Die Polizei sät unnötig Zweifel
Die Polizei kommunizierte das Neujahrsgeschehen vor dem Hirscheneck erst spät und dann falsch bis irreführend. Wenn sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren möchte, braucht es eine andere Strategie, meint Co-Chefredaktorin Ina Bullwinkel.
Eine Patrouille an Silvester, eine grosse Gruppe Feiernder um zwei Uhr morgens ohne Respekt vor der Polizei, eine Medienmitteilung mit deutlichem Framing: Das sind die Zutaten für die erste Diskussion über das richtige Verhalten von Polizei und Zivilgesellschaft in diesem Jahr.
Nachdem es am 1. Januar zunächst hiess, es habe in der Silvesternacht keine aussergewöhnlichen Vorkommnisse gegeben, musste sich die Polizei nur einen Tag später aufgrund einer Kommunikationspanne korrigieren. Es habe einen «schweren Angriff» auf eine Patrouille gegeben. «Eine Polizistin und ein Polizist waren im Kleinbasel unterwegs, als sie unvermittelt von mehreren hundert, der linksextremen Szene zuzuordnenden Personen umringt wurden», heisst es in der Medienmitteilung zum Vorfall. Sie war die perfekte Vorlage für den 20-Minuten-Titel vom «linksextremen Mob». Denn genauso musste es verstanden werden: Eine Horde gewaltbereiter Linksextremer machte an Silvester Jagd auf Polizist*innen.
Möchte die Polizei ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren, braucht es eine bessere Kommunikationsstrategie.
Kein Wort wird in der Medienmitteilung dazu verloren, dass sich der Vorfall vor dem in der linken Szene beliebten Kulturlokal Hirscheneck mit seiner traditionellen «Silvestersause» ereignete, wo Hunderte Feiernde noch auf der Strasse standen, als sich die Polizeistreife näherte. Das Hirscheneck ist seit Jahrzehnten für seine Neujahrspartys in der alternativen Szene bekannt. Und auch dieses Jahr stieg «DIE weltberühmte Hirschi Silvester Sause! Wie immer mit Pomp und Pauken!» (Eigenwerbung). Diesen Fakt wegzulassen, beziehungsweise zu behaupten, man sei «unvermittelt umringt» gewesen, ist irreführend und falsch. Nicht die «Linken» haben sich der Polizeistreife genähert, sondern umgekehrt. Solch eine Kommunikationsweise treibt Emotionen an und wirft Fragen auf: Warum hat die Polizei erst verspätet kommuniziert und dann mit einem klaren Framing, das Tatsachen aussen vor lässt? Die Polizei müsste sicher weniger Kritik einstecken, wenn sie transparent alle Fakten mitteilt. Möchte sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren, braucht es eine bessere, weniger sensationsheischende Kommunikationsstrategie ohne frisiertes Narrativ.
Die Basler Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann räumte immerhin die erste Kommunikationspanne ein. Dass solch ein Vorfall verspätet gemeldet werde, dürfe nicht wieder vorkommen, sagte sie der «Basler Zeitung». Im Interview relativierte sie auch die Formulierung aus der Medienmitteilung, gemäss der die Patrouille von mehreren hundert Personen bedrängt wurde. «Es war eine grosse Menschenmenge, aber es haben nicht Hunderte Personen auf das Fahrzeug eingedroschen.»
Es gäbe wohl wenig Zweifel daran, dass die Polizei zu Unrecht angegriffen wurde, wenn sie von vornherein mit offenem Visier informieren würde.
Bajour hat mit mehreren Menschen gesprochen, die den Vorfall beobachtet haben. Auch aus ihren Erzählungen ergibt sich nicht das Bild eines «Mobs», sondern das einer dichten Menschenmenge, durch die sich ein Polizeiauto manövrierte. Ganz offensichtlich verhielten sich einige aus der Menge provokativ, wollten das Fahrzeug mit Absicht nicht passieren lassen und wendeten sogar Gewalt an. Ein respektloses Verhalten, das nicht toleriert werden darf.
Es gäbe wohl wenig Zweifel daran, dass die Polizei zu Unrecht angegriffen wurde, wenn sie von vornherein mit offenem Visier informieren würde. Die Frage, warum die Patrouille überhaupt durch die Strasse gefahren ist (nachdem bekannt war, dass sich dort zu Silvester regelmässig viele Leute versammeln), wird denn auch als Vorwurf verstanden und nicht als berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit.
Wurde aus purem Hass gehandelt oder gab es einen Auslöser für die Aggression? Solche Fragen müssen erlaubt sein.
Das volle Ausmass der Situation sei den Polizist*innen erst klar geworden, als sie mit ihrem Patrouillenfahrzeug mitten in der Menschenmenge waren, heisst es auf Anfrage von der Polizei. «Keine Patrouille würde sich bewusst in eine derartige Gefahrensituation begeben oder absichtlich durch eine Menschenansammlung fahren.» Auch Stephanie Eymann kritisiert scharf jede Frage, die suggeriert, eine Streife an diesem Ort zu Silvester könne als Provokation verstanden werden. Und sie bemüht einen unpassenden Vergleich: «Es erinnert mich an den völlig falschen Vorwurf an Frauen, dass sie mit ihrem Verhalten sexuelle Übergriffe provozieren. Das ist nichts anderes als eine Umkehr von Täter und Opfer.» Hier haben wir Kommunikationspanne Nummer 3.
Staatsbeamte in Uniform, die das Gewaltmonopol des Staates ausüben (und deshalb – bedauerlicherweise – auch immer wieder Angriffen ausgesetzt sind), sind wohl kaum zu vergleichen mit Zivilpersonen, die Opfer einer Gewalttat werden. Platt gesagt, gehört das zum (unschönen) Berufsrisiko von Polizist*innen. Anders gesagt: Die Polizei wird in manchen Kreisen als Feindbild wahrgenommen. Deshalb ist die Frage, ob sich jemand von der Patrouille provoziert gefühlt haben könnte, durchaus legitim: Wurde aus purem Hass oder Unverstand gehandelt oder gab es einen Auslöser für die Aggression? Solche Fragen müssen erlaubt sein. Mit einer offenen Kommunikation kann die Polizei nur gewinnen, ansonsten sät sie unnötig Zweifel an ihrer Arbeit. Und noch bleibt fast ein ganzes Jahr Zeit, kommunikationsmässig gute Vorsätze in die Tat umzusetzen.
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