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Bundesgerichtlich verbrieft:

Stawa setzte bei Klimademonstrant*innen auf «Abschreckungseffekt»

Die Staatsanwaltschaft erstellt immer wieder DNA-Profile von Demonstrant*innen. Damit wolle sie Demo-Teilnehmer*innen einschüchtern, kritisieren diese. Dieser Verdacht sei nicht von der Hand zu weisen, schreibt das Bundesgericht im jüngsten Urteil.

06/10/21, 03:47 PM

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Szenen von der Festnahme von Klimaaktivist*innen rund um die Bankenblockade der UBS am 8. Juli 2019 durch die Basler Polizei.

Szenen von der Festnahme von Klimaaktivist*innen rund um die Bankenblockade der UBS am 8. Juli 2019 durch die Basler Polizei. (Foto: Keystone/SDA)

Schon wieder hat das Bundesgericht in Sachen DNA-Profilerstellung gegen die Basler Staatsanwaltschaft (Stawa) entschieden. Wieder lautete das Urteil, die Stawa Basel-Stadt habe beim Sammeln sensibler Daten das Augenmass verloren. Beim letzten Urteil vom April 2021 ging es um einen Tierquäler, der vor Bundesgericht erfolgreich gegen ein DNA-Profil klagte. 

Und diese Woche erhielten auch Klimademonstrant*innen recht, die im Juli 2019 eine UBS-Filiale am Aeschenplatz blockierten. Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt muss ihre DNA-Profile, sowie die Fingerabdrücke aus der Datenbank löschen. «Die von der Staatsanwaltschaft ergriffenen Massnahmen erweisen sich angesichts der gesamten Umständen als unverhältnismässig», schreibt das Bundesgericht. 

Brisant ist insbesondere Punkt 4.4.2 des Bundesgerichtsurteils. Die Klimaaktivist*innen hatten der Stawa vorgeworfen, sie wollte mit unverhältnismässigen erkennungsdienstlichen Massnahmen Demonstrant*innen einschüchtern. Das Bundesgericht schreibt dazu:

«Die Befürchtung des Beschwerdeführers [eines Anwalts der beschuldigten Klimaaktivisten], die Anordnung dieser Zwangsmassnahmen bzw. das damit einhergehende Gefühl der ‹Fichierung› könne zu einem Abschreckungseffekt führen, ist grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen (sog. ‹chilling effect›).»

Bajour hat die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt um eine Reaktion auf diese Aussage gebeten. Stawa-Sprecher René Gsell sagt, die Stawa verzichte darauf, einzelne Erwägungen aus Urteilen zu kommentieren.

Das ist schade, denn das Urteil ist dicke Post an die Adresse einer Strafverfolgungsbehörde.

Die Klimaprozesse von Basel – das ist passiert:

Die Klimaprozesse von Basel – das ist passiert:

Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt hat nach einer Banken-Blockade im Juli 2019 einen Teil der Aktivist*innen abgeführt und erkennungsdienstlich erfasst. Sie wurden fotografiert, Fingerabdrücke sowie ein Wangenschleimhautabstrich wurden entnommen. DNA-Profile wurden erstellt. 

Die Staatsanwaltschaft darf das nach Artikel 255 der Strafprozessordnung tun. Die DNA-Analysen dienen zur Aufklärung früherer Verbrechen oder Vergehen, oder zur Prävention weiterer Straftaten. Mit einer DNA-Analyse kann unter Umständen verhindert werden, dass eine falsche Person verdächtigt wird, eine Straftat begangen zu haben.

Die DNA-Profilerstellung ist ein mächtiges Instrument in der Hand der Strafverfolgungsbehörde. Es unterliegt darum Einschränkungen und strengen Prinzipien der Verhältnismässigkeit. Diese werden von der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt wiederholt nicht eingehalten, wie mehrere Urteile des Appellationsgerichts und des Bundesgerichts festhalten.

Das Urteil ist deshalb dicke Post, weil dieser «chilling effect» exakt der Vorwurf ist, den Aktivist*innen und Anwält*innen seit Jahren an die Stawa Basel-Stadt richten: Ihr gehe es nicht nur um faire rechtsstaatliche Sanktion. Sie wollte der linken Demo-Szene einfach den Stecker ziehen. 

Das Paradebeispiel ist der mit grossem Aufwand geführte Monster-Prozess gegen Teilnehmer*innen der Anti-Pnos Demonstration, #BaselNazifrei. Die Stawa brachte über 50 Angeklagte vor Gericht. Darunter solche, denen im Prozess am Strafgericht gar keine eigenhändige Gewalt nachgewiesen werden konnte. Oder die vor Gericht erfolgreich bestritten, überhaupt an dieser Demonstration teilgenommen zu haben. 

Es ist keine Überraschung, dass Aktivist*innen und ihre Anwält*innen die Objektivität der Staatsanwaltschaft angreifen. Sie sind Partei und wollen vor Gericht den Standpunkt der Gegenseite, der Stawa, schwächen. 

Aber das Bundesgericht ist keine Partei in einem Basler Schützengraben. Das ist das höchste Gericht der Schweiz. Dieses Urteil ist wegweisend.

Strafverteidiger: Die DNA-Routine der Stawa ist stossend

Im Zusammenhang der zahlreichen Prozesse gegen Demonstrant*innen haben sich in Basel eingefleischte Stawa-kritische Kreise gebildet, zu denen auch der Basler Demo-Anwalt Andreas Noll gehört. Er kritisiert die DNA-Praxis seit Jahren mit Vehemenz. Aber auch wenn man über den Tellerrand dieses Lagers blickt, bleibt die Einschätzung von Jurist*innen dieselbe: Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt entnimmt selbst bei harmlosen Delikten, ob im Kontext einer Demo oder nicht, routinemässig DNA.

Das sagt zum Beispiel der Rechtsanwalt Gabriel Giess von der Advokatur Landi Ruckstuhl Giess Tzikas. Giess ist Verteidiger in Strafsachen, er vertritt aktuell keine Demonstrant*innen und sagt, er sei dahingehend unverdächtig, parteiisch zu urteilen. Seine Erfahrung als Verteidiger zeige aber, dass es bei Erst-Einvernahmen beinahe immer zur erkennungsdienstlichen Erfassung und Wangenschleimabstrichen für DNA-Entnahmen kommt.

Kurze Nachfrage: Wie läuft so eine erkennungsdienstliche Massnahme eigentlich ganz genau ab?

Giess erklärt: Manchmal wird die Massnahme direkt nach einer Verhaftung angeordnet. «Das kann ja auch Sinn machen, wenn etwas schnell gehen muss zum Beispiel, oder wenn eine Verdunkelungsgefahr besteht». Das bedeutet, dass eine verdächtige Person nach der Freilassung untertaucht oder ins Ausland verschwindet. 

Nachfragen kostet.

Oft werden aber Personen zu einem späteren Zeitpunkt zur Einvernahme aufgeboten. Dann werden sie befragt, vielleicht werden sie nur fotografiert, vielleicht werden noch Fingerabdrücke genommen. «Und dann sagt die Behörde, in der Regel die Kriminalpolizei, jetzt machen wir noch einen Wangenschleimhautabstrich.»

In dieser Situation hat man als Befragte*r das Recht zu sagen, dass man das nicht will. Die Staatsanwaltschaft, die die Massnahme anordnet, müsste begründen, warum das gemacht werden soll, zu welchem Zweck. Giess hat aber oft erlebt, erzählt er, dass die Behörde ohne nachvollziehbare Erklärung auf den Abstrich drängt. 

«Das sieht aus Sicht der Befragten dann so aus, als müsse man das mitmachen, als hätte man gar keine Wahl. Dabei hat man das Recht Beschwerde einzulegen», sagt Giess. Wer ohne Anwält*in zur Vorladung erscheine und seine Rechte nicht genau kenne, der oder die mache das in den meisten Fällen einfach mit, sagt Giess, nach dem Motto: «Ich habe ja nichts Schlimmes getan, was soll dabei schon passieren.»

Wer sich dagegen weigert einen DNA-Abstrich machen zu lassen, müsste eine Verfügung erhalten. Mit dieser Verfügung kann die*der Angeschuldigte innert 10 Tage am Appellationsgericht Beschwerde erheben. Das Appellationsgericht entscheidet in der Hälfte der Fälle, dass die angeordnete Massnahme unnötig ist. Das hat die bz im Sommer 2020 recherchiert. Die Urteile des Appellationsgerichts sind öffentlich einsehbar. 

Stawa: Entscheidung von Fall zu Fall

Doch offenbar zeigen die Urteile des Appellationsgerichts keine grosse Wirkung, sagt zumindest Giess. Er nehme mit Befremden zur Kenntnis, dass «die Staatsanwaltschaft die Entscheide des Appellationsgericht offenbar einfach ignoriert und weiterhin beinahe standardmässig DNA entnimmt und die erkennundsdienstliche Erfassung ungenügend begründet». Sie scheine sich zu sagen: «Wir versuchen es einfach mal und wenn sich jemand wehrt und vor Gericht gewinnen sollte, dann löschen wir die Proben eben wieder.» 

Aus Sicht der Stawa mache das Sinn. Giess schätzt, dass Beschuldigte die DNA-Probe in 95 Prozent der Fälle nicht anfechten, denn: «Die Leute sind verunsichert. Sollten sie vor dem Appellationsgericht verlieren, kostet das Geld. Das ist immer auch ein finanzielles Risiko.»

«Im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung bei Verbrechen und Vergehen ist die Entnahme eines Wangenschleimhautabstrichs ein Standardprozedere.»

René Gsell, Sprecher der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt

René Gsell, der Sprecher der Staatsanwaltschaft, sagt auf Anfrage: «Im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung bei Verbrechen und Vergehen ist die Entnahme eines Wangenschleimhautabstrichs ein Standardprozedere.» Die DNA-Entnahme sei aber nicht zu verwechseln mit der DNA-Auswertung, das eine führe nicht automatisch zum anderen. «Eine DNA-Auswertung wird in jedem Fall separat geprüft und dann gegebenenfalls von einem Staatsanwalt oder einer Staatsanwältin angeordnet.» 

Die Staatsanwaltschaft stellt sich also auf den Standpunkt, sie beurteile von Fall zu Fall, ob eine DNA-Profilerstellung nötig sei. 

Auf dem Merkblatt, dass Personen bei ihrer Anhörung von der Kriminalpolizei vorgelegt wird, steht aber: «Wenn die Abnahme eines Wangenschleimhautabstrichs angeordnet wurde, verfügt die Staatsanwaltschaft in der Regel die Erstellung eines DNA-Profils.» Der Titel des Dokuments lautet: «Merkblatt Erkennungsdienstliche Erfassung und nicht-invasive Probenahme für die spätere Erstellung eines DNA-Profils». Bajour liegt so ein Merkblatt vor. 

Bajour hat die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt gefragt, was das Bundesgerichtsurteil im Fall der Klimaaktivist*innen für die künftige Praxis der DNA-Profilerstellung durch die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt bedeute. In der Antwort bleibt Stawa-Sprecher Peter Gill vage: «Die Stawa analysiert die Rechtsprechung laufend und passt gegebenenfalls ihre Praxis an.»

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