«Kosten gerechter verteilen und dämpfen»
Gesundheitsökonom Stefan Felder begründet im Bajour-Interview die hohen Prämien damit, dass Leistung kostet, das müssten die Menschen anerkennen. SP-Nationalrätin Sarah Wyss sieht das und andere Aussagen anders. Eine Replik.
Sarah Wyss (1988) ist Basler Nationalrätin der SP, Präsidentin der nationalrätlichen Finanzkommission und Mitglied in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit.
Das Interview mit meinem ehemaligen Professor Stefan Felder ist in vielerlei Hinsicht interessant und extrem lesenswert. Einige Aussagen lassen jedoch aufhorchen und verdienen eine genauere Betrachtung.
Beginnen wir mit der Aussage zur Prämien-Entlastungs-Initiative: «Wenn wir die Prämie umfassend verbilligen, spüren immer weniger Menschen, wie teuer die gesamte Veranstaltung ist.»
Als 1996 die Krankenversicherung obligatorisch eingeführt wurde, kam mit ihr die Einführung von Kopfprämien. Murrend haben wir diese als politischen Kompromiss akzeptiert. Die Zusicherung, dass die Belastung pro Haushalt nicht höher als 8 Prozent sein wird, wog uns in Sicherheit. Es war also nie das Ziel, dass die Menschen unter der Prämie so leiden, wie sie es aktuell tun. Inzwischen ist die Belastung vieler Haushalte viel höher wie die versprochene Grenze von 8 Prozent. Jedes Jahr steigen die Prämien, letztes Jahr durchschnittlich um 8,7 Prozent (mittlere Prämie, 2023). Die Gesundheitskosten selbst steigen jedoch weniger stark.
Die beiden Prämien-Initiativen über die die Schweizer Stimmbevölkerung am 9. Juni abstimmt, werfen generelle Fragen über das Gesundheitssystem und dessen Kosten auf. Ein paar Antworten hat Gesundheitsökonom Stefan Felder.
Während der Staat weiterhin 20 Milliarden der Kosten trägt, wird die Kostensteigerung mit 3,8 Prozent gegenüber 2021 (34,5 Milliarden) durch die Krankenversicherung, also Prämien und 19,7 Milliarden (was einer Steigerung von 3,9 Prozent gegenüber 2021 entspricht) durch Haushalte getragen. Erschreckend klein ist dementsprechend der Anteil (nur 36 Prozent der gesamten Kosten), welche durch den Staat – also auch nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit – finanziert wird.
«Da die Kantone sich aus der Verantwortung schleichen und die Prämienentlastungen bei Weitem nicht mit dem Prämienwachstum mithalten, ist es an der Zeit, dass der Bund eine Grenze setzt.»
So gibt beispielsweise in Basel-Stadt eine vierköpfige Familie mit einem Einkommen von 80’000 CHF 18 Prozent ihres Einkommens für Prämien aus. Und weitere Ausgaben durch Selbstzahlungen, Franchise und weitere Out-of-Pocket-Zahlungen kommen dazu.
Dieses Finanzierungsregime ist alles anderes als gerecht und es verwundert auch nicht, dass die Krankenkassenprämien zur Sorge N° 1 beim Familiensorgenbarometer geworden ist.
Da die Kantone sich aus der Verantwortung schleichen und die Prämienentlastungen bei Weitem nicht mit dem Prämienwachstum mithalten, ist es nun an der Zeit, dass der Bund eine Grenze setzt und die Deckelung der Prämienbelastung für Haushalte einführt. Und zwar bei 10 Prozent. Genau dies – nicht mehr und nicht weniger fordert unsere Initiative.
Und was die Anreize zur Kostensenkung betrifft: Bund und Kantone haben so hoffentlich endlich genug Druck, um wirksame Massnahmen zu ergreifen.
«Seit Einführung der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung hätte man jedes Jahr 20 Prozent sparen können, ohne dass die medizinische Versorgung schlechter geworden wäre.» Dies sagt nicht nur Stefan Felder, es ist auch diversen Berichten, unter anderem dem Expert*innenbericht aus dem Jahr 2017 zu entnehmen. Getan hat sich seither im Parlament wenig – da gebe ich Herrn Felder recht. Dass die Kostenbremse-Initiative «kaum Substanz» habe und keine Umsetzungsvorschläge mache – auch da gehe ich einig. Die Kostenbremse-Initiative erachte ich aber auch aus anderen Gründen als untauglich:
Erstens verbindet sie Wirtschaftswachstum und Lohnentwicklung mit der obligatorischen Krankenversicherung. Demographische Faktoren und medizinischer Fortschritt werden bei der Koppelung ausser Acht gelassen. Gesundheit oder auch Krankheit stehen nicht in einem positiven Zusammenhang mit der Wirtschaft – im Gegenteil. Häufig sind Menschen in einer Rezession kränker und benötigen mehr Leistung.
Doch genau dies verhindert der Verfassungsartikel. Er könnte die Leistungen aus dem Grundkatalog in den Zusatzversicherungsbereich verschieben – wovon gerade chronisch kranke Menschen, aber auch ältere Menschen ausgeschlossen sind – und viele Familien es schlicht nicht leisten können. Die Folge wäre eine Zweiklassenmedizin.
«Gesundheit oder auch Krankheit stehen nicht in einem positiven Zusammenhang mit der Wirtschaft – im Gegenteil.»
Wenn wir wirklich wirksam gegen unnötige Kosten im Gesundheitswesen (und ja, diese gibt es: Doppelspurigkeiten, Fehlversorgung, überteuerte Preise etc.) vorgehen wollen, dann stärken wir endlich die Gesundheit; bekämpfen die Fehlversorgung durch die Behebung der finanziellen Fehlanreize und fördern Generika. Lieber konkrete Massnahmen, statt potentiell gefährlich neue Verfassungsartikel. In diesem Sinne: Ab an die Urne, der 9. Juni ist bald da.