Von der Konzernverantwortung zur KMU-Verwirrung

Wie wurde Kleingewerbler*innen Angst vor einer Initiative gemacht, die nur für Syngenta & Co. gedacht ist? Die Konzerne schaffen das mit einem Chor aus Übertreibungen und Negativ-Szenarien.

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So manche Wähler*in hat bei der Konzernverantwortungsinitiative noch Fragezeichen. (Bild: Unsplash / Illustration: Bajour)

Seit drei Monaten lebe ich in der Schweiz und genauso lange sehe ich in Basel Transparente in leuchtendem Orange an Balkonen und Fahrradkörben flattern. Ein Wort mit 31 Buchstaben steht darauf: Konzernverantwortungsinitiative. Die Botschaft war selbst für mich als Outsiderin direkt klar: Konzerne sollen geradestehen für ihr Handeln.

Genauer gesagt verlangt die Konzernverantwortungsinitiative (KVI), dass sich Schweizer Unternehmen, die im Ausland aktiv sind und Geld verdienen, an international geltende Menschen- und Umweltrechte halten müssen – und künftig in der Schweiz haftbar sind, wenn sie das nicht tun. Dazu sollen die Unternehmen eine Sorgfaltsprüfung vornehmen, um sicherzustellen, dass alle Gesetze im Ausland eingehalten werden.

Was heisst das genau?

Es geht um grosse Konzerne, die im Ausland unter anderem für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Als Negativ-Paradebeispiel hält das Rohstoffunternehmen Glencore für die KVI her. Vorgeworfen werden Umweltverschmutzung und Gefährdung von Menschenleben bei fehlender Haftung.

Auch der Basler Pestizid-Produzent Syngenta steht auf der roten Liste der Initiant*innen. Der Syngenta-Chef Roman Mazzotta steht wiederum auf der Unterstützerliste des KVI-feindlichen Wirtschaftskomitees. Zu sprechen ist der Konzernchef allerdings nicht. Auf Interview-Anfragen geht Syngenta nicht ein, antwortet stattdessen mit seitenweise Stellungnahmen und Rechtfertigungen und versteckt sich hinter den Argumentationsfloskeln der KVI-Gegner*innen.

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Warum erhitzt ein Vorhaben für einen offenbar guten Zweck so sehr die Gemüter?, frage ich mich als naiver Neuankömmling. Zeit für einen Blick in die Initiative
, an dem sich der Streit entzündet.

Streit um eine Definition

Im erklärenden Initiativtext steht ganz am Anfang, wer mit der Initiative überhaupt gemeint ist: «grosse Unternehmen (...) auch Stiftungen oder Vereine». Bei den Gegner*innen, etwa dem Wirtschaftskomitee, sorgt bereits diese Definition für Bauchschmerzen. Es gehe eben nicht nur um Konzerne, sondern alle möglichen Unternehmen. Sie nennen die Initiative deshalb durchgängig «Unternehmens-Verantwortungs-Initiative».

David Weber, Sprecher des Gewerbeverbands Basel, sagt: «Die Initiative betrifft alle Unternehmen mit Sitz in der Schweiz.» Aus Sicht des Verbands, ein Unterstützer des Wirtschaftskomitees, trifft es also auch die kleinen und mittleren Unternehmen: «Mit der Initiative stimmen wir klar auch über eine Haftung für alle KMU ab. Ausnahmen für KMU sind hier laut dem Initiativtext nicht vorgesehen.»

Der Gewerbeverband gilt als Fürsprecher der KMU schlechthin. Würde ich ihm als Betrieb angehören – ich glaubte den Aussagen vermutlich.

Gegenseite pocht auf Risiken

Dabei heisst es im «Initiativtext mit Erklärungen»*: «Kleine und mittlere Unternehmen sind von der Initiative ausgenommen (sowohl bzgl. Sorgfaltsprüfung, als auch der darauf aufbauenden Haftung).» Richtig ist, dass der Aspekt zu KMUs nicht im zur Abstimmung vorgelegten Gesetzestext steht. Der erklärenden, ausführlicheren Version wird deshalb kein Glauben geschenkt.

Übrigens sind mehr als 99 Prozent aller Unternehmen in der Schweiz KMU. Neue Regeln sowie die Haftung würden also – vertraut man dem erklärenden Initiativtext – nur einen kleinen Prozentanteil der Unternehmer berühren und nicht alle, wie die Gegner*innen behaupten. 

Wahr ist, dass es eine Ausnahme gibt: Bestimmte KMU sollen von der Initiative betroffen sein, wenn sie «Hochrisikotätigkeiten» ausführen – denn dort, etwa beim Abbau oder Handel mit Kupfer, passieren gemäss Initiative zahlreiche Verstösse gegen Umwelt- und Menschenrechte. KVI-Geschäftsleiterin Rahel Ruch erklärt es mir so: «Konkret gehört beispielsweise ein Unternehmen, das mit Diamanten aus Angola handelt, dazu.» Nicht betroffen seien hingegen Schweizer Goldschmied*innen, die nicht mit Edelmetallen handelten, sondern in der Endverarbeitung tätig seien.

Solch eine Differenzierung findet man in den Argumenten der Gegenseite nicht. Bei Economiesuisse, dem 100’000 Mitglieder starken und damit sehr einflussreichen Wirtschaftsdachverband, wird von einem «Domino-Effekt» entlang der Lieferkette gesprochen, der auch die KMU «frontal» treffe. Gross ist die Sorge, dass sich Unternehmen «zukünftig gerichtsfest absichern» müssten und deshalb Haftungsrisiken auch an den kleinsten Zulieferer weitergeben würden.

Was stimmt?

Manuel Roth, Geschäftsführer der Basler Schubarth AG, ist verunsichert. Sein Handelsunternehmen für Metalle hat 25 Mitarbeiter*innen, von einem Konzern ist es weit entfernt. Aber Roth kauft Werkstoffe in Fernost ein und fällt damit potenziell in den Hochrisikobereich.

«Die Lieferketten nachzuverfolgen wäre für uns als KMU extrem schwierig.» Ein Tochterunternehmen, das beispielsweise selbst Kupfer abbaut, hat die Schubarth AG nach eigenen Angaben nicht. Die Geschäftspartner in Fernost sind nur Zulieferer, damit ist die Firma von der KVI nicht betroffen. «Gehaftet wird nur im Konzern, nicht für Zulieferer», so steht es zumindest im erklärenden Initiativtext.

Zu dem gleichen Schluss ist Roth auch gekommen, trotzdem empfindet er es als herausfordernd, sich eine eigene Meinung zur Initiative zu bilden: «Man fragt sich immer: Was stimmt jetzt? Wo bekomme ich Gewissheit her? Wenn Argument gegen Gegenargument steht, macht es das schwierig zu bewerten.»

Sagst du Ja zu Bajour?
Na sichi.

Für ihn gebe es im Initiativtext «noch viel Interpretationsspielraum, inwieweit KMUs betroffen sind und ob Zulieferer auch kontrolliert werden müssen». Im Vorfeld wisse man zudem nicht, sagt er, wie es am Ende im Gesetz stehen wird. «Auf der anderen Seite kann es auch nicht sein, dass ganze Dörfer vergiftet werden», findet Roth.

KMU-Geschäftsleiter Andreas Appenzeller von der ADEV Energiegenossenschaft steht hinter der Initiative. Seine Unterstützung zeigt er öffentlich auf der Seite des KVI-nahen Wirtschaftskomitees für verantwortungsvolle Unternehmen. Seine Firmengruppe werde allerdings kaum von der KVI betroffen sein, teilt er mit. Falls sein Unternehmen mit Sitz in Liestal doch die aus seiner Sicht niedrigen Anforderungen der Initiative erfüllen müsse, sei er bereit dazu: «Es geht nicht an, wenn wir Unternehmen Schweizer Geld verdienen dürfen unter Missachtung der internationalen Umwelt- und Menschenrechte.»

Die einen sagen so, die anderen so

Die Gegenseite behauptet, durch die KVI müssten Unternehmen «sämtliche Zulieferer und Vertriebspartner» überwachen. Ansonsten müssten sie «automatisch» für Drittfirmen haften. Rahel Ruch von der KVI sagt, dass für Zulieferer gehaftet werden müsse, sei nicht wahr: «Die Haftung gilt nur für kontrollierte Unternehmen.» Darunter fielen Tochtergesellschaften, aber auch Unternehmen, bei denen eine Schweizer Firma beispielsweise eine Minderheitsbeteiligung sowie einen Alleinabnahmevertrag hat und damit der Firma faktisch vorschreiben könne, wie vor Ort gearbeitet werden soll.

KVI-Gegner*innen behaupten zudem, dass eine mögliche Haftung und die nachzuweisende Sorgfaltsprüfung einer Beweislastumkehr gleiche. Die Firmen stünden unter Generalverdacht, die Unschuldsvermutung sei ausgehebelt. Ruch sagt dazu: «Die Sorgfaltsprüfung muss angemessen sein. Das heisst es geht nicht um eine Kontrollpflicht, sondern um eine Handlungspflicht dort, wo grosse Risiken für Menschenrechte oder Umwelt bestehen.»

Auch der bürokratische Aufwand der Sorgfaltsprüfung wird immer wieder als Kontra zur Initiative vorgebracht. Allerdings unterstützen die Widersacher den indirekten Gegenvorschlag des Parlaments. Dieser sieht keine Haftung mehr vor, finanzielle Konsequenzen sind damit ausgeschlossen. Eine Sorgfaltsprüfung verlangt aber auch der Gegenvorschlag – mehr Bürokratie gäbe es also mit oder ohne KVI (ausser der Gegenvorschlag wird per Referendum ebenfalls verworfen).

Unsicherheit säen, Nein-Stimmen ernten?

Egal, wie lange ich mich mit der Konzernverantwortungsinitiative beschäftige: Am Ende stehe ich zwischen zwei Mauern aus Argumenten. Und ich muss entscheiden, welche ich plausibler finde. 

Isabelle Stadelmann-Steffen kann meine Zerrissenheit nachvollziehen, sie forscht zu direkter Demokratie an der Universität Bern. «Die Vorlagen sind oft sehr komplex, häufig ist ungewiss, welches die konkreten Folgen sein werden.» 

Potenzielle Falschbehauptungen in Abstimmungsdiskussionen sieht Stadelmann-Steffen nicht als ein besonders grosses Problem in der Schweiz. «Mehr Einfluss hat dagegen, dass einzelne Aspekte einer Initiative betont oder umgedeutet werden, auch wenn sie möglicherweise gar nicht im Kern der Initiative stehen», sagt Stadelmann-Steffen.

Negativ-Argumente schlagen ein

Zudem hätten es - je nach Vorlage - beide Seiten leicht, mit negativen Argumenten zu punkten: «Es gibt Forschung dazu, dass negative Argumente schwerer wiegen als positive.» Sage jemand, dass eine Initiative der Wirtschaft schade, sei das ein Totschlag-Argument. «Menschen tendieren dazu, potenzielle Schäden sehr stark zu gewichten. Argumente über Gefahren und Risiken beeinflussen die Meinungsbildung oft stärker als positive Argumente.»

Im Vorteil sind in diesem Fall also die KVI-Gegner*innen: Die potenziell negativen Folgen für kleine und mittlere Unternehmen, wie wahrscheinlich sie auch sein mögen, bleiben im Ohr – nicht nur bei den betroffenen Betrieben. Rein optisch liegen die Befürworter*innen jedenfalls vorne: In den Basler Strassen dominieren noch immer die orange leuchtenden Banner.

* Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels hiess es, die entsprechende Passage sei aus dem Initiativtext der Initiative. Sie stammt allerdings aus einer Version mit Erklärungen, die umfassender ist als der Initiativtext. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

Abstimmung über die Konzernverantwortungs-Initiative

Argumente der Befürworter*innen

  • Mit der Initiative werden Konzerne dazu verpflichtet, nicht länger wegzuschauen und präventiv dafür zu sorgen, dass keine Menschen zu Schaden kommen und dass die Umwelt nicht zerstört wird.
  • Manche Konzerne nutzen die Situation in Ländern aus, wo es keine funktionierende Justiz gibt. Sie setzen auf Kinderarbeit oder zerstören die Umwelt, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
  • Die Erfahrung zeigt, dass freiwillige Massnahmen nicht reichen, damit sich alle Konzerne an die Menschenrechte halten oder minimale Umweltstandards respektieren.

Argumente der Gegner*innen

  • Die KVI fordert, dass Schweizer Unternehmen (auch KMU) ihre gesamte Wertschöpfungskette – sämtliche Zulieferer und Vertriebspartner – auf Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards überwachen und kontrollieren. In der Praxis ist dies nicht umsetzbar. Wenn sie die Überwachung nicht beweisen können, haften die Unternehmen automatisch für den verursachten Schaden dieser Drittfirmen.
  • Durch die KVI stehen die Unternehmen unter Generalverdacht. Schweizer Firmen engagieren sich schon heute weltweit für die Verbesserung der Menschenrechte und Umweltschutz.
  • Die Initiative ​zwingt die Unternehmen, sich aus Entwicklungsländern zurückzuziehen und die Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten zu reduzieren. Die ärmsten Länder und kleine Zulieferer würden besonders leiden.

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