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Covid-Gesetz: «Ein Nein wäre brandgefährlich für die Wirtschaft»

In der Deutschschweiz sieht man allerorts Transparente gegen das Covid-Gesetz, auch in den beiden Basel. Pro-Plakate: Fehlanzeige. Besonders leise: die Wirtschaft. Wieso? Wir haben Wirtschaftsvertreterin Elisabeth Schneider-Schneiter gefragt.

11/10/21, 04:00 AM

Aktualisiert 11/12/21, 10:25 AM

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Die Befürworter*innen des Covid-Gesetzes sind kaum zu hören. Die Wirtschaftsverbände haben keine eigene Kampagne.

Die Befürworter*innen des Covid-Gesetzes sind kaum zu hören. Die Wirtschaftsverbände haben keine eigene Kampagne.

Elisabeth Schneider-Schneiter, was würde passieren, wenn die Schweizer Stimmbevölkerung am 28. November das Covid-Zertifikat bodigt?

Das wäre brandgefährlich für die Schweizer Wirtschaft, weil mit einem erneuten Lockdown gerechnet werden müsste. Gewisse Branchen würden das nicht verkraften, etwa die Gastronomie, Hotellerie und die Eventbranche, aber auch kleine Gewerbebetriebe als Zulieferer der betroffenen Branchen.

Zur Person

Zur Person

Elisabeth Schneider-Schneiter ist Baselbieter Nationalrätin für die Mitte, Präsidentin der Handelskammer beider Basel und Vorstandsmitglied des Schweizer Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse.

Was würden unsere europäischen Nachbar*innen sagen, wenn die Schweiz kein EU-weit-gültiges Zertifikat mehr hat? 

Wir brauchen dieses Zertifikat, um den gesamten Reiseverkehr, einschliesslich der Geschäftsreisen abzusichern. Man denke nur an die fast 350’000 Grenzgänger pro Tag in der ganzen Schweiz. Sollte das Covid-Gesetz abgelehnt werden, ist es gerade für eine Grenzregion wie Basel schwierig. 

Sie meinen, wirtschaftliche Verluste wären dann programmiert?

Auf jeden Fall. In einer Grenzregion sind wir auf einen reibungslosen Reiseverkehr angewiesen. Bei einem Lockdown, aber auch wenn das Zertifikat nicht mehr mit Europa kompatibel wäre, würde das in erster Linie den Grenzregionen schaden.

«Der Wegfall des Covid-Zertifikats wäre eine neue Baustelle, die Rahmenbedingungen würden sich noch einmal verschlechtern für unsere Wirtschaft.»

Elisabeth Schneider-Schneiter, Nationalrätin BL (Mitte)

Die Schweiz kämpft mit einem Fachkräftemangel und ist angewiesen auf Kräfte aus dem Ausland.  

Das Verhältnis zur EU ist schon jetzt schwierig und angespannt. Der Wegfall des Covid-Zertifikats wäre eine neue Baustelle, die Rahmenbedingungen würden sich noch einmal verschlechtern für unsere Wirtschaft, nicht nur in der Region, sondern in der ganzen Schweiz. Und wir haben nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern generell einen Arbeitskräftemangel. Glücklicherweise können wir auf Grenzgänger*innen zurückgreifen. Das fehlende Zertifikat oder Einschränkungen im Reiseverkehr würden klar unseren Standort schwächen. 

Die wirtschaftlichen Konsequenzen sind aus Ihrer Sicht also drastisch. Trotzdem traut sich kaum jemand aus der Wirtschaft, laut und deutlich für das Covid-Gesetz einzustehen. Warum?

Die Wirtschaft hat die Gegnerschaft unterschätzt. 

Unterschätzt?

In der Schweiz sind knapp 65 Prozent vollständig geimpft. Man ging davon aus, dass mindestens all diese Leute dem Gesetz zustimmen. Aber diese Einschätzung war nicht richtig. 

Es gibt sogar ein linkes Nein-Komitee aus Geimpften, unterstützt von der Autorin Sibylle Berg.

In den letzten Tagen war spürbar, dass die Wirtschaftsverbände aktiv geworden sind und mit sichtbaren Ja-Botschaften in den Medien und sozialen Netzwerken auftreten – Economiesuisse, Swissmem, aber auch die Tourismusverbände und die Hotellerie. Langsam wird realisiert, was ein Nein für unser Land bedeuten würde.

«Economiesuisse ist davon ausgegangen, dass die Covid-Gesetzgebung nicht derart umstritten ist, wie es jetzt der Fall ist.»

Elisabeth Schneider-Schneiter, Nationalrätin BL (Mitte)

Offenbar wollte Economiesuisse kein Geld für die Kampagne ausgeben und spricht von «Ressourcengründen». Ist das glaubwürdig? Bei anderen Abstimmungen wie der Konzernverantwortungsinitiative war das offenbar kein Problem und die Folgen wären jetzt mindestens genauso drastisch.

Man setzt die Ressourcen dort ein, wo man am meisten Wirkung erzielt. Und Economiesuisse ist davon ausgegangen, dass die Covid-Gesetzgebung nicht derart umstritten ist, wie es jetzt der Fall ist.

Hat vielleicht auch eine Rolle gespielt, dass Economiesuisse allenfalls Angst hat, sich Feinde unter den Coronaskeptiker*innen zu machen, wenn sie sich deutlich positionieren? 

Nein. Das war nicht der Grund. Denn die Wirtschaft ist praktisch geschlossen der Meinung, dass es ein Zertifikat braucht.  Was bei jeder Kampagne spürbar wird: Die Unternehmen selber engagieren sich in der Regel nicht so stark, sondern delegieren an ihre Verbände. Das ist generell so, nicht nur beim Covid-Gesetz. Es gibt wenig Köpfe, die sich aus den Fenstern hinauslehnen, weil das unangenehm werden könnte. Bei derart gesellschaftspolitisch relevanten Themen wäre es aber nötig, sich zu exponieren.

Der Basler Gewerbeverband sähe «erhebliche Erleichterungen» für die Beizen, wenn die Zertifikatspflicht in der Schweiz abgeschafft würde. 

Das ist eine Sicht, welche keine Mehrheiten findet.

Glauben Sie, dass die Bevölkerung ein Gehör für die Wirtschaft hat?

Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, das Covid-Gesetz bei der Bevölkerung durchzubringen. Es ist eine Frage der Vernunft und eine Frage der Freiheit. Die Bevölkerung möchte grösstmögliche Freiheit und diese ist mit diesen Zertifikatsbestimmungen möglich.

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Mit der Freiheit argumentieren auch die Gegner*innen, sie sehen das Covid-Gesetz als zu starken Eingriff in ihr Leben und ihre Eigenverantwortung. 

Das Zertifikat ermöglicht ein Leben, wie wir es vor der Krise hatten. Die Einschränkung durch ein Zertifikat ist weniger gravierend als die Einschränkung, die wir durch einen erneuten Lockdown hätten. Einen erneuten Lockdown könnten wir uns ausserdem nicht leisten.

Ein abgelehntes Covid-Gesetz würde nicht nur das Aus des Zertifikats bedeuten. Welche Konsequenzen gibt es noch zu bedenken?

Weitere Unterstützungsmassnahmen im Härtefall für verschiedene Branchen wären gefährdet, auch für Sport und Kultur. Auch Bestimmungen über Quarantäne – hier ist eine Erleichterung im Gesetz vorgesehen für Genesene – wären betroffen.

Welche Konsequenzen hätte ein Nein?

Welche Konsequenzen hätte ein Nein?

Was würde der Wegfall der Zertifikatspflicht für die (Grenz-)Region Basel bedeuten? Diese Frage stellten wir der Regierung sowie Vertreter*innen der Wirtschaft, der Kultur und des Sports. Die Antwort: viel Unsicherheit und Umtriebe.

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