«Auch wir sind Lernende»

Die neuen Basler Wohnschutzregeln sind noch immer eine Blackbox. Wie kann man die Gesetzesänderungen auslegen? Daran arbeitet die Wohnschutzkommission. Sie hat nun erstmals Bilanz gezogen.

Piotr Brzoza, Rico Maritz und Béatrice Müller
Wohnschutz, eine lustige Angelegenheit? Die Präsident*innen der WSK Piotr Brzoza, Rico Maritz und Béatrice Müller ziehen nach einem Jahr Bilanz. (Bild: David Rutschmann)

Sie ist die Blackbox von Basel: die Wohnschutzkommission (WSK). Ihr fällt die grosse Aufgabe zu, die vor zwei Jahren von der Basler Stimmbevölkerung geforderten Mietschutzbestimmungen (die strengsten der Schweiz) umzusetzen. Wie ihr das gelingt, dürfte auch die Wohnschutz-Initiant*innen in Zürich interessieren – denn aus Basler Erfahrungen kann man lernen.

Von den Erfahrungen war bislang bis auf komplizierte Gesetzestexte, seitenlange Formulare und komplizierte Merkblätter wenig bekannt – wer in Basel sanieren oder abreissen und neubauen wollte, stützte sich also vielmehr auf die zahlreichen Medienberichte, die noch viel Unsicherheit (und Unzufriedenheit) mit den neuen Gesetzen suggerierten. 

Vor diesem Hintergrund ist es ein grosser Schritt, dass die WSK am Freitag in einer Medienkonferenz ihre eigene Blackbox öffnete und zumindest mal ein paar offene Fragen klären wollte – vielleicht, um diese Unsicherheit zu nehmen. Vom neunköpfigen Gremium stellten sich nur die drei Präsident*innen – Ökonom Rico Maritz, Anwältin Béatrice Müller und Architekt Piotr Brzoza – den Medien.

Die jeweils drei Interessensvertreter*innen der Mieter*innen und Vermieter*innen waren nicht anwesend. Dass die beiden Seiten unversöhnlich ihre Positionen im Gremium vertreten – diesem Eindruck wollten die Präsident*innen mit Nachdruck entgegenwirken. Beatrice Müller sagte, die Zusammenarbeit sei stets «respektvoll, extrem wertschätzend und wahnsinnig konstruktiv.»

«Wir sind uns selber noch nicht sicher, ob die Formulare zu umfangreich sind.»
Rico Maritz, Präsident Wohnschutzkommission

Wichtig zu verstehen: Die WSK entscheidet nicht, ob ein Gebäude saniert oder renoviert, umgebaut oder abgerissen werden darf. Die Zulässigkeit – eines Abbruchs zum Beispiel – überprüft weiterhin das Bau- und Gastgewerbeinspektorat. Die rein baurechtlichen Verfahren werden von der WSK nicht behandelt – lediglich die mietrechtlichen.

Wem also ein Bauvorhaben bewilligt wurde, kann im nächsten Schritt ein Gesuch an die Wohnschutzkommission stellen. Mit einem jeweils seitenlangen Formular.

Die Formulare der Wohnschutzkommission

Das Gesuch unterscheidet sich je nach Bauvorhaben. Es gibt eines für Abbruch und Ersatzneubau (11 Seiten) und eines für die Begründung von Stockwerkeigentum (8 Seiten). Beim Umbauen, Sanieren oder Renovieren gibt es drei unterschiedliche Anträge:

Einfaches Prüfungsverfahren: Der Mietzins wird nach der Sanierung nicht angehoben (10 Seiten).

Vereinfachtes Bewilligungsverfahren: Der Mietzins soll nach der Sanierung nur um bis zu 80 Franken (bei ein bis zwei Zimmern), 120 Franken (bei drei Zimmern) oder 160 Franken (bei vier oder mehr Zimmern) pro Monat angehoben werden. (17 Seiten)

Umfassendes Bewilligungsverfahren: Der Mietzins soll nach der Sanierung höher angesetzt werden. (18 Seiten)

Der Umfang der Formulare ist den Mitgliedern der WSK bewusst. Präsident Rico Maritz: «Wir sind uns selber noch nicht sicher, ob die Formulare zu umfangreich sind. Man kann die Verfahren aber sicher nicht auf einseitige Formulare reduzieren.»

Bislang wurden fast ausschliesslich vereinfachte Bewilligungsverfahren bearbeitet, erklärt Präsidiumsmitglied Piotr Brzoza. Vor kurzem gingen die ersten beiden Gesuche für umfassende Bewilligungsverfahren ein, also die aufwendigste Variante.

Wohnschutzkommission Gesuch
(Bild: Grafik: David Rutschmann)

Und wie fleissig war die WSK?

Kritisiert wurde in der Vergangenheit, dass die erste Tagung der WSK im November 2022 stattfand, obwohl die Gesetzesänderungen am 28. Mai 2022 in Kraft traten. Auch von bis zu drei Monaten Bearbeitungsfrist war die Rede. 

«Auch wir sind Lernende», sagt Maritz. «Am Anfang standen wir wie alle anderen vor einer neuen Gesetzgebung, zu der es keine Rechtssprechung und keine Literatur gibt. Konkret wurde es erst mit dem ersten Gesuch», sagt Maritz. Das erste Gesuch wurde am 11. August 2022 gestellt, die notwendigen Unterlagen waren laut Maritz erst drei Monate später, am 10. November, komplett. Aber: «Wir sind besser geworden und jetzt auf Kurs. Eine Entscheidung fällt nun im Schnitt unter zwei Monaten.»

Insgesamt gingen bislang 63 Gesuche bei der WSK ein, 14 davon befinden sich derzeit in Bearbeitung. Von 49 abgeschlossenen Bewilligungsverfahren wurden bei sieben Entscheiden der WSK Rekurs eingelegt. In fünf Fällen reichten Mieter*innen Rekurs ein, in zwei die Gesuchsteller*innen.

«Wir sind sehr interessiert an den Rekurs-Urteilen.»
Rico Maritz, Präsident Wohnschutzkommission

Von den Rekursfällen sind noch zwei Verfahren hängig – unter anderem im von der Basler Zeitung publik gemachten Fall von Hans Imbach, der gerne ein Gebäude zugunsten eines Ersatzneubaus mit 40 Prozent mehr Wohnraum abreissen würde. Er will sich an die Maximal-Mieten halten, die ihm von der WSK vorgegeben wurden – doch der Mieterverband hat Rekurs eingelegt.

«Wir sind sehr interessiert an den Urteilen», sagt Rico Maritz. «Uns ist das recht, wenn eine zweite Instanz sich mit dem gleichen Fall beschäftigt und beurteilt, ob wir das neue Gesetz richtig auslegen – uns bestätigt oder korrigiert.» In beiden Rekursverfahren geht es auch um die Verfassungs- und Gesetzmässigkeit der neuen Bestimmungen – im Fall Imbach zum Beispiel, ob Abrisse nur noch in sehr seltenen Fällen überhaupt möglich sind.

Die WSK kann auch während fünf Jahren nach einer Entscheidung Mietzinskontrollen durchführen, ob ihre Vorgaben eingehalten werden. Das wurde bislang noch nicht gemacht, sagt Piotr Brzoza: «Dazu sind die Entscheide noch zu jung.» Die Mietzinskontrollen sollen dann stichprobenartig oder auf Mitteilung erfolgen.

In den Dreierkammern können Mitglieder auch Verstösse gegen die neue Wohnschutzgesetzgebung melden – zum Beispiel im Fall der Swiss Life, die einfach ohne Gesuch sanierte und die Miete um mehr als 300 Franken aufschlagen wollte. Das Präsidium entscheidet dann, ob die WSK das zur Anzeige bringen möchte. Das kam bislang dreimal vor.

«Einen Leitentscheid wollen wir erst dann bekannt geben, wenn drei vergleichbare Fälle rechtskräftig sind.»
Rico Maritz, Präsident Wohnschutzkommission

Insgesamt schwimmt die WSK bislang also noch nicht in Gesuchen. Der Regierungsrat stellte kürzlich eine Zurückhaltung bei Investor*innen fest. Gerade mal 300 Baubewilligungen, die sich noch nicht in der Bauphase befinden, liegen derzeit vor. Deshalb beauftragte die Kantonsregierung die Verwaltung damit, die Auswirkungen der neuen Wohnschutzbestimmungen zu evaulieren.

Ist die Arbeit der WSK noch zu wenig transparent und hält Investor*innen vom Investieren ab? Die Kritik findet bei der WSK-Medienkonferenz Gehör. So ist ein grosses Ziel der WSK, möglichst bald eine öffentlich einsehbare Vollzugspraxis zu entwickeln, damit alle wissen, wie die WSK gewichtet.

«Das Problem ist, dass es kein standardisiertes Vorgehen gibt und kein Baugesuch sich gleicht», sagt Maritz. «Würden wir Beispiele publik machen, würde das ein falsches Bild vermitteln. Einen Leitentscheid wollen wir erst dann bekannt geben, wenn drei vergleichbare Fälle rechtskräftig sind.» Zumindest bei den vereinfachten Bewilligungen und dem Stockwerkeigentum sollten solche Leitentscheide bis in zwei oder drei Monaten bekannt werden.

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Ganz unkompliziert

Das Formular für ein Bajour-Membership ist nicht 20 Seiten lang:

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Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitk. Way too many Anglizismen.

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