«Wieso duckt man sich?»
Die Linken fühlen sich vom Gewerbeverband abgewatscht, weil dieser ausschliesslich bürgerliche Politiker*innen zur Gesamterneuerungswahl empfiehlt. Gibt es Alternativen für linke Gewerbler*innen?
Der Gewerbeverband Basel empfiehlt 64 Kandidierende aus den bürgerlichen Parteien für die Gesamterneuerungswahlen im Oktober. Aus der SP, den Grünen oder der Basta wird kein*e Gewerbler*in empfohlen. Daraufhin stellte Bajour die Frage des Tages «Können erfolgreiche Gewerbler*innen links sein?». Die Meinung unserer Leser*innen ist eindeutig: Von mehr als 700 Abstimmenden haben 87 Prozent mit Ja gestimmt.
Am Montag präsentierte der Gewerbeverband Basel-Stadt seine Empfehlungen für die Grossratswahlen im Oktober. Von den 64 empfohlenen Kandidat*innen politisiert niemand bei der SP, den Grünen oder der Basta, sondern ausschliesslich bei bürgerlichen Parteien. Wir haben daher in der Frage des Tages gefragt, ob erfolgreiche Gewerbler*innen links sein können?
Zu dem Thema sind einige interessante Voten eingegangen. Viele Unternehmer*innen, von linker wie auch bürgerlicher Seite, haben in der Debatte betont, dass linke Gewerbler*innen durchaus erfolgreich sein können. Auch Rolf Keller springt für die Linken in die Bresche, wenn er sagt: «Ich habe nie verstanden, warum sich ‹nicht-bürgerliche› Gewerbler nie zu einem eigenen Gewerbeverband finden konnten. Wieso duckt man sich, statt offensiv ein eigenes Netzwerk aufzubauen und politisch nicht offside zu stehen?» Mitte-Grossrat Daniel Albietz merkt an: «Linken Unternehmer*innen stünde es schon lange frei, einen Wirtschaftsverband mit eigener Agenda zu gründen.»
«Wir möchten nicht gegen den Gewerbeverband arbeiten. Ich fühle mich bei pro-KMU einfach wohler, weil es dort Raum für verschiedene Perspektiven gibt.»Michela Seggiani, SP-Fraktionspräsidentin und Firmeninhaberin
Eine mögliche Alternative zum Gewerbeverband könnte die Vereinigung pro-KMU sein. Der Basler Vereinigung gehören aktuell 69 Mitglieder an, darunter Privatpersonen, Firmen und Institutionen. SP-Grossrätin und Firmeninhaberin Michela Seggiani ist im Vorstand. Sie sieht pro-KMU als eine Alternative zum Gewerbeverband, nicht als Konkurrenz. Sie sagt: «Wir möchten nicht gegen den Gewerbeverband arbeiten. Ich fühle mich bei pro-KMU einfach wohler, weil es dort Raum für verschiedene Perspektiven gibt.»
Im Vorfeld der Gesamterneuerungswahlen lanciert pro-KMU einen Fragebogen, der in diesen Tagen an alle Mitglieder geschickt wird. Abgefragt werden das Engagement für KMU und eine Einschätzung, welche Punkte für KMU wichtig sind. «Wir empfehlen keine einzelnen Mitglieder zur Wahl, wie der Gewerbeverband das getan hat, sondern publizieren die ausgefüllten Fragebögen auf unserer Website, damit sich alle Interessierten selbst ein Bild über die Kandidierenden machen können.»
«Wir haben den Vorteil, dass wir parteipolitisch unabhängig sind und keine Verbandsarbeit machen.»Philip Karger, LDP-Grossrat und Unternehmensberater
Auch LDP-Grossrat und Unternehmensberater Philip Karger, der vom Gewerbeverband zur Wahl empfohlen wurde, ist im Vorstand von pro-KMU. «Wir sehen uns als Ergänzung zum Gewerbeverband», sagt er. «Wir haben den Vorteil, dass wir parteipolitisch unabhängig sind und keine Verbandsarbeit machen. Daher können wir uns ganz direkt für kleine und mittlere Unternehmen in Basel einsetzen.» Karger hat bereits zwei Vorstösse im Sinne von pro-KMU im Grossen Rat eingereicht, zum Beispiel betreffend Bürokratie in der Verwaltung und betreffend «KMU-Strategie» im Kanton.
Michela Seggiani verweist auch auf den Gewerbeverein, der eine Sektion Basel-Nordwestschweiz hat und sich als Community für nachhaltige Unternehmende sieht. Basta-Politiker Till Kleisli aus Basel ist Mitglied und sagt: «Der Gewerbeverein ist aus einem Bedürfnis von Unternehmer*innen entstanden, die sich von den bis dahin existierenden Wirtschaftsorganisationen politisch nicht vertreten gefühlt haben.»
«Im Gewerbeverein kann man sich mit anderen Gewerbetreibenden, denen ökologisches und soziales Wirtschaften wichtig ist, vernetzen und austauschen.»Till Kleisli, Basta-Politiker
Der Verein gebe progressiven Unternehmer*innen eine politische Stimme und zeige, dass «die Wirtschaft» keine einheitliche Meinung hat. «Der Gewerbeverein bietet aktuell nicht den Umfang an Dienstleistungen, wie sie der Gewerbeverband hat, insofern kann man ihn sicher als Ergänzung bezeichnen. Eine Ergänzung für Gewerbetreibende, die sich politisch vom Gewerbeverband nicht vertreten fühlen, und die sich gerne mit anderen Gewerbetreibenden, denen ökologisches und soziales Wirtschaften wichtig ist, vernetzen und austauschen möchten», sagt Kleisli. Schweizweit hat der Gewerbeverein aktuell über 1000 Mitglieder, in Basel sind es 26.
Für Kreativeschaffende gibt es ausserdem die Kreativgesellschaft Metropolitanregion Basel, die sich für die Akteur*innen der Kreativwirtschaft einsetzt. Sie sieht sich nicht als Alternative zum Gewerbeverband, sondern als Ort, wo die Branche vernetzt wird.
«Für politische Diskussion haben wir die parlamentarische Ebene.»Jean-Luc Perret, SP-Vizefraktionspräsident
Es gibt allerdings auch linke Stimmen, welche die Schaffung eines alternativen, «linken» Gewerbeverbands eher kritisch sehen: SP-Grossrat Jean-Luc Perret zum Beispiel. Er verweist darauf, dass er vieles, was der Gewerbeverband leiste, schätze: «Zum Beispiel sein Engagement für die Berufsbildung, das Mittragen des Netto-Null-Ziels bis 2037 oder auch die Vernetzungsaktivitäten.»
Aus seiner Sicht wären zwei Verbände nicht unbedingt sinnvoll, die sich mit identischem Angebot aber gegenteiligen politischen Positionen zu allen möglichen Themen einmischen. Denn: «Für solche Diskussion haben wir schliesslich die parlamentarische Ebene.» Perret kann sich vorstellen, dass es weiterhin nur einen Verband gibt, der mit einer differenzierten Perspektive die Werte und Interessen aller Basler KMU vertritt. «Eine Bedingung wäre, dass dieser Verband nicht eine einseitige politische Agenda verfolgt, und dass man als Mitglied nicht unfreiwillig die bürgerlichen Ansichten mittragen muss, wie es heute beim Gewerbeverband der Fall ist.»
Bemühungen, dem Gewerbeverband eine Alternative zur Seite zu stellen gibt es – aktuell wie auch schon in der Vergangenheit. So sah sich beispielsweise die Gruppe 23 als weitere Interessensvertreterin für das Basler Gewerbe. Ihre Zielgruppe waren Persönlichkeiten und gestandene Unternehmer*innen, deren Kernanliegen indes die Nachwuchsförderung war. Mit Betonung auf war. Denn den Verein gibt es nicht mehr.