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Was jetzt?

«Basel müsste zur Kulturhauptstadt Europas werden»

Bei der Kultur will Esther Keller nicht sparen. Im Gegenteil, die GLP-Regierungskandidatin hat grosse Pläne. Woher sie das Geld dafür hernehmen will, weiss sie noch nicht, das muss sie erst noch schauen.

11/18/20, 01:13 PM

Aktualisiert 11/19/20, 02:08 PM

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Im ersten Wahlgang der Regierungswahlen landete Esther Keller auf Platz acht, hinter dem Bisherigen Baschi Dürr (FDP). Und beim Kampf ums Präsidium wurde die GLP-Frau Dritte. Ein gutes Resultat für eine Mittekandidatin. Fragt sich nur: Wie wird's im zweiten Wahlgang? Dort werden Mittekandidat*innen häufig zwischen den Blöcken zerrieben.

Dieses Mal könnte alles anderes werden, da nicht sicher ist, ob die Linke geschlossen für die neue Kandidatin Heidi Mück (BastA!) stimmt. Könnte, könnte – das sind Spekulationen. Hier reden wir aber über Inhalt. Bei Esther Keller gilt, was auch bei den anderen interviewten Kandidat*innen galt: Das gesprochene Wort. Die Grünliberale hat beim Gegenlesen fast nichts geändert (in erster Linie Tippfehler, danke dafür!).

Esther Keller

Zur Person

Esther Keller ist selbstständige Autorin, Moderatorin und Kommunikationsberaterin. Vorher war sie Mediensprecherin der Novartis, davor Telebasel-Moderatorin. Seit Mai 2019 sitzt sie für die GLP im Grossen Rat.

Esther Keller, Sie unterstützen die Trinkgeldinitiative. Sie fordert, dass 5 Prozent des Kulturbudgets in Alternativ- und Jugendkultur fliessen soll. Was ist für Sie Alternativkultur?

Für mich grenzt sich das ab von der sogenannten institutionellen Kultur. Also, alles, was beispielsweise nicht an den Theatern oder den Museen passiert, sondern in weniger institutionellem Rahmen. Und auch Kunst von Freischaffenden ist für mich Alternativkultur.

Hallo? Frau Keller?

Sorry, mein Internet ist ausgefallen.

Also das Stück «Big Sister», das im Moment gerade läuft, wäre für Sie nicht Alternativ- oder Jugendkultur?

Ich kenne das Stück leider nicht.

Das ist ein Stück vom Jungen Theater Basel, das bald anläuft. Das Junge Theater und das Theater Basel machen recht viel für den Nachwuchs. Auch die Musikakademie. Heisst das, Sie würden diesen Institutionen keine Unterstützung für ihr Engagement geben? 

Kürzlich haben mir Exponenten vom Theater Basel gesagt: «Beim Ballett sind die Künstler*innen ja alle unter 25 Jahre alt.» Das ist scherzhaft gemeint, zeigt aber: Die Umsetzung dieser Initiative birgt noch ein paar Herausforderungen. Und trotzdem finde ich sie richtig, weil sie ein Bekenntnis für Jugend- und Alternativkultur ist. Und wenn man den Trend der letzten Jahre anschaut, hat die Finanzierung der Jugend- und Alternativkultur im Verhältnis zur Hochkultur abgenommen.

Also würden Sie das Junge Theater, das Theater Basel oder die Musikakademie aus dem Alternativkultur-Topf unterstützen oder nicht?

Das ist ein Entscheid, den man mit dem Parlament treffen muss. Ich glaube, dass es wirklich eher um die nicht-institutionellen Geschichten geht. 

Wenn Sie eine Regierungsvorlage zur Trinkgeldinitiative ausarbeiten würden, bekämen das Junge Theater und die Musikakademie demnach keine Extragelder für ihre Jugendarbeit.

Im Moment wird über die potenzielle Umsetzung heiss diskutiert. So wie ich das interpretiere, bekäme die Musikakademie keine zusätzlichen Gelder. Das Junge Theater aber eher, da es sich explizit auf junge Menschen konzentriert. 

Die Kulturausgaben sind zwischen 2012 und 2019 um 18 Prozent gestiegen. Die GLP hätte letzten Dezember gerne die Gesamtausgaben gedeckelt. Wo würden Sie beim Kulturbudget anfangen? 

Also, es ist mir absolut bewusst, dass das Kulturbudget in Basel-Stadt im Vergleich zu anderen Städten nicht besonders hoch ist. Das ist ein Gerücht, das sich hartnäckig hält. Klar, wenn man die Kulturausgaben pro Kopf rechnet, ist das Budget hoch. Aber wenn man das ganze Einzugsgebiet anschaut, sieht man: Basel hat eine Zentrumsfunktion. Von dem her sind die Kulturausgaben nicht zu hoch.

Moment, wegen dieser Zentrumsfunktion haben ja die beiden Basel vor ein paar Monaten den neuen Kulturvertrag ausgearbeitet: Wie viel Geld kriegt Basel-Stadt neu von Baselland?

Die genaue Zahl weiss ich nicht. Aber ich weiss, dass insgesamt rund 150 Millionen Franken in die Kultur fliessen. Und ich bin dafür, dass Baselland noch mehr gibt. Vor allem, weil jetzt eine neue Studie zeigt, wie viele Baselbieter Zuschauer nach Basel kommen. 

«Man darf Kultur nicht nur am Publikumsaufmarsch messen, gerade nicht bei den Museen.»

Esther Keller zum Schlüssel für Kulturbeiträge

Ich schau’s nach: Ab 2022 zahlt das Baselbiet 9,6 Millionen Franken an Basel-Stadt. Zu wenig, sagen Sie?

Ja. Ich glaube, das muss man nochmal anschauen. 

Sie sprechen von der neuen Publikumsbefragung. Demnach haben das Theater Basel, das Symphonieorchester und die Kaserne am meisten Zuschauer*innen aus dem Baselbiet. Wieviel müsste das Baselbiet dafür zahlen?

Man kann den Wert nicht einfach nur auf Besucherzahlen umschlagen, aber ich denke, das ist schon ein Indikator. 

Müsste man vielleicht einen flexiblen Schlüssel machen, der die Beiträge jeweils den tatsächlichen Baselbieter Besucher*innenzahlen anpasst?

Ja, ich könnte mir eine solche Publikumsorientierung vorstellen. Das wäre für die Institutionen auch ein Anreiz, gut zu arbeiten. Aber man darf Kultur nicht nur am Publikumsaufmarsch messen, gerade nicht bei den Museen. Die Qualität einer Ausstellung misst sich auch beispielsweise am wissenschaftlichen Erkenntniswert oder an der interdisziplinären Vernetzung. 

Wie finden Sie die Rembrandt-Ausstellung im Kunstmuseum?

Ich war noch nicht dort. Die Kultur ist in den letzten Wochen des Regierungswahlkampfs flach gefallen. Auch, weil ich mit meinem Volleyballclub Sm'Aesch Pfeffingen unterwegs war, wir mussten alles neu organisieren wegen Corona.

Frau Keller? Das Internet ist wieder weg.

Ich bin wieder da. Warten Sie, ich gehe in ein anderes Zimmer. Vielleicht ist da der Empfang besser.

Das Kunstmuseum hat den grössten Budgetposten der Museen mit 22 Millionen Franken. Beim Historischen Museum beträgt das Budget 11 Millionen Franken, beim Naturhistorischen 10 Millionen Franken. Wäre es nicht gescheiter, wir würden einfach in einen einzigen Leuchtturm voll investieren, das wäre dann vermutlich das Kunstmuseum?

( Internet wieder weg...)

Die Breite des Kulturangebots in Basel ist sehr speziell. Also, dass wir zum Beispiel ein herausragendes Kunstmuseum und ein Historisches Museum haben. Und die Museen haben einen wissenschaftlichen Auftrag, die forschen auch. Das Naturhistorische Museum stellt unglaublich viele Objekte der Wissenschaft zur Verfügung, das schafft auch Wert. Da kann man auf keinen Fall einfach eine Institution wegsparen.

Aber was hat Basel davon? Prestige? Tourist*innen?

Noch viel zu wenig. Das müssen wir in den nächsten Jahren verstärken. Nehmen Sie das Ensemble am Steinenberg mit dem Theater Basel, mit der Kunsthalle, mit dem Stadtcasino. Das ist eine einzigartige Dichte an Kulturinstitutionen. Die müssen wir unbedingt besser vermarkten, grad jetzt, wo wir den Anziehungsfaktor Messe verlieren.

«Nach Coronazeiten braucht es eine Charmeoffensive.»

Esther Keller zum Standortmarketing

Wie genau würden Sie das Standortmarketing ausbauen?

Klar, das wäre eine Investition. Man müsste sich überlegen: Was sind mögliche Märkte, mit denen man zum Beispiel Städtetouristen über Zugverbindungen anlocken könnte? Wie könnten die Kulturinstitutionen in Basel zusammenarbeiten? Vielleicht mit Rundumsorglos-Packages, die einen Museumseintritt, ein Theaterticket und weitere Angebote enthalten.

Macht das Basel Tourismus noch nicht?

Also offensichtlich nicht so stark, weil mir wäre das nicht bekannt. Nach Coronazeiten braucht es eine Charmeoffensive.

Die haben doch auch Basel Tourismus und auch Baselland Tourismus schon gemacht – sie wollten damit mehr Schweizer*innen anlocken.

Genau, das hat sich vor allem auf die Schweiz konzentriert. Ich denke, das müsste man noch weiter nach Europa tragen. Basel müsste zur Kulturhauptstadt Europas werden.

Wo sehen Sie brachliegende Märkte? Wo hat Basel keine Werbung gemacht?

Also ich glaube, gerade in den Nachbarländern gibt es noch Potenzial. In Frankreich, Deutschland und Österreich.

«Das ist ja nichts Böses, da geht es nicht um ein Streichkonzert.»

Esther Keller über Effizienzsteigerung in der Verwaltung

Zurück zum Geld: Sie wollen nicht sparen bei den Museen. Das überrascht mich: Die GLP ist die Partei, die das Gesamtbudget des Staates deckeln wollte und die das Budget auch mehrmals zurückgewiesen hat. 

Das war vor meiner Zeit im Grossen Rat, oder?

Es gab mehrere Versuche. Bei einem waren Sie dabei, beim anderen nicht. Ihr Kollege David Wüest-Rudin war jeweils federführend.

Genau. David Wüest-Rudin kritisiert immer wieder, dass die Aufgaben der Verwaltung zunehmen. Das ist auch unverständlich. An gewissen Orten muss es möglich sein, Aufgaben einzusparen. 

Heisst das, Sie möchten auch sparen, einfach nicht bei der Kultur?

Ich teile die Haltung, dass man die Aufgaben immer wieder anschauen muss: Wo kann man etwas effizienter machen? Das ist ja nichts Böses, da geht es nicht um ein Streichkonzert. Aber grad im Rahmen der Digitalisierung gäbe es bestimmt Prozesse, die vereinfacht werden könnten.

Hätten Sie ein Beispiel?

Wir hatten es vorher von der Trinkgeldinitiative. Da ist ja auch immer die Frage: Nimmt man die neuen 5-Prozent für die Alternativkultur der Hochkultur weg oder erhöht man das Budget?

Und?

Ist es entweder ... oder? Warum konzentrieren wir nicht beispielsweise die Kommunikation der verschiedenen Museen und machen eine gemeinsame Kommunikationsabteilung?

Dann würde die Pressesprecherin des Kunstmuseums neu auch fürs Historische Museum kommunizieren?

Ja, gewisse Aufgaben könnte man dann beispielsweise gemeinsam organisieren. Den Newsletter, zum Beispiel.

Okay. Wir haben einen Newsletter bei Bajour, das Basel Briefing. Meine Erfahrung ist: Je mehr Inhalt man drin haben will, und je mehr Leser*innen man erreichen will, desto grösser ist der Aufwand.

Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel. Wenn jemand spezialisiert ist, dann fällt es dieser Person vielleicht einfacher, einen Event zu organisieren, als wenn sie das nur einmal pro Jahr für ein einzelnes Museum macht. 

Ach so. Arbeiten denn Museen nicht mit erfahrenen Eventplaner*innen?

Sie fragen mich jetzt Details. Ich versuche nur, anhand eines Beispiels zu erklären, wie man grosse Aufgaben vereinfachen kann. Ich fordere in einem Vorstoss, dass die Verwaltung bei der Digitalisierung aufrüsten muss.

«Das darf im 21. Jahrhundert doch nicht sein.»

Esther Keller zur fehlenden digitalen Infrastruktur der Verwaltung

Wo haben Sie in der Verwaltung Prozesse entdeckt, die noch nicht digitalisiert sind?

Während des Lockdowns im März war es offensichtlich: Die Verwaltung brauchte doch tatsächlich zwei bis drei Wochen, teilweise noch länger, bis die Leute überhaupt von zu Hause arbeiten konnten. 

Was war denn das Problem?

Die Leute hatten teilweise keine Computer zu Hause, keinen Zugriff auf die Arbeitssysteme. Das darf im 21. Jahrhundert doch nicht sein. Ich fordere im Vorstoss einen Profi, welcher die digitale Transformation in der Verwaltung managt – Stichwort Chief Digital Officer. So wie in Luzern oder St. Gallen.

Die Leute hatten auf ihren Computern keinen Zugriff auf die Arbeitssysteme: Hat die Verwaltung Angst vor Datenschutzverletzungen?

Die Programme zwischen den Departementen und Dienststellen sind teilweise nicht kompatibel. Also kann man die Daten zum Beispiel nicht austauschen.

Sie fordern moderate Frauenquoten in Führungspositionen. Was heisst moderat?

Moderat ist für mich 30 Prozent. Jetzt kann man sagen: Das ist nicht konsequent. Aber man kann auch sagen, es ist wenigstens ein Schritt in die richtige Richtung. Nehmen Sie die Frauenquoten bei Professuren an der Uni, dazu gab es auch einen Vorstoss, den hat die GLP abgelehnt.

Weshalb? 

In gewissen technischen Wissenschaftsbereichen ist die Zahl der Frauen, die das studieren, derart tief, dass eine 50-Prozent-Quote keinen Sinn macht. 

Warum dann keine gestaffelte Quote? Sie können ja mit 30 Prozent starten, dann in zehn Jahren rauf auf 50 Prozent. 

Der Vorstoss enthielt sogar eine Staffelung, aber eine zu ambitionierte. Man kann auch nicht alles arithmetisch definieren, am Schluss geht es immer noch um die geeignetste Person.

«Wir sollten lieber den Kita-Zustupf für die Familien, die es nötig haben, ganz gezielt erhöhen, dann wird es für Frauen attraktiver, zu arbeiten.»

Esther Keller über die Gratis-Kita-Initiative der SP

Laut Smartvote möchten Sie die Betreuung von Schulkindern in die Regelschule integrieren. 

Ja, da geht es für mich um Chancengleichheit. Ich verstehe Eltern, die ihr Kind möglichst viel zu Hause habe möchten. Aber ich glaube, dass Kinder in Tagesschulen gut sozialisiert werden. Und es entlastet die Eltern, insbesondere die Mütter und erhöht ihren Anreiz und ihre Möglichkeit, früher wieder arbeiten zu gehen.

Augen auf bei der Partnerwahl, sage ich hierzu.

Das sicher auch.

Ich scherze. Im SRF-Regionaljournal sprachen Sie sich gegen die SP-Initiative «Kinderbetreuung für alle» aus. Sie fordert, dass die Kitas für Kleinkinder, wie die Schule, Steuerfinanziert werden. Warum sind Sie für staatliche Tagesschulen, aber gegen Steuer-finanzierte Kitas?

Bei der Gratis-Kita-Initiative ist das Problem meiner Meinung nach, dass sie einfach alle Eltern gleichermassen unterstützt. Die Kitas fangen ja schon relativ früh an...

... sie nehmen Babys ab 3 Monaten auf.

Ja, das wollte ich grad sagen. Und für mich ist es eine soziale Ungleichheit, wenn jemand, der sehr viel verdient, gleich viel zahlen muss, wie eine Familie, die wenig verdient: nämlich nichts. Also da würde wieder eine Umverteilung stattfinden, die ich nicht fair finde.

Macht diese Argumentation Sinn? Arme Familien zahlen dank des Steuerfreibetrags keine Steuern, während gut Verdienende* dank der Progression und der Topverdienersteuer mehr zahlen. Heisst: Für arme Familien wären die Kitas gratis, für Reiche nicht.

Aber es ist natürlich eine Begünstigung für gut verdienende Leute. Wir sollten lieber den Kita-Zustupf für die Familien, die es nötig haben, ganz gezielt erhöhen, dann wird es für Frauen attraktiver, zu arbeiten.

Ich verstehe Ihre Argumentation ehrlich nicht: Steuern hängen vom Einkommen ab. 

Die Kitabeiträge sind ja auch einkommensabhängig. Und ich glaube, dass Leute mit hohem Einkommen heute mehr für Kitas bezahlen, als wenn wir es über die Steuern finanzieren. Aber das müsste man ausrechnen. 

«Fast die Hälfte der Menschen leben heute in Einzelhaushalten. Deshalb muss man neue Wohnformen entwickeln, etwa Clusterwohnungen.»

Esther Keller zu modernen Wohnformen

Was stimmen Sie beim Wohnraumfördergesetz?

Ich stimme Ja. Es ist ein austarierter Vorschlag aus dem Grossen Rat. Jetzt sollten wir ihn umsetzen und die Auswirkungen analysieren, statt alles mit einem Referendum zu blockieren, wie die Linken das tun. Die Ausgangslage hat sich seither auch nochmal total verändert mit Corona. 

Inwiefern?

Schätzungen sagen, dass wir in Zukunft 40% weniger Büroflächen brauchen wegen Homeoffice. Und die Zeit, die wir investieren, um dieses Gesetz zu bekämpfen und neu auszuarbeiten, sollten wir besser nutzen und überlegen: Wo können wir jetzt in dieser Konstellation mehr Wohnraum schaffen? Neuer Wohnraum hat ja auch Auswirkungen auf den Preis. 

Im Abstimmungsbüchlein steht: Nur Dreizimmerwohnungen, die weniger als 1277 Franken pro Monat kosten, sind vor Sanierungen (und Mietpreiserhöhungen) geschützt. So günstige Wohnungen findet man doch kaum mehr.

Wie meinen Sie das? 

Alle Wohnungen, die teurer sind, dürfen gemäss Gesetzesentwurf saniert werden. Ist das Schutz genug?

Das Gesetz enthält die Regel, dass die günstigere Hälfte der Basler Wohnungen geschützt sind. Das ist ein flexibler Wert und das dünkt mich sinnvoll. Aber wir sollten das Gesetz zuerst umsetzen und schauen, inwiefern sich der Wohnungsmarkt in den nächsten Jahren verändert. Die ganze Diskussion lenkt von einem anderen Wichtigen Thema ab: der Einsamkeit. Wir von der GLP...

Stopp. Bleiben wir noch bei den Wohnungen.

Warten Sie, Einsamkeit und Wohnraum haben einen Zusammenhang. Fast die Hälfte der Menschen leben heute in Einzelhaushalten. Deshalb muss man neue Wohnformen entwickeln, etwa Clusterwohnungen.

Grossinvestor*innen bauen am häufigsten 3-Zimmer-Wohnungen. Einzimmerwohnungen lohnen sich nicht. Lohnen sich solche Cluster-Projekte für Investor*innen?

Deshalb braucht es Pilotprojekte. Ich glaube, Investoren wären durchaus auch bereit dafür. Gerade auf Entwicklungsarealen wie im Klybeck. Wir brauchen auch Coworking-Spaces im Quartier. Das hätte positive Auswirkungen auf die Mobilität, die Leute müssten weniger pendeln. Auch bei den Zwischennutzungen kann man mehr herausholen.

Und wie würden Sie solche Projekte fördern?

Das macht die Stadt ja sowieso über die Genossenschaften, ich sehe genau diesen Weg. Auf dem Klybeckareal sind Leute aus der Stadtentwicklung, der Bevölkerung und den Investoren zusammengesessen. Genau für solche Dialoge ist das Präsidialdepartement da, für das ich kandidiere. 

«Wir von der GLP sagten: Es ist nicht richtig, das gegen den Volkswillen im Parlament durchzuzwängen, also enthielten wir uns.»

Esther Keller zur angeblich wankelmütigen GLP

Zur Gesundheit: Sollen die Leute Prämien von den Steuern abziehen können, wie es die CVP will?

Die Stimmbevölkerung hat diesen Vorschlag abgelehnt. Deshalb bin ich eher dafür, dass man die Prämienverbilligungen für Leute erhöht, die es nötig haben. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich mich bei dieser Abstimmung im Grossen Rat enthalten habe. Ich muss mir ja von Bürgerlichen anhören, ich würde mich zu häufig enthalten. Das ist grad ein Beispiel, das zeigt, warum.

Bei der Abstimmung gab die GLP aber die Ja-Parole heraus.

Genau. Aber die Bevölkerung sagte nein, nachher kam die CVP nochmals mit dem Vorschlag im Parlament. Deshalb sagten wir von der GLP: Es ist nicht richtig, das gegen den Volkswillen im Parlament durchzuzwängen, also enthielten wir uns.

Bei der Dividendensteuer wechselten Sie auch Ihre Meinung. Wollen Sie die Dividendensteuern nun senken oder nicht? 

Das ist im Moment kein Thema. Wenn es der Wirtschaft nach Corona wieder besser geht in ein paar Jahren, können wir uns noch einmal darüber unterhalten.

Und warum hat die GLP von einem Ja zu einem Nein gewechselt?

Die genaue Begründung müsste ich noch einmal schnell nachschauen. Es ging uns aber vor allem darum, dass man im aktuellen Corona-Jahr keine Steuern senken kann oder wenn, nur mittels eines Stufenmodells. Von 80 auf 60 Prozent, das ist zu viel. 

Bei Smartvote haben Sie sich für eine Steuersenkung ausgesprochen.

Ich glaube, wir haben heute eine hohe Dividendenbesteuerung. 

Aber die ganz Reichen profitieren schon von einer Plafonierung. Gut, mit der Topverdienersteuer für Einkommen über 200’000 Franken ändert sich das nun ein wenig.

Man kann es nicht wegdiskutieren: Es gibt einen Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen. Wir müssen schauen, dass wir attraktiv bleiben. Was mich bei der Topverdienersteuer störte, war die Polemik.

Polemik?

Es gibt in Basel viele Menschen, die viel Geld verdienen, sich aber mittels Stiftungen und Spenden für diese Stadt engagieren. Und die waren geschockt über den Ton während des Abstimmungskampfes. 

Auch wir werden unterstützt.

Haben Sie wegen des aggressiven Tons Nein gestimmt?

Der Ton war für mich wie eine Signalwirkung, diesen Menschen gegenüber. 

Aber grundsätzlich finden Sie es okay, dass die Steuern ab 200’000 Franken Einkommen angehoben werden?

Die Frage ist immer: Ab welchem Moment wird Basel im Vergleich zu anderen Kantonen unattraktiv?

Okay. Und was sagen Sie zu einem Mindestlohn?

Nein. Löhne muss man zwischen Sozialpartnern verhandeln. Gerade bei Berufseinsteigern oder Minijobs könnte der Mindestlohn unproduktiv sein.

Aber gerade bei der Digitalisierung sind so Minijobs auch ein Problem.

Absolut. Aber es gibt auch gute Seiten. Menschen, die Sozialhilfe beziehen, aber in solchen Minijobs ein Zusatzeinkommen finden. Die Problematik ist nicht schwarz-weiss.

Müsste man diese Minijobs so regulieren, dass die Sozialleistungen gewährleistet sind und die Löhne steigen? 

Ich kenne die Situation, ehrlich gesagt, zu wenig. Das Problem ist ja, dass das Gesetz immer rückwärts reguliert. Zuerst entsteht etwas Neues, dann erkennt man ein Problem, dann arbeitet man ein Gesetz aus. 

So wie bei Airbnb und Uber.

Genau. 

«Sie versuchen, bei den Kindern die Interessen zu wecken, damit die herausfinden, was sie wirklich machen wollen. So sollte es laufen.»

Esther Keller über Jugendförderung

Reden wir über Bildung. LDP-Regierungsrat Conradin Cramer hat die Gymnasialquote künstlich gesenkt. Die GLP hat dagegen gekämpft. Warum?

Die Menschen, die studieren wollen, sollen doch die Möglichkeit bekommen. Zumal wir nach wie vor ein Fachkräftemangel haben, beispielsweise in der Medizin.  Natürlich, man kann auch über eine Lehre nachher an die Fachhochschulen, aber wir sollten den Schülern die Wahl lassen.

Ich habe ein Interview geführt mit dem Chef der Berufsberatung Basel-Stadt. Der war vorher Berufsberater im Baselbiet und sagt: Die Eltern im Baselbiet halten ihre Kinder häufig vom Gymi ab, die Eltern in der Stadt halten ihre Kinder von der Lehre ab. Ist also die Wahlfreiheit für Kinder gegeben? 

Ich finde, die Kinder sollten autonom entscheiden, was sie interessiert. Ich wohne in meiner WG mit zwei Lehrerinnen zusammen, die machen einen top Job. Sie versuchen, bei den Kindern die Interessen zu wecken, damit die herausfinden, was sie wirklich machen wollen. So sollte es laufen: Über die Lehrpersonen, über die Berufsmesse, die wir bereits haben. Aber nicht über eine Quote.

Möchten Sie noch über etwas reden?

Ja. Ich wünsche mir wirklich, dass Basel-Stadt mutiger wird. Wir waren bei der Drogenpolitik oder beim Frauenstimmrecht eine Pionierstadt. Das wünsche ich mir wieder. Eins der aktuellen Beispiele ist für mich das Ausländerstimmrecht. Ich habe grosse Hoffnungen, dass Basel-Stadt mutig ist und Ja dazu sagt.

Sie sprechen vom Vorstoss der SP-Grossrätin Edibe Gölgeli. Sie fordert, dass Ausländer*innen, die 5 Jahre in Basel-Stadt angemeldet sind, abstimmen und wählen dürfen. Vor 10 Jahren hat Basel-Stadt ein ähnliches Begehren mit 70 Prozent abgelehnt.

Ja, aber jetzt haben wir eine andere Situation, das zeigt eine Bevölkerungsbefragung. Vor 10 Jahren waren 60% der Basler der Meinung, dass der Anteil ausländischer Staatsbürger zu hoch sei in Basel. Heute sehen das nur noch 40% der Leute so. Viele Leute in Basel schätzen die Diversität. Deshalb ist jetzt Zeit für einen neuen Anlauf.

Mitarbeit: Valerie Zeiser

* In der ersten Version stand hier: Vermögende statt gut Verdienende. Das war natürlich falsch. Herzlichen Dank an dieser Stelle an die aufmerksam lesende Community.

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