielregeln einzuhalten sind. Das heisst: Demos ja, aber nur mit Bewilligung und ohne Sachschäden oder Gewalt. Diese Haltung sollte mehrheitsfähig sein.