Wenn Reiche «Tax the rich» rufen
Die Welt ist aus den Fugen. Nach der Phase des Staunens und der Empörung müsste langsam die Phase des Nachdenkens und irgendwann die des Handelns einsetzen, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.
Das Jahr ist noch jung und schon lastet gefühlt noch einmal mehr auf unserer aller Schultern. Diese Woche hatte es in sich: Donald Trumps Amtseinführung hat vor Augen geführt, was der abstrakte Gedanke einer sich verschiebenden politischen Weltordnung in der Realität und in Real Time bedeutet. Bei seiner Inauguration waren aus dem Ausland nur rechtspopulistische Politiker*innen geladen, die grossen Tech-Konzern-CEOs wurden hofiert und nahmen die Einladung dankend an, Mächtige unterwerfen sich, damit sie weiterhin mächtig sind, verurteilte Straftäter*innen, die Trump vor vier Jahren zum Sturm aufs Kapitol angestachelt hatte – zu nichts anderem als einem lupenreinen Putsch – hat der mächtigste Mann der Welt begnadigt und sendet damit das unmissverständliche Signal, dass ihm Demokratie und die Justiz nicht viel wert sind.
Menschen mit rechtsradikalem Gedankengut werden bejubelt, Migrant*innen, die sich zur US-Grenze gekämpft haben, werden vor dem Amt stehen gelassen trotz Termins. Non-binären Personen spricht Trump die Existenz ab. Was das für ihre Akzeptanz und ihre Sicherheit innerhalb der Gesellschaft bedeutet, ist klar. Das «goldene Zeitalter», das Trump beim Amtsantritt versprochen hat, gilt nicht für sie, nicht für Minderheiten. Es sei denn, sie gehören zur exklusiven Minderheit von Reichen, Tech-Milliardären oder Grosskonzern-CEOs, die sich ihm loyal an die Seite stellen. Es ist die Zeitenwende, die das bisherige Streben nach einer offenen, aufgeklärten, gleichberechtigten Gesellschaft durch illiberale Ideen und autoritäres Handeln ersetzt.
Hass und Extremismus sind salonfähig geworden, nicht nur in den USA. Grenzen werden ausgetestet und bewusst überschritten. Es darf sich niemand wundern, dass Elon Musk den Hitlergruss zeigt.
Das Heraufbeschwören einer neuen Weltordnung darf dabei nicht zur ständig wiederholten Phrase werden. Wir müssen nüchtern darauf schauen, was wirklich passiert, nicht polemisch werden und keine Katastrophen herbeischreiben, wo keine sind. Wir müssen aber genau beobachten, wo sich Macht konzentriert und zu welchem Verhalten die Menschen aktuell ermutigt werden.
Hass und Extremismus sind salonfähig geworden, nicht nur in den USA. Grenzen werden ausgetestet und bewusst überschritten. Es darf sich niemand wundern, dass Elon Musk den Hitlergruss zeigt. Genauso wenig, wie die erwartbare Tatsache, dass dieser nachher von seinen Fans und von einigen Medien relativiert wird. Es darf sich niemand wundern, dass ein AfD-Politiker den Nationalsozialisten Joseph Goebbels zitiert und seine Partei keine Konsequenzen zieht. Es darf sich niemand wundern, dass in Österreich erstmals ein Politiker einer rechtsextremen Partei Kanzler wird. Und es darf sich niemand wundern, wenn die Rechte von Minderheiten beschnitten werden, rechtsextreme Begriffe normalisiert werden und nach und nach ihren Schrecken verlieren, weil die wahre Bedeutung entweder nicht bekannt ist oder nicht ernst genommen wird.
Wundern nicht, aber empören und anprangern. Und die Empörung sollte nicht mehr das Denken verstellen. Denn sonst kommen wir, und insbesondere die Politik, nie in einen handlungsorientierten gesellschaftlichen Diskurs.
Die Weltpolitik, etwa in Form von Zöllen, eines Rückzugs aus dem Pariser Klimaabkommen oder der Bevorzugung von rechtspopulistisch geführten Staaten hat Einfluss auf das BIP, auf das Klima, auf die Wahrscheinlichkeit für Kriege.
Warum sollte uns das in Basel interessieren? Weil wir keine Insel sind (wobei: Watch out, Grönland!). Die Weltpolitik, etwa in Form von Zöllen, eines Rückzugs aus dem Pariser Klimaabkommen oder der Bevorzugung von rechtsextrem oder rechtspopulistisch geführten Staaten hat Einfluss auf das BIP, auf das Klima, auf die Wahrscheinlichkeit für Kriege und – das mag klein erscheinen – auch darauf, was wir tagtäglich auf Social Media konsumieren und womöglich als Mehrheitsmeinungen oder Wahrheit begreifen.
Wer nicht zumindest ein bisschen Angst hat vor Plattformen wie Tiktok, Instagram oder X und ihren Möglichkeiten zur Massenmanipulation – auch dank der zunehmenden Abwesenheit von Faktenchecks, verkennt, wie mächtig die digitalen Player und deren CEOs geworden sind. Man hört und liest nun häufiger von einer drohenden Oligarchie, also die Herrschaft von einer kleinen Gruppe reicher Menschen. Was sagt es uns, wenn 370 Superreiche das WEF in Davos nutzen, um dazu aufzurufen, sie höher zu besteuern und ihnen weniger Macht zu geben?
In einer Erklärung schreiben sie, das Vertrauen in Demokratien sei auch deshalb gesunken, weil politische Führer*innen zu viel Zeit darin investiert hätten, die Millionär*innen und Milliardär*innen zu verwöhnen und zu wenig an alle Menschen zu denken. Reiche, die «Tax the rich» rufen – kann auch das Teil einer neuen Weltordnung sein? Vermutlich sollten wir auf sie hören.