Superblocks first, Bedenken second
Im Matthäus und im St. Johann werden bald Superblocks getestet. Die Regierung hat nun die Quartiere gebrieft, was sie sich unter dem verheissungsvollen Konzept vorstellen dürfen.
«Begegnungszone» klang noch nie sonderlich sexy, eher nach Bürokratie und sogar ein bisschen nach Esoterik. Kein Wunder, begeistert sich die Bevölkerung erst dafür, seit es den Begriff Superblock gibt. Das Wort beflügelt, lässt Quartierbewohner*innen von Familienfesten auf der Strasse träumen. Was das Wort bedeutet? Nicht ganz klar, aber es lässt an Barcelona denken, wo die Reclaim-the-streets-Revolution ihren Anfang nahm. Un poco «Baselona» wäre doch ganz schön.
Aus den Graswurzeln Basler Quartiere erwuchs daher auch die Hoffnung, die eigene Nachbarschaft noch superer zu machen. Zum Beispiel im St. Johann fordert man seit geraumer Zeit Superblocks, also blockweite Verkehrsberuhigung, Parkplatz-Tilgung, Begrünung und Aufwertung des Strassenraums nach Bedürfnissen der Bevölkerung. 1400 Unterschriften sammelte man im Quartier für eine Petition. Und Anfang Jahr bestätigte die Regierung: Dort und im Matthäus will man tatsächlich in einem Pilotprojekt Superblocks einführen.
Wie das Quartier genau aussehen wird, löste die Stadtentwicklungs-Behörde bei einer Infoveranstaltung im Quartierzentrum LoLa auf. Der Raum war gut gefüllt, ausgebucht gar: Ältere Pärchen, langhaarige Ökos, ein Mann mit Cycling Cap, eine Mutter mit Kind. Anders gesagt: Ein Querschnitt der Bevölkerung im St. Johann, allerdings nur des Teils, der eh schon positiv auf Superblocks zu sprechen ist. Gross überzeugen musste man hier niemanden mehr – auf einem T-Shirt war der Spruch «Ich hab Bock auf Superblock» zu lesen.
«Wir wollen möglichst erfolgreich sein mit dem Pilotprojekt. Deshalb starten wir nicht da, wo die Rahmenbedingungen eh schon schwierig sind.»Lukas Ott, Stadtentwickler
Ein älterer Herr sagte später in kleinerer Runde, er geniesse die «Kindermusik» in seinem Hinterhof und er wünsche sich, dass auch auf der Strassenseite dieser «positive Lärm» laut wird. Dass daran nicht alle Anwohner*innen ihre Freude haben würden, war kein Thema. Hier tauschte man sich eher über die Sorge aus, dass die «Autolobby» sich gegen die Superblocks stellen könnte. Das Team vom SRF musste hektisch durch den Raum wuseln, um zumindest noch eine kritische Stimme zu finden.
Kritik gab es dann mehr beim Punkt, warum der Kanton jetzt nicht noch mutiger agiere: Der Perimeter des Superblocks im St. Johann wurde von einer Besucherin als «dürftig» bezeichnet. Auch bei den Verantwortlichen der Petition «Basel St. Johann – begrünt, klimafreundlich, lebenswert», die den Stein erst ins Rollen brachte, war die Hoffnung zu spüren, dass man im Quartier noch mehr Strassen hätte einbeziehen können. Im Matthäus hingegen ähnelt der Perimeter aus der Vogelperspektive zumindest einem Block, der vom Schulhaus Bläsi bis zum Matthäuskirchplatz reicht und seine Arme in die Strassen der Wohnquartiere steckt.
Das Vorbild der Superblock-Idee, die spanische Stadt Barcelona, fasst in einem Superblock jeweils neun Wohnblocks zusammen, deren Strassen verkehrsberuhigt und von der Quartierbevölkerung als Begegnungszonen genutzt werden. In diesem Sinne ist zumindest das Pilotprojekt im St. Johann mit zwei getrennten Bereichen, die je drei bis vier Wohnblocks zusammenfassen, höchstens als «Miniblock» zu verstehen.
Im Sinne eines Pilotprojekts sind die zwei unterschiedlichen Perimeter im Matthäus und im St. Johann sowie deren Evaluation durchaus spannend für das weitere Vorgehen: Aus beiden könnte man unterschiedliche Erkenntnisse für weitere Superblocks ziehen. Aber es sind auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die es nicht erlauben, überhaupt noch weitere Strassen miteinzubeziehen: Für die Pilotprojekte wurden bestehende Begegnungszonen ohne Bus- und Tramstationen und mit Tempo 20 ausgewählt (deshalb erhielt auch eine ähnliche Gruppe im Wettstein doch nicht den Zuschlag).
Das Wettstein-Quartier wurde beim Superblock-Test nicht berücksichtigt. Und das, obwohl der Verein mit seiner «Charta für ein zukunftsfähiges Wettstein-Quartier» in der Mitteilung des Regierungsrats als Impulsgeber für die Testphase der Superblocks genannt wurde. An der Generalversammlung hat der Verein seinem Zorn Gestalt verliehen und einen Plan gefasst, um sich gegen den Entscheid der Regierung zu wehren.
Man macht es sich also einfach, man pflückt die tiefhängenden Kirschen: die Strassen, die eh schon quasi Superblocks sind. Stadtentwickler Lukas Ott erklärt: «Wir wollen möglichst erfolgreich sein mit dem Pilotprojekt. Deshalb starten wir nicht da, wo die Rahmenbedingungen eh schon schwierig sind. Wir wollen eine positive Fehlerkultur und kritisch-konstruktiv mit den Tests vorangehen.» Umsetzungsorientiert nennt er das. Superblocks first, Bedenken second.
Man könnte aber auch hinzufügen: Der kurzfristige Testzeitraum – schon im Herbst beginnt die einjährige Pilotphase, die danach verlängert werden könnte – und das kleine Budget (490.000 Franken) erlauben es gar nicht, mehr aus den Tests rauszuholen. Bauliche Massnahmen wie Entsiegelungen und Baumpflanzungen sind nicht möglich.
Es stellt sich also durchaus die Frage, was denn überhaupt anders sein wird in den Superblocks, wenn die entsprechenden Strassen bereits heute schon Begegnungszonen sind – samt Verkehrsberuhigung und mit auf der Strasse spielenden Kindern.
Nun, davon abgesehen, dass der Kanton im Austausch mit der jeweiligen Quartierbevölkerung noch bedürfnisgerechte Ausstattung für «Sport, Bewegung, Begegnung, Spiel» zur Verfügung stellen wird, stehen auch Änderungen im Verkehrsregime an: Der Durchfahrtsverkehr wird verboten – Kehrichtmaschinen und Blaulicht sind davon ausgenommen. Zudem werden alle öffentlichen Parkplätze, insgesamt rund 140 in beiden Quartieren, aufgehoben – dafür wird es mehr Velo-Parkflächen geben; «Güterumschlagsmöglichkeiten» bestehen für Zulieferdienste weiterhin.
Und jetzt noch die Kritiker*innen überzeugen
Parkplatz-Aufhebungen sind für manche jedoch ähnlich emotional wie Baumfällungen für die Anwesenden der Infoveranstaltung sein dürften. Ob die Superblocks also wirklich nur Fans haben werden, gilt es also zu bezweifeln. Dessen ist sich auch die Projektleiterin Catherine Heinzer bewusst, die sagt, dass die Kritiker*innen im Quartier ebenfalls zur Veranstaltung eingeladen waren. Sie hofft, dass man im Frühsommer bei Dialogveranstaltungen nochmal ins Gespräch kommt. Schliesslich will man verzögernde Einsprachen zu den Parkplatzaufhebungen möglichst verhindern.
Die Kritik am dürftigen Konzept aus dem Plenum griff ganz zum Schluss Stadtentwickler Lukas Ott nochmal auf. Er holte weit aus: «Mein chinesisches Tierkreiszeichen ist das Ross – entsprechend bin ich stürmisch und würde selbst gern einfach vorwärts machen mit den Superblocks. Aber als ehemaliger Esel-Besitzer habe ich gelernt, dass es wichtig ist, Geduld zu haben und mit Bedacht zu agieren.»
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