«Die Unsicherheit ist gross»
Am Montag ist Semesterstart an der Uni Basel. Nach den Besetzungen beschäftigt der Krieg in Gaza Studierende wie auch Dozierende. Dieses Semester wagt es kaum jemand, sich mit dem Nahostkonflikt auseinanderzusetzen.
Das Ende des letzten Semesters mit den drei Besetzungen und Kundgebungen steckt der Uni Basel noch in den Knochen. Und es stellt sich die Frage: Wie geht es weiter – nun, wo die Universität sich wieder mit Leben füllt?
Die Gruppe «Unibas4Palestine» ist weiterhin aktiv, sie lud Interessierte bereits am 1. September zur Generalversammlung ein. Aber auch die Uni Basel, die die Besetzer*innen im Sommer mit Verwarnungen sanktioniert hatte, hat sich Gedanken darüber gemacht, wie sie einen Dialog ermöglichen kann. Aber es zeigt sich: Gut Ding will Weile haben. Oder, anders gesagt: Das Vorhaben stand während der Sommermonate offenbar nicht ganz oben auf der Prioritätenliste.
Im Mai haben pro-palästinensische Aktivist*innen das Bernoullianum, die Kunstgewerbeschule und das Institut für Soziologie besetzt. Während die Besetzer*innen die Kunstgewerbeschule von selbst verliessen, wurden das Bernouillanum und das soziologische Institut mit einem grossen Aufgebot der Polizei geräumt. Es wurden (in einem Fall im Polizeikessel) Personenkontrollen durchgeführt. Diejenigen Personen, die der Uni angehören, wurden verwarnt, andere erhielten Hausverbot.
Die Schäden scheinen nicht nennenswert zu sein. Matthias Geering sagt: «In den besetzten Gebäuden gab es zwar Schäden und Verschmutzungen durch die Besetzungen. Diese hielten sich aber im Rahmen und konnten grösstenteils behoben werden.» Darüber, ob die Uni wieder mit Einlasskontrollen zu Semesterbeginn arbeitet, gibt Geering keine Auskunft. Dass Security für gewissen Gebäuden eingesetzt werden, kann er aber nicht ausschliessen.
Eigentlich wollte die Gruppe Dialog, die aus mehreren Dozent*innen der Uni unter der Leitung von Philosophieprofessor Markus Wild besteht, eine breit angelegte Diskussionsveranstaltung im Herbstsemester organisieren. Wild sagt zu Bajour: «Eine solche Veranstaltung hat aber sehr viel Vorbereitung und Koordination nötig, die wir für das Herbstsemester nicht leisten können. Darum planen wir für das kommende Jahr.»
Dies bestätigt auch Uni-Mediensprecher Matthias Geering, der sagt: «Für das Frühjahrssemester 2025 ist eine grosse, öffentliche Ringvorlesung in Planung, die sich dem Konflikt im Nahen Osten annimmt.»
«Der Austausch mit den Nahoststudien ist seit vielen Jahren etabliert.»Alfred Bodenheimer, Leiter Zentrum für Jüdische Studien
An dieser Ringvorlesung beteiligt sind neben den Nahoststudien auch die Jüdischen Studien. Deren Leiter Alfred Bodenheimer sagt: «Der Austausch mit den Nahoststudien ist seit vielen Jahren etabliert, Maurus Reinkowski als Fachbereichsleiter der Nahoststudien und ich haben in der Vergangenheit schon verschiedentlich gemeinsame Kurse durchgeführt, in denen wir uns auch vor kontroversen Fragestellungen nie gescheut haben.»
Und Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaft, ergänzt: «Für das nächste Frühjahrssemester werden mehrere Lehrformate ins Auge gefasst, die sich sowohl an eine breitere Öffentlichkeit wie auch an Studierende richten.»
Und dieses Herbstsemester? Sollte seitens der Uni keine Debatte möglich sein, ist das Risiko gross, dass die Aktivist*innen erneut mit Protesten auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Sie haben sich auf Nachfrage von Bajour nicht zu ihren Plänen geäussert. Geplant ist kommende Woche offenbar eine erneute Standkundgebung zum Thema «Unibas4Palestine: New Semester, Same Genocide» auf dem Petersplatz.
Die Entwicklungen im Gaza-Krieg geben keinen Grund zur Entspannung. Das ist auch der Uni klar und daher suche sie einen direkten Kontakt zu vereinzelten Aktivist*innen. Geering sagt, die Universität habe Personen aus dem Umfeld der Proteste kontaktiert: «Ich habe zwei Personen angeschrieben und ihnen angeboten, dass wir allfällige Anliegen diskutieren könnten. Eine Person hat sich gemeldet und wir werden uns treffen.»
«Für das nächste Frühjahrssemester werden mehrere Lehrformate ins Auge gefasst.»Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaft
Einige Fachbereiche planen eigene Angebote zum Thema. Goetschel sagt: «Zurzeit wird die Option diskutiert, im Laufe des beginnenden Herbstsemesters einen öffentlichen Anlass unter Einbezug verschiedener Fächer durchzuführen.»
Das Zentrum für Afrikastudien lädt gemeinsam mit den Basler Afrika Bibliographien und der Universität von Namibia zu einem Research Colloquium, das auch Gästen offensteht. Einige der Veranstaltungen setzen sich direkt oder indirekt mit der Situation in Israel, Palästina und Gaza aus afrikanischer Perspektive auseinander.
Auch in anderen Studienfächern gibt es Veranstaltungen, in denen aus den jeweiligen Perspektiven das Thema an einzelnen Sitzungen diskutiert wird, sagt Giorgio Miescher vom Zentrum für Afrikastudien. Eine Liste dieser Veranstaltungen sei in Vorbereitung.
«Israelkritische und palästinensische Perspektiven haben an der Universität zur Zeit einen schweren Stand.»Giorgio Miescher, Dozent am Zentrum für Afrikastudien
Wie Miescher, der seit Januar emeritiert ist, zu Bajour sagt, sei die Unsicherheit an der Uni derzeit gross, sich an das Thema Palästina zu wagen: «Obgleich es ein Bedürfnis seitens vieler Studierenden und Dozierenden gibt, über Israel und Palästina zu sprechen, herrscht ein Klima der Angst und Selbstzensur. Israelkritische und palästinensische Perspektiven haben an der Universität zur Zeit einen schweren Stand.»
Viele der Uni-Angestellten stünden unter Druck und machten sich Sorgen, ihre Position oder berufliche Perspektive aufs Spiel zu setzen und attackiert zu werden, sagt Miescher.
Er kritisiert, dass die Rückendeckung seitens der Uni-Leitung fehle, die aus seiner Sicht Politik mit Wissenschaft vermische. «Die Uni denkt politisch, sollte aber eine ergebnisoffene Wissenschaft fördern», sagt Miescher.
Aktuell werde aus seiner Sicht ein Bogen um das Thema Palästina gemacht. «Seitens der Universität besteht die Sorge, dass ihr beziehungsweise ihren Mitgliedern Antisemitismus vorgeworfen wird, was eine Debatte zum Nahost-Konflikt schwierig macht.» Denn wenn man an der Universität nicht mehr offen über Israel und Palästina debattieren könne, sei der wissenschaftliche Diskurs nicht gegeben, so Miescher.