Warum engagiere ich mich so stark in der Bildungspolitik?
Die Schweiz hat ein Berufsbildungssystem, das vor allem auf die Leistungsfähigsten ausgerichtet ist und daher zu viele Junge zurücklässt, schreibt SP-Nationalrat Mustafa Atici in seiner Kolumne.
Wöchentlich spreche ich mit verzweifelten Jugendlichen und Eltern, die keine Lehrstelle finden. Daher weiss ich: Das Schweizer Berufsbildungssystem ist ungerecht. Das zeigen auch die Zahlen. Eine halbe Million Erwachsener verfügt in der Schweiz gerade mal über die obligatorischen 10 Schuljahre – und keine Berufsausbildung.
Rund zwei Millionen Erwachsene in unserem Land haben de facto kaum einen Zugang zum riesigen Angebot an Weiterbildungen. Denn primär bilden sich Menschen weiter, die bereits sehr gut ausgebildet sind.
Die Ungleichheiten in der Bildung sind in der Schweiz ausgeprägt – und betreffen leider unseren Kanton überdurchschnittlich. Im Zentrum meines politischen Engagements steht deshalb seit vielen Jahren das Engagement für mehr Chancengerechtigkeit – insbesondere in der Bildung. Drei Ansätze stehen für mich im Nationalrat zurzeit im Zentrum.
Was haben unsere Vertreter*innen in Bern zu sagen? Im Wahljahr überlassen wir regelmässig unseren nationalen Politiker*innen den Platz. Heute Mustafa Atici. Er ist Nationalrat und Präsident der SP-Migrant*innen. Im Juni 2021 wurde sein Postulat zur «Validierung von Bildungsleistungen» angenommen. Atici ist Unternehmer und lebt mit seiner Familie in Basel-Stadt.
Wir müssen das Potenzial von Jugendlichen und jungen Erwachsenen besser nutzen. Wir dürfen uns nicht weiterhin ein Berufsbildungssystem leisten, das so viele Junge und Erwachsene zurücklässt und sich allein auf die Leistungsfähigsten ausrichtet. Für ein Einwanderungsland wie die Schweiz, ist es enorm wichtig, das Potenzial insbesondere von Jugendlichen aus fremdsprachigen Familien zu nutzen. Der aktuelle Fachkräftemangel sollte uns zusätzlich motivieren, in die Ausbildung unserer jungen Menschen zu investieren.
«Weiterbildung ist nicht Privatsache.»Mustafa Atici
Wir brauchen ein starkes und durchlässiges Bildungssystem, das niemanden zurücklässt. In einer Motion habe ich vorgeschlagen, dass der Bund eine Ausbildungspflicht bis zum Alter von 18 Jahre und eine Ausbildungsgarantie bis ins Alter von 25 Jahren einführt. Die Motion ist im Rat noch hängig. Eine Ausbildungspflicht bis zum Alter von 18 hat sich bereits in Genf und im Tessin gut bewährt. Eine solide Ausbildung von Jugendlichen ist das mit Abstand wichtigste Instrument zur Armutsbekämpfung, was wiederum ein gutes Zusammenleben von uns allen fördert.
Wir brauchen endlich ein griffiges Weiterbildungsgesetz. Weiterbildung ist nicht Privatsache. Ganz zentral ist für mich, dass wir mit einem umfassenden nationalen Aktionsplan «Weiterbildung» endlich jene erreichen, die Weiterbildung am Nötigsten brauchen: Niedrigqualifizierte, Wenigverdienende und die vom Strukturwandel betroffenen Menschen.
Fünf Jahre nach Inkraftsetzung des Weiterbildungsgesetzes stellen wir fest: Genau diese Gruppen sind in der Weiterbildung am Stärksten untervertreten. Sie sind mit der alleinigen Selbstverantwortung überfordert. Es braucht jetzt wirkungsvolle Massnahmen, dass alle Menschen einen Zugang zur Weiterbildung finden.
Seit drei Jahren bin ich nun im Nationalrat aktiv. Ich fokussiere meine Arbeit stark auf die Bildungspolitik und dabei insbesondere auf die Stärkung der Berufsbildung. Dabei sind mir erste Erfolge bereits gelungen:
- Ich habe erreicht, dass ein vereinfachtes Verfahren zum Nachweis beruflicher Fähigkeiten und Fertigkeiten durchgebracht wurde. Damit können «informell erworbene» Kompetenzen und Berufserfahrungen bei Bildungsabschlüssen leichter angerechnet werden.
- Zudem konnte ich erreichen, dass das erfolgreiche nationale Programm für die kostenlose Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (viamia) weitergeführt wird. Ziel des Programmes ist, eine Standortbestimmung samt Laufbahnberatung anzubieten, um zu verhindern, dass ältere Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt fallen.
Viele Eltern in der Schweiz sind überfordert. Sie möchten ihre Kinder und Jugendlichen unterstützen, damit sie einen guten Job finden und eine Familie ernähren können. Doch sie vermögen es nicht, weil sie unser Schulsystem nicht kennen und zu wenig Unterstützung bekommen. Für diese Menschen setze ich mich ein.