«Zwischenhalt» vor Weihnachten

Wegen der angespannten Asyllage setzt FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter das Resettlement-Programm der Uno vorübergehend aus. Ihre Nachfolgerin Elisabeth Baume-Schneider steht nicht nur deshalb vor grossen Herausforderungen.

Fluechtlinge aus einem Zug aus Oesterreich werden von Grenzwaechtern zur Kontrolle gebracht, am Mittwoch, 16. November 2022, in Buchs. Seit dem Sommer 2021 gelangen vermehrt afghanische Fluechtlinge an den Grenzbahnhof. Sie werden von der Grenzwacht aufgegriffen und duerfen nach der Kontrolle weiter reisen. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Flüchtende im November 2022 in Buchs, an der Schweizer Grenze. (Bild: © KEYSTONE / Gian Ehrenzeller)

Weihnachten steht vor der Tür, überall funkelt und glitzert es. Am Samstag werden Pfarrer*innen in den Schweizer Kirchen die Geschichte von Maria und Josef vorlesen, die des Nachts verzweifelt nach einer Bleibe suchen. Derweil gehen hierzulande die Türen für fliehende Mütter und Kinder aus Syrien, Afghanistan und dem Sudan zu. FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat beschlossen, das sogenannte Resettlement-Programm vorübergehend auszusetzen, wie die NZZ am Sonntag berichtete. Dies kurz vor ihrem Wechsel ins Finanzdepartement.

Das Programm sieht vor, dass die Schweiz jedes Jahr ein paar hundert Flüchtlinge aufnimmt, die von der UNHCR als besonders schutzbedürftig eingestuft werden. Es handelt sich dabei um die Verletzlichsten der Verletzlichen. Doch jetzt soll es gestoppt werden, der Grund sei die «angespannte Migrationslage». Der Bund rechnet bis Ende Jahr mit 70’000 Flüchtlingen aus der Ukraine und bis zu 24’000 Asylsuchenden.

Unsicherheit und Aufschub

Beim christlichen Hilfswerk Caritas kommt das gar nicht gut an. Lisa Fry, Mediensprecherin, meint: «Wenn wir von 800 Resettlementplätzen für das Jahr 2023 sprechen, sind das ungefähr 67 Personen pro Monat. Hier stellt sich die Frage, ob das eine grosse Entlastung ist. Für die Betroffenen macht es aber einen grossen Unterschied.»

Beim Resettlement handle es sich um ein Programm, das meist Nachbarländer von Krisenregionen unterstütze, die mit einer sehr viel grösseren Anzahl Schutzsuchenden konfrontiert seien als beispielsweise die Schweiz. Das UNHCR spricht von 1,47 Millionen benötigten Resettlementplätzen, von denen nur ein Bruchteil verteilt werden könne. So hofft Caritas für das Programm 2024/2025, dass das Kontingent angesichts des hohen Bedarfs an Resettlementplätzen sogar nochmals deutlich erhöht werde.

«Hier stellt sich die Frage, ob das eine grosse Entlastung ist. Für die Betroffenen macht es aber einen grossen Unterschied.»
Lisa Fry, Mediensprecherin bei Caritas

Die Schweiz hat bisher zugesagt, in den Jahren 2022 und 2023 insgesamt 1820 Resettlement-Flüchtlinge aufzunehmen, 641 wurden bereits aufgenommen. Laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) sollen jene, die bereits einen positiven Bescheid erhalten haben, bis Ende März 2023 noch einreisen können – das SEM rechnet mit 350 bis 400 Personen. Für alle anderen heisst es: Unsicherheit und Aufschub.

Die Linke ist empört: Samira Marti, SP-Nationalrätin und Mitglied der Staatspolitischen Kommission (SPK), sagt: «Für mich steht der Entscheid exemplarisch für die Asylpolitik von Karin Keller-Sutter», diese habe es verpasst, die Schweiz auf eine Migrationskrise vorzubereiten. Und sie ergänzt: Der Entscheid sei «menschlich katastrophal» und «politisch absoluter Verhältnisblödsinn». Die besonders schutzbedürftigen Flüchtlinge des Resettlement-Programms seien nur das Pünktchen auf dem i. 

FDP-Nationalrat Kurt Fluri findet dagegen, man müsse die Sache rational anschauen –- und da habe er für diesen «Zwischenhalt» Verständnis. 

«Auf Wunsch der Kantone»

Wie geht es jetzt weiter? Über die Wiederaufnahme wird im Frühling 2023 entschieden, sobald der Bund die Situation erneut bewertet hat. Doch grundsätzlich dürfte dem nichts im Wege stehen. Das SEM bestätigt: «Es ist unbestritten, dass das Resettlement-Programm weitergeführt wird.» Die Aussetzung erfolge auf Wunsch der Kantone, weil die Unterbringungskapazitäten wie auch die personellen Ressourcen in der Betreuung sehr stark beansprucht sind. Die Mitarbeitenden des SEM sind am Limit. So hat der Bundesrat, als er das jetzige Resettlement-Programm beschlossen hatte, denn auch ausdrücklich festgelegt, dass die Aufnahme vorübergehend ausgesetzt werden kann, wenn eine ausserordentliche Lage gemäss Notfallplan Asyl besteht. Es darf also davon ausgegangen werden, dass auch Karin Keller-Sutter das Programm fortgesetzt hätte, wäre sie im Frühling nicht bereits Finanzdirektorin. 

«Die Menschen leben zwischen Stuhl und Bank, doch sie werden in der Schweiz bleiben, weil es sich um Kriegsflüchtlinge aus aller Welt handelt.»
Samira Marti, SP-Nationalrätin, Baselland

Nun liegt es an ihrer Nachfolgerin, der SP-Frau Elisabeth Baume-Schneider. Während die Wiederaufnahme des Resettlement-Programms ein Leichtes sein dürfte, stehen für die Jurasserin andere Herausforderungen an. Die Erwartungen von linker Seite an sie sind gross, steht Baume-Schneider doch für eine soziale Migrationspolitik. Marti fordert, sie müsse eine kritische Bestandesaufnahme machen. So solle nicht nur das Resettlement-Programm fortgeführt werden, sondern auch andere Bereiche im Asylwesen endlich angegangen werden, die unter Keller-Sutter vernachlässigt worden seien. 

Asylbereich weiter ausbauen

So müsse die Infrastruktur im Asylbereich verbessert werden. Insbesondere brauche es mehr Betten. Schliesslich seien Migrationskrisen nie voraussehbar, das sei wie bei Pandemien und der Anzahl Intensivbetten in den Spitälern. Das SEM schreibt dazu: «Der Vorwurf, sie seien ungenügend vorbereitet auf diese Situation, greift ins Leere. Der Bund hat die Zahl der Unterbringungsplätze in den letzten Monaten von 5000 auf rund 10'000 verdoppelt und ist, in Zusammenarbeit mit der Armee, daran, weitere Kapazitäten zu schaffen.» 

Auch fordert Marti, dass der Status der vorläufigen Aufnahme (VA) überarbeitet werden müsse: «Die Menschen leben zwischen Stuhl und Bank, doch sie werden in der Schweiz bleiben, weil es sich um Kriegsflüchtlinge aus aller Welt handelt.»  Auch die Mängel im Sicherheitssystem der Asylzentren müssten behoben werden, Staatsgewalt dürfe nicht an Private ausgelagert werden. Das SRF hatte über Gewaltvorwürfe berichtet. Und schliesslich brauche es endlich ernsthafte Überlegungen, wie es mit dem Status S weitergehen soll. Marti kritisiert: «Bisher hat niemand einen Plan.»

Politische Mehrheiten

Bleibt also einiges zu tun für die neue Bundesrätin. Aber auch für sie wird es schwierig, denn ihr politischer Spielraum ist begrenzt. Schnell wird man von der Realität eingeholt: Lösungen im Asylbereich auf nationaler Ebene zu erarbeiten, ist schwierig. Man kann keine eigenständige Migrationspolitik unabhängig von Europa machen – und Dublin krankt an seinem Geburtsfehler, dem fehlenden Verteilschlüssel. 

Die Vorgängerin von Keller-Sutter, Simonetta Sommaruga (SP), hatte gezeigt, dass sie das politische Handwerk beherrscht wie keine Zweite, indem sie die Asylgesetzrevision durchgebracht hatte, obwohl die SVP dagegen war. Auch Baume-Schneider wird versuchen können, neue Vorlagen auszuarbeiten und eigene Akzente zu setzen. Doch auch sie wird diese in einem bürgerlichen Parlament verteidigen müssen, denn: Vorlagen brauchen politische Mehrheiten.

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