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Wohnschutz: Leben die Basler*innen bald in Bruchbuden, wenn die Linken sich durchsetzen?

Die Basler Linken wollen einen starken Wohnschutz, wie Genf ihn hat. Die Bürgerlichen warnen: Dann verlottern die Häuser und die Mieten steigen trotzdem. Stimmt das? Ein Augenschein in der Westschweiz.

10/29/21, 02:11 PM

Aktualisiert 11/02/21, 07:34 AM

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Baustellen wie diese gibt es nicht an jeder Ecke in Genf. Hier entsteht ein Wohnheim für Studierende

Baustellen wie diese gibt es nicht an jeder Ecke in Genf. Hier entsteht ein Wohnheim für Studierende (Foto: Romina Loliva)

Oktober 2021, ein lauwarmer Herbstmorgen. «Prochain arrêt: Genève», vielen Dank, dass Sie mit den SBB gereist sind, heisst es aus der Durchsage, au revoir et bonne journeé. 

Die zweitgrösste Stadt der Schweiz glänzt an diesem Tag in ihrer ganzen Pracht. Die Menschen bewegen sich zwischen Geschäftigkeit und Nonchalance. Dass im Hintergrund eine 140-Meter hohe Wasserfontäne, die sonst überall in der Schweiz als schamlos bezeichnet werden würde, in den Himmel schiesst, kümmert sie nicht. On s'en fout.

Genauso wenig interessiert es die Leute hier, dass sich gegenwärtig in Basel die Politiker*innen darüber streiten, ob Genf nun der heilige Gral des Wohnschutzes ist oder das Schreckgespenst der Überregulierung.

Darum geht's

Am 28. November stimmt Basel-Stadt über eine Initiative ab, die aus Sicht der Linken den kantonalen Wohnungsmarkt fixen und «echten» Schutz für die vielen Mieter*innen in Basel garantieren soll. Endlich. Denn eigentlich hat die Bevölkerung bereits 2018 durch die Annahme der Wohnschutzinitiative (und drei weiteren Initiativen rund ums Wohnen) entschieden, welche Regeln gelten sollen. Auf Verfassungsebene wurden die Leitplanken für den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum und stärkerem Kündigungsschutz gesetzt. Ausserdem soll bei Wohnungsnot – ab einem Leerstand von 1,5 Prozent oder weniger – eine zeitlich beschränkte Bewilligungspflicht verbunden mit Mietzinskontrollen bei Renovationen und Umbauten gelten. Die entsprechende Verordnung tritt im Januar 2022 in Kraft.

Diese ist jedoch für den Mieter*innenverband und für die linken Parteien nicht griffig genug. Deshalb haben sie ihre Vorstellung vom «echten» Wohnschutz in eine Gesetzesinitiative gegossen, die keinen Interpretationsspielraum lässt und deshalb das Prädikat einer «Durchsetzungsinitiative» erhalten hat. Für die Bürgerlichen, die das vierfache Ja der Basler*innen 2018 zähneknirschend hinnehmen mussten, und für die Regierung, die ganz Exekutive beim Wohnschutz Pragmatismus walten lassen möchte, ist der «echte Wohnschutz» eine Zwängerei, der privaten Vermieter*innen das Sanieren verunmöglicht.

Die Argumentationslinien sind gefestigt, der Abstimmungskampf gleicht momentan noch mehr einer Sparflamme als einem lodernden Feuer. Anstatt auf der Strasse die Menschen zu überzeugen, vollführen die Befürworter*innen und die Gegner*innen einen medialen Schlagabtausch auf den Kommentarspalten der BaZ: Beide Seiten schauen zum Genfersee, dort, wo seit 30 Jahren das stärkste Wohnschutzgesetz der Schweiz gilt. Und sehen ein diametral anderes Bild: Für die Linken ist Genf ein Vorbild, für die Bürgerlichen ein Graus. 

Was nun?

Im Stadtteil Eaux-Vives, Route de Frontenex 60, steht ein Gebäude, das von den Macher*innen im Netz als beispielhaftes Objekt für die heutigen Herausforderungen des modernen Bauens beschrieben wird. Der Wohnkomplex mit 84 Wohnungen musste zwischen den bestehenden Immobilien sozusagen eingepasst werden, kompakt, schnörkellos, modern. Eine Dreizimmerwohnung kostet hier 1950 Franken im Monat (In Genf zählt die Küche als Zimmer). Gegenüber, an der Bushaltestelle, sitzt eine ältere Dame. Vom Alter gebeugt, die Augen noch ganz wach. «C’est pas un bijoux, ha», sagt sie und schaut herüber. Seit 30 Jahren wohnt die Madame im Quartier, immer in der gleichen Wohnung. «Ich habe alles, was ich brauche», erzählt sie, eine Küche mit Balkon, eine Badewanne, im Haus gibt es einen Lift «à mon âge c’est important ça». 

Der Ofen sei mal ersetzt worden und vor ein paar Jahren habe man im ganzen Gebäude neue Fenster eingebaut, gute Fenster. Die Baufirma sei drei Wochen im Haus gewesen, zwei Tage in ihrer Wohnung, «un peu bruyant», etwas lärmig sei es gewesen, aber ansonsten gut. Und die Miete? Sie zahle für ihre eher kleine Dreizimmerwohnung rund 1500 Franken, «ça va», sagt sie.

Immobilienfirmen stellen sich auf den Standpunkt: Liegenschaften kann man nur umfassend sanieren, wenn sie unbewohnt sind. Will heissen, die Mieter*innen müssen raus.

Sanierungen sind einer der Knackpunkte der Initiative für «echten» Wohnschutz. Nicht erst seit der Massenkündigung bei der grossen Überbauung am Schorenweg 36 und 38 im Jahr 2019 ist das Vorgehen von Immobilienbesitzer*innen bei umfassenden Sanierungen ein Politikum. Diese stellen sich auf den Standpunkt: Liegenschaften kann man nur umfassend sanieren, wenn sie unbewohnt sind. Will heissen, die Mieter*innen müssen raus. Beim Schorenweg waren es rund 400 Bewohner*innen, die nach verschiedenen Interventionen des Mieter*innenverbands bis spätestens im Frühjahr 2021 ausziehen mussten. Sogar die UNO schaltete sich ein, der Fall machte national Schlagzeilen.

Dann ist da noch die Sache mit den energetischen Sanierungen. Der Gebäudepark im Kanton Basel-Stadt soll nach und nach klimafreundlich umgebaut werden, nur wollen die Besitzer*innen den Mehrwert bei den Mieten abschöpfen. Das was für das Klima gut ist, ist für günstigen Wohnraum nicht gerade förderlich. 

Sind die Arbeiten durch und die Wohnungen modernisiert, ist der Mietzins üblicherweise höher aus früher. Die ursprünglichen Mieter*innen, die manchmal über Jahrzehnte die Häuser bewohnten, haben normalerweise kein Rückkehrrecht, sie wollen oder können sich die neue Miete nicht leisten.

Umgebaut wird in Basel in den letzten Jahren intensiv. Besonders, weil der Raum an sich Mangelware ist, sind Umnutzungen und Ausbauten eine Alternative zum Neubau, aber auch dieser wird vorangetrieben. Gemäss Analysen des Amtes für Statistik wurden 2020 in Basel-Stadt 607 Neubauwohnungen herstellt, 219 wurden umgebaut. Im Spitzenjahr 2019 waren es 865 neue und 158 umgebaute Wohnungen. Gleichzeitig steigen die Mieten: Eine 5-Zimmer-Wohnung kostete im Mai 2006 im Durchschnitt 2017 Franken, im Mai 2020 betrug der Durchschnittspreis 2243 Franken.

Der «echte» Wohnschutz soll nun diese Entwicklung stoppen. 

Podium: Wird Basel zur Miethölle?

Podium: Wird Basel zur Miethölle?

Am 28. November stimmen wir über die Initiative «Ja zum echten Wohnschutz» ab. Die Linke glaubt: Ohne Initiative geht es weiter mit Massenkündigungen. Die bürgerliche Mehrheit und die Regierung dagegen finden, der Kanton mache schon genug für die Mieter*innen. Mach dir selbst ein Bild: Am Montag, 29. Oktober um 19 Uhr kreuzen Hauseigentümer- und Mieter*innen am Polit-Talk im KLARA die Klingen. Moderieren wird Bajour-Chefredaktorin Andrea Fopp. Organisation: Komitee «Ja zum echten Wohnschutz».

Ich komme.

Die Mieten steigen auch in Genf – warum?

Zurück nach Genf. Die nackten Zahlen zeigen auf: Von einer Senkung des Mietziensniveaus kann man trotz Wohnschutz nicht sprechen. In Genf sind die Marktmieten 2020 generell schweizweit am stärksten angestiegen. Immobilienexpert*innen gehen davon aus, dass das hauptsächlich daran liegt, dass das Bauland knapp ist. Die bürgerlichen Gegner*innen des Basler Wohnschutzes nehmen das als Argument, gegen eine stärkere Regulierung. 

Die linken Befürworter*innen  dagegen behaupten: «Die Mieten wären ohne den Wohnschutz höher». Das sagt einer, der sich mit dem Genfer Wohnungsmarkt gut auskennt. Carlo Sommaruga, Präsident des Mieter*innenverbands Schweiz und Ständerat. Carlo Sommaruga sagt: «Bei den gesetzlich geschützten Genfer Wohnungen beträgt der Anstieg ungefähr der Lohnentwicklung, es sind rund vier Prozent», also weniger, als bei freien Marktmieten.  

Zürcher Grossbanken bestimmen Basler Mietpreise

Zürcher Grossbanken bestimmen Basler Mietpreise

Grossbanken und Versicherungen besitzen in Basel fast jede dritte Wohnung und führen stolze Renditen ab. Das sind anteilsmässig mehr Wohnungen als in Zürich, wie die grosse «Wem gehört Basel»-Recherche zeigt. Kanton und Genossenschaften haben das Handtuch geworfen.

Zur Recherche

Saniert würde deshalb trotzdem, und auch neu gebaut. Genf sei eine attraktive Stadt mit vielen Zuzüger*innen und für Grossinvestor*innen nach wie vor interessant. «Swiss Life, Crédit Suisse et les autres Grands», meint Sommaruga, «sie kaufen Häuser, Land und bauen». Die Immobilienbesitzer*innen hätten gelernt, wie man im Einklang mit dem Mietschutz sanieren könne: «Die meisten Umbauten finden ohne Kündigung der Mietenden statt», man finde vorübergehende Lösungen in anderen Bauten der gleichen Besitzer*innen oder in der gleichen Liegenschaft in einer freien Wohnung. Das sei für die Mieter*innen mit Umständen verbunden, aber schlussendlich hätten auch sie etwas davon: «sie können in ihrer Wohnung bleiben.» 

Dass so die Investor*innen weniger Gewinn machen oder gar auf ihren Kosten sitzen bleiben würden, streitet Carlo Sommaruga ab: «Die Kostenmiete ist nach den effektiven Kosten berechnet. Investitionen können so abgewälzt werden», die Mieten würden nach einer Sanierung angepasst werden, aber sie blieben «fair».

Nicht alle sehen das so. Der Hauseigentümerverband widerspricht. Christophe Aumeunier, Generalsekretär der Chambre Genevoise Immobilière, spricht es gerade aus: «La législation genevoise est très péjorante pour la rénovation des immeubles d’habitation», das Gesetz sei sehr schädlich, wenn es um Sanierungen gehe. Die Liegenschaften in Genf seien zwei mal weniger saniert als der Schweizer Schnitt, dies, weil das Gesetz es verunmögliche, die Kosten zu ammortisieren.

Ein neuer Stadtteil im Armenviertel

Vor Ort muss man die Verlotterung suchen. Besonders auf der Rive Gauche sind die Gebäude zumindest von aussen betrachtet opulent und gut erhalten. Aber Baustellen, die es in Basel gefühlt an jeder Ecke gibt, sind erstaunlich wenig zu sehen. 

Wo wird gerade gross gebaut? «Quai Vernets, Madame» beantwortet ein Angestellter der elektrischen Werke, der gerade Arbeiten an Leitungen durchführt.

Wo der Wohnraum knapp ist, baut man Silos.

Wo der Wohnraum knapp ist, baut man Silos. (Foto: Romina Loliva)

Quai Vernets, eine zehnminütigen Tramfahrt vom Zentrum entfernt, schlängelt sich entlang der Arve, ein Nebenfluss der Rhône. Von Baustelle ist da jedoch keine Spur. Die riesige Überbauung, die hier entstehen und bis zu 1500 Wohnungen beinhalten soll, ist noch ein Phantom. Dort, wo künftig ein 86 Meter hoher Turm stehen könnte, ist jetzt eine Militärkaserne. Das Projekt beschäftigt den Kanton und die Öffentlichkeit, für manche soll es zum Leuchtturm des ökologischen Bauens werden, für andere gleicht es einer überdimensionierten Groteske

Aus Basler Sicht sind die Parallelen zum Projekt Klybeck Plus nicht zu übersehen. 

Wie im Klybeck soll ein Areal transformiert werden, das in einem Quartier liegt, welches eher von den weniger Betuchten bewohnt wird. Im Fall von Genf heisst es Acacias und macht meistens wegen Wohnungsbränden und Abfallproblemen von sich reden. Kürzlich etwa, musste die Stadt bei Wohnungsbesitzer*innen intervenieren, weil die Müllcontainer vor den Häusern regelrecht überquillten. An einem Polizeigitter ist jetzt ein Transparent, das eindringlich davor warnt, das Areal sei überwacht, inklusive grossem, sehendem Auge: «Stop aux déchets sauvages!». Dahinter liegt das, was mal vielleicht ein Sofa war. Eine Polizeipatrouille schaut nach dem Rechten, gleich daneben stehen Menschen in einer Schlange. Das Büro des Roten Kreuzes öffnet bald. Was genau heute ihr Anliegen ist, mögen sie nicht erzählen. 

Hier soll ein neuer Stadtteil aus dem Boden gestampft werden – Quait Vernets

Hier soll ein neuer Stadtteil aus dem Boden gestampft werden – Quait Vernets

Eine junge Mutter rüttelt rhythmisch an einem Kinderwagen und lässt sich auf ein Gespräch ein. Vom Grossprojekt hat sie schon gehört, «mais c’est pas pour nous ça», sagt sie und zuckt mit den Schultern. Sie wohnt ein paar Strassen weiter, ihre Wohnung sei nichts Besonderes, aber ganz okay. Von Renovationen will sie nichts wissen, «Hauptsache die Geräte funktionieren», die Vermietung kümmere sich um kleine Reparaturen, «für uns stimmt es so», sagt sie. Was passieren würde, wenn in Gehdistanz ein ganzer Stadtteil aus dem Boden gestampft wird, darüber macht sie sich keine Gedanken. 

Und auch wie im Klybeck soll das Quai Vernets kein Luxus-Quartier werden, zumindest nicht nur. Die Durchmischung ist eins der Ziele des Projekts: 300 Wohnungen sind für Studierende reserviert, Alters- und Clusterwohnungen von Genossenschaften vergeben. Der Gestaltungsprozess ist partizipativ angesetzt und auch hier ist die grösste Investorin die Swiss Life AG, die gemeinsam mit Pensionskassen, Versicherungen und Wohnbaugenossenschaften baut. Im Unterschied zu Basel sind die Vorgaben jedoch deutlicher. Zwei Drittel der Wohnungen sollen «d’utilité publique» sein, also durch den Staat reguliert, und auch beim letzten Drittel kommt der Mieterschutz zum Zug. Dies tut der Arealentwicklung aber keinen Abbruch.

So soll eine der grössten Überbauungen der Schweiz aussehen: 1500 Wohnungen sollen hier Platz finden.

So soll eine der grössten Überbauungen der Schweiz aussehen: 1500 Wohnungen sollen hier Platz finden. (Foto: zVg)

Auch Christophe Aumeunier von der Chambre Genevoise Immobilière gibt zu, Investor*innen hätten ein grosses Interesse am Genfer Wohnungsmarkt: «Paradoxalement, l’attrait pour les investisseurs est énorme», die Attraktivität sei enorm, das weil die Genfer Wirtschaft funktioniere und weil der Bedarf nach Wohnraum ungebrochen gross sei.

So gross, dass auch Basel einen Teil des Kuchen haben möchte. Die Nachricht, dass die Pensionskasse Basel-Stadt gleich sieben Liegenschaften – darunter einige repräsentative Bauten für eine halbe Milliarde Franken – erworben hat, sorgte dieses Frühjahr für Erstaunen und Diskussionen, besonders bei den Linken, die sich im Dilemma zwischen sicheren Renten und bezahlbaren Mieten befinden. 

Ob die Begehrlichkeiten auch für den Wohnschutz gelten und die Basler*innen auch diesbezüglich sich eine Scheibe von Genf abscheiden möchten, entscheidet sich an der Urne.

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Wir haben eine kleine Präzisierung vorgenommen, die in der ursprünglichen Version des Textes gefehlt hat: In Genf zählt die Küche als Zimmer, eine Dreizimmerwohnung hat also zwei Zimmer, eine Küche und ein Bad.

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