«Sissach nazifrei»

Rund 200 Menschen ziehen durch Sissach, um gegen die SVP und die rechte Szene zu demonstrieren. Sarah Regez, deren Name zum Synonym für die unkritische Haltung der JSVP zu Rechtsextremismus wurde, sitzt derweil in einer Beiz abseits der Demoroute.

Anti-SVP-Demo Sissach
Antifaschistische Parolen sieht man im Ortskern von Sissach nicht gerade täglich. (Bild: David Rutschmann)

«Das ist ja schon krass: Regez könnte in den Nationalrat nachrücken.» Schon im Zug unterhalten sich einige Basler Jusos über Sarah Regez. Die Baselbieter SVP-Politikerin und Strategiechefin der Jungen SVP ist immerhin der Grund, warum sie gerade auf dem Weg in ihre Wohngemeinde Sissach zur Anti-Rechtsextremismus-Demo sind. 10 Uhr auf den Zug, das ist früh an einem Samstag. Man hört das Knacken, als die Jusos Mate-Dosen öffnen.

Angekommen in Sissach, muss sich die Gruppe erstmal orientieren: Wo geht’s hier in den Ortskern? Seltenst war man mal in der 8000-Einwohner*innen-Gemeinde im Oberbaselbiet. Der Ort hat bei diesem Sonnenschein etwas von Andorra aus dem Max-Frisch-Roman – eine beklemmende, vielleicht trügerische Idylle eines Dorfs, das weder von Faschismus, noch von Antifaschismus etwas wissen will.

SBB Bahnhofsschild Ortsschild Sissach
Willkommen in 4450. (Bild: David Rutschmann)

Am Brunnen im Ortskern sieht es zunächst nach einer gemütlichen Runde aus Nordwestschweizer Jusos aus. Zu Demobeginn wird es dann voller, Transparente werden aufgespannt: «Nieder mit der neuen Rechten» und «Es git kei ruhigs Hinterland». Auf einem Plakat zerschlägt die Juso-Faust ein Hakenkreuz.

Was hier denn los sei, dürften sich einige der Rentner*innen, die in den angrenzenden Cafés ihr Mittags-Bier geniessen wollen, denken, als sie die Polizeiabsperrungen und die Antifa-Fahnen sehen. Aufgeklärt werden sie über die Lautsprecheranlage von Angel Yakoub und Janine Oberli vom Baselbieter Juso-Präsidium:

«Wir können nicht länger zuschauen, wie die grösste Partei der Schweiz mit Nazis kuschelt.»
Janine Oberli, Vizepräsidentin Juso Baselland

Es folgt ein Rückblick auf die Recherchen der vergangenen Monate: Sarah Regez’ Teilnahme an einem Treffen mit Rechtsextremisten; Junge-Tat-Mitglieder im Wahlkampf-Team von SVP-Politiker*innen; Ex-Parteipräsident Chiesa, der mit Rechtsextremen für Fotos posiert; die aus einem internen Chat geleakte Statement des Aargauer JSVP-Chefs: «Sich von der Jungen Tat zu distanzieren, ist, wie wenn wir uns von unserem eigenen Programm distanzieren.»

Wahlplakate fuer Florence Brenzikofer (Gruene), links, und Sarah Regez (SVP), rechts, haengen in Liestal, am Dienstag, 12. September 2023. Am 22. Oktober 2023 finden die Schweizer Parlamentswahlen statt. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Sarah Regez: Keine Distanz zu Extremismus

Sarah Regez nahm keine Distanz zu den Vorwürfen. Ja, sie habe das besagte Treffen auf Einladung eines Bekannten aus der Corona-Massnahmen-kritischen Szene besucht, könne sich aber nicht an den Inhalt erinnern und wusste nichts über den rechtsextremen Vordenker, der dort einen Vortrag hielt.

Bajour konnte in einer Recherche weitere Verbindungen von Sarah Regez in extremistische Kreise aufzeigen. Sie ist Admin in einem Telegram-Chat, in dem aufgrund von staatskritischen Verschwörungetheorien Mahnwachen vor der KESB in Sissach organisiert wurden. Einladungen, die sie in diesem Chat verschickte, gingen an Mitglieder, die der rechtsextremen Szene zugeordnet werden können.

Zur Recherche

«Ja, das ist besorgniserregend, wenn Politiker*innen sich mit Nazis treffen», sagt Yakoub und fügt an: «Aber seien wir ehrlich: Überrascht waren wir nicht.» Das Problem sei nicht Regez allein, sondern eine ganze Partei, die solche Verbindungen schütze, stütze und aufrechterhalte, so Yakoub: «Es ist die SVP, die einen Teil der neuen Rechten darstellt. Wir müssen die SVP als das erkennen und benennen, was sie ist: Nämlich eine rechtsextreme Partei.» 

Sie fragt sich, warum die Alarmglocken erst geschlagen wurden, als die Junge-Tat-Connections bekannt wurden, und nicht schon bei der Masseneinwanderungsinitiative, der Ausschaffungsinitiative, dem Minarett- und Burkaverbot: «Die SVP hat durch’s Band ein rassistisches, nationalistisches, misogynes und queerfeindliches Parteiprogramm und schafft es, diese hasserfüllten Ansichten in die Mitte der Gesellschaft zu tragen.»

Als danach zwei Antifa-Mitglieder vermummt und mit Sonnenbrille das Mikrofon ergreifen, wird es am Rande der Demo kurz unruhig. «Zieh die Maske ab», ruft ein Mann und ein anderer ergänzt: «Wir haben Verhüllungsverbot!» Die Herren lassen sich vom Dialogteam der Demonstrierenden und der Polizei beruhigen, doch als sich die Demo zum Losmarschieren einstellt, geht einer der Männer zur Transparentfront und ruft erneut: «Jetzt zieht doch mal die Maske aus», was mit einem «Jetzt halt doch mal’s Maul» quittiert wird.

Eine Dame stellt sich vor den Mann und beginnt «Deine Schuld» von Die Ärzte zu zitieren: «Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist» – sie wird von dem Mann unterbrochen, der sie auffordert, zurück nach Deutschland zu gehen – «Es wär’ nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.»

Die beiden Herren werden nicht die einzigen bleiben, die entlang der zugegeben kurzen Route quer durch das Zentrum von Sissach kritisch beäugend am Rand des zügig marschierenden Demo-Zugs stehen. Einige Passant*innen filmen das Geschehen aber auch amüsiert, eine Dame mit Färbemittel in den Haaren eilt aus dem Coiffeur-Salon, um sich den Aufruhr auf der Strasse anzusehen.

Unbequem wird es im friedlichen Demo-Zug nur einmal: Am Bahnhof steht ein Mann mit Sonnenbrille, der die Kundgebung schon von Anfang an eifrig mit Teleobjektiv fotografiert hat. «Hau ab», ruft ihm die Demo-Spitze zu, einige wollen mit ihm diskutieren, weil sie ihn für ein Junge-Tat-Mitglied halten. Er zeigt dem Dialogteam keinen Journalistenausweis, doch gibt sich als freischaffender Fotograf aus. Manche fürchten, dass dieser Fotograf zur rechten Szene gehört und die Teilnehmer*innen an der Demo fotografiert, damit sie identifiziert, geoutet und bedroht werden können.

Yakoub erklärt bei der Auflösung der Demo kurz darauf, dass wohl «Faschos» anwesend waren, um die Demonstration zu fotografieren: «Genau das ist der Grund, warum manche eben lieber vermummt unterwegs sind. Passt auf euch auf bei der Heimreise, geht nicht alleine zum Bahnhof.» Gegen 12:30 Uhr pendelt sich die Demonstration aus.

Nur eine Gehminute entfernt von den linken Anti-Regez-Demonstrant*innen, aber geschickt abseits der Demoroute, sitzt in diesem Moment Sarah Regez im Aussenbereich eines Restaurants. Ihr Lebensgefährte, der wegen Rassismus verurteilte JSVP-Präsident Niels Fichter, und weitere Mitglieder der JSVP sitzen beisammen. Auch der von der Demo als so verdächtige befundene Fotograf gesellt sich zu ihnen. Immer wieder scharrt er aus, um weitere Fotos der Demo-Teilnehmer*innen zu machen. Eine Online-Recherche zeigt: Er macht öfter Fotos für die Baselbieter JSVP.

Nur einige Demonstrant*innen kommen auf dem Weg zum Bahnhof am provokativ platzierten Regez-Tisch vorbei. Manche erkennen sie mit grossen Augen, niemand traut sich, sie zu konfrontieren. Einige Video-Journalisten nutzen die Gelegenheit, um das derzeit kontroverseste Paar der Schweiz vor der Kamera zu interviewen und ihm eine noch grössere Plattform zu bieten.

Erst, als dann die letzten Demonstrant*innen aus Sissach abgezogen sind, entfernen sich auch die beiden Polizist*innen in Vollmontur. Laut Auskunft des Baselbieter Polizeisprechers seien diese eher zufällig dort stationiert gewesen. Der Sicherheits-Aufwand der Polizei sei an diesem Mittag überschaubar gewesen.

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David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitik. Way too many Anglizismen.

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